Die Gerechten

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 2006
  • 28
  • Frankfurt am Main: Scherz, 2006, Seiten: 448, Übersetzt: Rainer Schmidt
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2007, Seiten: 455
  • Frankfurt am Main: Fischer, 2009, Seiten: 445
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Lars Schafft
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2006

Schnitzeljagd per SMS gegen das jüngste Gericht

Gibt es "nette" Morde? Wo der Täter seinem Opfer so wenig Leid wie möglich zufügen möchte? Es scheint ein Paradoxon zu sein, gerade wenn man sich die Leiche des Mannes in einer New Yorker Straße anschaut. Denn mit Verletzungen hat der Mörder nun wirklich nicht gespart. Und doch ... - aber so weit sind wir noch lange nicht.

Denn fürs erste scheint die Sache klar, wir befinden uns im Zuhälter- und Drogenmilieu der Stadt, die nie schläft. Zum Schlafen kommt auch Will Monroe nicht. Er ist aufstrebender Nachwuchs-Journalist bei der "New York Times", muss sich die Sporen verdienen und über den Mord berichten. Was keiner wirklich vermuten konnte: Will entdeckt hinter der Tat tatsächlichdieStory, die ihn auf Seite Eins bringt. Der Ermordete, ein alteingesesenner Zuhälter mit Respekt in der Branche, war keineswegs der untadelige Mensch mit zig Feinden an jedem Finger, den man in einem Banden-Disput über den Jordan schickt. Er war ein Mensch, der Frauen davor bewahrt hatte, sich selbst zu verkaufen. Ihnen mit Dollars aus der eigenen Tasche die Demütigung ersparte. Er war ein guter Mensch, ein "Gerechter", wie sich eine Zeugin ausdrückt.

Am anderen Ende des Kontinents ein neuer Tatort

Auf seinen Lorbeeren kann sich der ambitionierte Schreiberling Monroe nicht lange ausruhen. Am anderen Ende der Staaten erwartet ihn abseits der Story, über die er eigentlich berichten sollte, eine weitere Leiche. Ein Milizionär, Pat Baxter. Fünfundfünfzig Jahre alt, seit Jahrem unter polizeilicher Beobachtung. Ein Mann ohne Verwandte. Und auch er hatte in seinem Leben eine außergewöhnlich gute Tat begangen. 

Was Will Monroe nicht ahnt: Hinter den Morden steckt ein Konzept. Und er ahnt auch nichts davon, dass quer über den Weltball weitere "Gutmenschen" einem Mörder zu Opfer fallen, der offensichtlich Zeichen setzen will. Will ahnt nichts von dem Pater, der sich in brasilianischen Slums für Armenkinder engagiert. Vom südafrikanischen Wissenschaftler, dem der Durchbruch in der AIDS-Forschung gelungen ist und der das Medikament aus den Labors schmuggelt, um es der ganzen Welt zur Verfügung zu stellen anstatt nur denen, die es sich leisten können. Vom indischen Programmierer, der einen gutartigen Computer-Virus programmiert hat. Er ahnt nichts von dem, was sich global zusammenbraut und wovon der New Yorker  Zuhälter nur der Stein gewesen ist, der die Sache ins Rollen bringen sollte.

Und viel schlimmer: Will Monroe hat auch keinen blassen Schimmer, wer und vor allem weswegen seine Frau Beth entführt hat. Wer ihn mit mysteriösen Hinweisen per SMS auf die Spur der Entführer und Mörder bringen möchte. Ob sie überhaupt noch lebt. Und was diese eigentümliche jüdisch-orthodoxe Gemeinde der Chassiden im Schilde führt, die bei ihrem ersten Aufeinandertreffen alles andere als freundschaftlich auftrat. Gemeinsam mit seiner Ex-Freundin TC, einem kleinen, attraktiven Genie, beginnt Will zu recherchieren...

Die Illuminaten haben ausgedient 

Auf den ersten Blick suggeriert das Buch etwas, was vielen sicherlich schon lange kein Grund mehr für die Lektüre eines Thriller ist. Eine weltweite Verschwörung, eine Kette von Morden - und das alles mit diesem gerade so angesagten Touch von Mystik, Historie und Religion. Doch weit gefehlt! Die Gerechten hat Hand und Fuß. Die Story hat das gewisse Etwas, die Hintergründe sind exzellent recherchiert, die Charaktere stimmig und originell.

Was zum einen beeindruckt, haben wir es doch mit Die Gerechten mit einem Debüt zu tun. Zum anderen überrascht der sehr gute Gesamteindruck dann wiederum doch nicht: Sam Bourne ist das Pseudonym des renommierten Journalisten Jonathan Freedland, der sich regelmäßig im "Guardian" in seiner Kolumne zu weltpolitischen Ereignissen kritisch äußert. Als Journalist weiß er, wie er zu recherchieren hat, was geprüft und immer wieder unter die Lupe genommen werden muss, bevor aus dem Gedanken ein Satz schwarz auf weiß wird. Es bedarf nicht vieler Seiten, um Sam Bournes Akribie auch in Thriller-Form begutachten zu dürfen.

Insbesondere Will Monroes Erlebnisse in der jüdisch-orthodoxen Gemeinde hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck, der sich über die kompletten 450 Seiten nur verfestigt und schließlich im Nachwort bestätigt: Sam Bourne gelibgt das kleine Kunststück, an dem schon so mancher Thriller-Autor gescheitert ist. Er schreibt nicht nur einen spannenden Plot, er schafft sogar - wie nebenbei - einige der tiefsten Erkenntnisse der jüdischen Religion, einige besondere Einsichten in eine kleine Gemeinde, dem Leser zu vermitteln. Der Mann, weiß wovon er schreibt. Und er weiß, wie er darüber zu schreiben hat.

Der Mann weiß, wovon er schreibt.

Denn das "Wie" hat sich der gute Jonathan Freedland von einem der erfolgreichsten Thriller-Autoren abgeschaut, wie er uns im Gespräch gestand. Wie bei Dan Brown sind die Kapitel kurz, springt die Story von Will und TC zu den entlegendsten Orten der Erde, bekommt der Leser einen Wink, der ihn in eine Richtung steuert, deren Ziel er lange aber nicht definieren kann. Trotzdem: "Die Gerechten" ist kein Hau-Ruck-Thriller, vielmehr baut Sam Bourne die Spannung langsam und mit viel Feingefühl auf - Mach-6-Flüge über den großen Teich, neuartigste Massenvernichtungs-Waffen und die Frage nach Beziehung Jesu zu Maria Magdalena hat der Autor Gott sei Dank nicht nötig. Er beschränkt sich darauf, wovon er wirklich Ahnung hat: auf das Tagesgeschäft eines Reportes und die jüdische Religion (Jonathan Freedland hat dort mütterlicherseits seine Wurzeln) - was aber freilich nicht bedeutet, dass der Leser auf einen atemlosen wie actionreichen Schluss verzichten muss. (Und bei dem nun auch wirklich kein Wissenschaftler in einem Anflug von Größenwahn halb lebensmüde aus einem Hubschrauber sich in die Tiefe stürzt...) 

Neben der Story können auch die Figuren gefallen. Will Monroe ist ein junger Mann, der plötzlich und gewaltsam in etwas verwickelt wird, dem er kaum standzuhalten weiß. Durch die Entführung seiner Frau gerät seine Welt aus den Fugen, er ist nahe daran, den Überblick zu verlieren und seine Karriere aufs Spiel zu setzen. Dass er dabei auch den ein oder anderen Fehltritt nicht vermeiden kann, macht den Briten und Oxford-Absolventen menschlich und sympathisch. Dazu kommen Charaktere wie die kongeniale TC, Wills Ex-Freundin, sein Vater (ein hoher Richter) und eine hinterhältige Konkurrenz bei der "Times", die Wills Leben schwerer macht, als es ohnehin schon ist.

Den Küchen-Test bestanden

Autor Sam Bourne erklärte uns von der Krimi-Couch, was für ihn neben der Korrektheit der Fakten das Wichtigste beim Schreiben seines Debüts war. Das Buch muss den "Küchen-Test" bestehen: Wenn der Partner sich schon hundemüde in die Federn wirft, muss der Roman so fesseln, dass man selbst mit wenig Licht in der Küche selbst, um das berühmte nur noch eine Kapitel zu lesen. Küchen-Test bestanden, Mr. Bourne! Und bei mir sogar den U-Bahn-Test, eine kleine Verschärfung: Wenn das Buch so spannend ist, dass man die eigene Haltestelle verpasst. Gratulation, ein toller Erstling! Und lehrreich dazu.

Die Gerechten

Sam Bourne, Scherz

Die Gerechten

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