Nur wer die Wahrheit sieht

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2006
  • 5
  • London: Headline, 2004, Titel: 'A Ghost in the Machine', Seiten: 375, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2006, Seiten: 635, Übersetzt: Caroline Einhäupl & Eva Pampuch
  • München: Goldmann, 2008, Seiten: 635
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Sabine Reiß
45°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2006

An Langsamkeit nicht zu überbieten

Englische Krimis werden allzu oft in einen Topf geworfen. Doch da gibt es kleine, aber feine Unterschiede. Spielt ein Polizist die Hauptrolle wie bei Ruth Rendell oder Peter Robinson, eine Amateurdetektivin wie bei Altmeisterin Agatha Christie oder im weitesten Sinne Ann Granger oder steht gar das Opfer und dessen Umfeld im Mittelpunkt der Geschichte?

Sehr später Auftritt der Polizei

In die Gattung der letzteren reiht sich ohne Zweifel Caroline Graham ein, zumindest mit ihrem neuesten Buch "Nur wer die Wahrheit sieht". Man gestatte mir an dieser Stelle einmal mehr den kleinen Seitenhieb in Richtung der Titelfestlegung. Das englische Original ist zwar nicht viel origineller (The ghost in the machine), doch zumindest kommt dieser Satz im Buch vor. Meine bisherige Lektüre von ihren Büchern liegt lange zurück, daher hatte ich scheinbar verdrängt, dass sie ihre Geschichte ähnlich wie P.D. James aufbaut: Zuerst wird das Opfer ausführlich vorgestellt und dann geht es eigentlich erst richtig los. Aber warum taucht Detective Chief Inspector Barnaby erst auf Seite 249 auf? Ziemlich spät, 40% sind schon gelesen. Ich sehe hier einen Anhaltspunkt dafür, dass man den Roman deutlich hätte straffen können.

Es ist zwar nett, den Hintergrund des Opfers (und eventuell der Verdächtigen - so weit sind wir noch nicht, der Mord ist nämlich noch gar kein Mord) genau kennenzulernen, aber hier war es dann doch etwas zuviel. Bei P.D. James hat Commander Dalgliesh zumindest eine tragende Rolle, hier besteht im Gegensatz dazu keine Aussicht darauf, Inspector Tom Barnaby nur annähernd so gut kennenzulernen. Er hat kein Format und auch kein Gesicht für den Leser. Am Rande werden kleine Informationen eingestreut, wie z.B. dass er übergewichtig ist. Zumindest weicht er vom ansonsten gern angewandten Schema ab: Er ist manchmal recht garstig zu seinem Untergebenen Sergeant Troy, auch wenn er darüber hinaus in die Sparte nichtssagend bis sympathisch passt. Müsste Barnaby nicht einen unausstehlichen Chef haben und sich andererseits Seite schützend vor seine Mitarbeiter stellen?

Und dazu ein wenig Humor

Der Stil ist gottseidank nicht ermüdend, teilweise legt die Autorin sogar einen trockenen Humor an den Tag. So äußert sie sich über die Neugierigkeit der Dorfbewohner:

"Die Enten hatten so etwas noch nie erlebt. Normalerweise kam vielleicht einmal am Tag jemand mit einer Hand voll Brot oder einem Keks vorbei. Heute waren es Horden von Entenfütterern. Die Unerfahrenen hatten nicht nur Brot gekauft, sondern Kuchen und Torten und so etwas. Eine Frau ließ einen ganzen Zitronenkäsekuchen zu Wasser... Der Teich wurde schaumig, die Oberfläche füllte sich mit tanzenden Konditorwaren." (S. 407)

Ansonsten ist alles wie gewohnt, eben wie in den meisten anderen britischen Polizeiromanen auch. Die Inhaltsangabe verspricht nicht mehr, aber auch nicht weniger: Mallory und Kate Lawson erben das Haus ihrer Tante in Forbes Abbot, einem kleinen Dorf. Da Mallory sich in seinem Beruf als Direktor einer Londoner Schule sehr verausgabt und auch festgefahren hat, ist das die willkommene Gelegenheit, dem Großstadtleben zu entfliehen. Zusammen mit Kate plant er, einen kleinen, aber feinen Verlag zu gründen. Polly, die Tochter der beiden, braucht dringend Geld und versucht den Vermögensverwalter Dennis Brinkley dazu zu bringen, ihr vorzeitig Verfügungsgewalt über das zukünftige Erbe einzuräumen. Kurze Zeit nach ihrem Besuch ist Dennis Brinkley tot, erschlagen von einer seiner historischen Kriegsmaschinen, die er in seinem Haus wie in einem Museum ausstellte. Der Untersuchungsrichter ist der Meinung, es handelte sich um einen Unfall. Erst der Tod einer weiteren Person überzeugt die Polizei, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.

Der Mord wird nur nebenbei aufgeklärt

Über große Umwege spinnt die Autorin diese Geschichte, seitenweise werden Personen so ausführlich dargestellt, als ob es sich nur um Hauptpersonen handeln würde. Zahlreiche Nebengeschichten bereichern die Handlung, ohne sie überhaupt nur einen Deut voranzubringen. Gegen einen geruhsamen Krimi ist absolut nichts einzuwenden, im Gegenteil, aber das hier vorliegende Exemplar ist an Trägheit nicht zu überbieten. Und zu guter letzt, nachdem wie erwähnt die Ermittlungen sowieso recht spät beginnen, erachtet es Caroline Graham noch für notwendig, in einem Kapitel "Danach" - also nach der Aufklärung des Mordes - die Nebengeschichten auf gut 50 Seiten zum Ende zu führen. Sehr gründlich, Frau Graham.

Nur wer die Wahrheit sieht

Caroline Graham, Goldmann

Nur wer die Wahrheit sieht

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