Bevor der Morgen graut

  • BLT
  • Erschienen: Januar 2006
  • 10
  • Bergisch Gladbach: BLT, 2006, Seiten: 334, Übersetzt: Coletta Bürling
  • Bergisch Gladbach: BLT, 2008, Seiten: 334
Bevor der Morgen graut
Bevor der Morgen graut
Wertung wird geladen
Thomas Kürten
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonMär 2006

Wenn Gänsejägerjägerjäger einen Gänsejägerjäger jagen

Getreu dem Motto "Dem Ingenieur ist nichts zu schwör" hat sich der Isländer Ingolfsson an einem weiteren Kriminalroman versucht. Doch was ihm noch beim "Rätsel von Flatey" anscheinend spielerisch aus der Feder floss, wirkt beim Nachfolger unentschlossen und leider auch wenig überzeugend. Nordische Mystik und Islandromantik sind bei "Bevor der Morgen graut" ebenso Fehlanzeige wie Spannung oder ein halbwegs interessanter Kriminalfall. Auch die oftmals herbeizitierte skandinavische Sozialkritik geht dem Roman ab. Bei knapp 330 Seiten, die leidlich unterhalten, stellt sich dem geneigten Krimifreund hingegen manchmal die Frage, was man da eigentlich gerade liest.

In den frühen Morgenstunden eines Herbsttages findet auf einem Kartoffelacker in der isländischen Einsamkeit eine wahrhafte Ballerei statt. Als der Tag anbricht, liegt der Gänsejäger tot in seinem Revier. Bei dem Toten handelt es sich um einen Rechtsanwalt aus Reykjavik, in dessen Umfeld es durchaus einige Menschen gibt, die ihm wenn schon nicht den Tod, dann doch wenigstens die Pestilenz an den Hals wünschten. Doch bevor die Polizei richtig mit ihren Ermittlungen anfangen kann, liegt am nächsten Morgen schon der nächste Gänsejäger mit einer Ladung Schrotkugeln im Körper tot im Morast. Und das Opfer ist diesmal ein tiefreligiöser Familienvater, der offenbar weder Feinde noch Beziehung zum ersten Opfer hatte.

Austauschbare Charaktere

Die Polizisten in diesem Roman sind der deutschstämmige Gunnar sowie Birkir, ein vietnamesischer Waise, der während des Vietnamkrieges seine Eltern verloren und in Island neue Pflegeeltern gefunden hatte. In dem Team der beiden gibt es auch noch ein paar Randfiguren wie Simon, der den absolut unfähigen Versagertypen verkörpert, Dora, die attraktive junge Kollegin oder Anna, der alte Drachen aus der Spurensicherung. Aber irgendwie niemand, der einen hohen Wiedererkennungswert hätte.

Sie alle ermitteln so vor sich hin, ohne wirklichen Durchblick zu haben. Zur allgemeinen Verwirrung wird auch noch ein dritter Gänsejäger umgebracht und die Lage scheint immer komplizierter zu werden. Zu ihrer eigenen Verwunderung bringen die Ermittler dann doch alle Morde in Zusammenhang und Verdächtigen eine Person, die leider ein wasserdichtes Alibi hat. Was muss passieren, damit dieser Fall doch noch eine Auflösung findet?

Wer behauptet, Zufälle gäbe es nicht?

Ingolfsson erzählt diesen Roman stringent chronologisch. Keine Zeitsprünge, keine Einschübe. Wenn es Rückblenden gibt, dann lässt er seine Charaktere erzählen, was dann entweder in Monologen endet oder aber einfach in mäßig interessanten Kurzbiographien, die nicht die Klasse haben, um den Charakteren einen Hintergrund zu geben, den sie in der weiteren Handlung auch mit Leben füllen könnten. Die Kapitel, die die Heimkehr der Ermittler nach einem langen Arbeitstag schildern, kann man sich schlichtweg schenken.

Was haarsträubend wirkt, jedoch alles in allem gut von Ingolfsson heraus gearbeitet wurde, ist der merkwürdige Zufall, dass jemand in Island rein zufällig alle drei Opfer kennen könnte. Bei gerade mal unter 300.000 Einwohnern kann man das zumindest nicht von vornherein als Utopie abstempeln. Er versteht es zudem, den Leser geschickt auf einen falsche Fährte zu locken, um ihn dann damit zu konfrontieren, dass alles, was für eine logische Auflösung des Falles sprach, eben auch nur auf Zufällen basiert. Jedoch sollte sodann auch jeder wissen, auf wen sodann der Hauptverdacht zu richten ist. Das Ende wirkt überdehnt und künstlich auf Spannung getrimmt, kann somit nicht vollends überzeugen.

So bleibt bei "Bevor der Morgen graut" nur in Ansätzen erkennbar, welche Qualitäten Ingolfsson als Autor hat. Die Motive seiner Hauptverdächtigen bewegen sich zwischen Gier, Rache und Wahnsinn, bieten somit genug Anregungen zum grübeln. Leider schafft er es weder, interessante Figuren mit Leben zu erfüllen, noch die gewisse Würze in die Mordserie zu bringen. Wie schon eingangs gesagt, leidlich unterhaltend und nach dem Rätsel von Flatey insgesamt eine Enttäuschung.

Bevor der Morgen graut

Viktor Arnar Ingólfsson, BLT

Bevor der Morgen graut

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Bevor der Morgen graut«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren