Trügerisches Licht der Nacht

  • Klett-Cotta
  • Erschienen: Januar 1999
  • 1
  • Barcelona: Planeta, 1997, Titel: 'La Tempestad', Originalsprache
  • Stuttgart: Klett-Cotta, 1999, Seiten: 393, Übersetzt: Alexander Dobler
  • München: dtv, 2007, Seiten: 392
  • München: dtv, 2001, Seiten: 392
  • München: dtv, 2000, Seiten: 392
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Eva Bergschneider
63°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2006

Kunst, Mord und Intrige in der morbiden Atmosphäre Venedigs

Der Baske Juan Manuel da Prada ist 1997 in seiner spanischen Heimat geradezu gefeiert worden, erhielt er doch für "Trügerisches Licht der Nacht" (Originaltitel: "La tempestad") den Premio Planeta, den wichtigsten und höchst dotierten Literaturpreis Spaniens. Seit dem gilt er in seinem Land als "Wunderkind" und größtes literarisches Talent. Unumstritten ist, dass de Prada anspruchsvolle Romane in bildgewaltiger und poetischer Sprache schreibt. Reicht das aber aus, um ein breites Krimi-Publikum anzusprechen und gut zu unterhalten?

Verfall und Tod

Der Kunsthistoriker Alejandro Ballesteros ist nach Venedig gekommen, um das Thema seiner Doktorarbeit, Giogiones Gemälde "La tempesta", in Augenschein zu nehmen. Seine ganze akademische Laufbahn hat er damit verbracht, eine zufriedenstellende Interpretation des Bildes zu erarbeiten, da die Kunstwissenschaftler sich bisher auf keine Deutung einigen konnte. Kaum angekommen, wird der Spanier nicht nur mit eisigem Winterwetter und der düsteren Atmosphäre Venedigs konfrontiert, sondern auch noch Augenzeuge eines Mordes. Der berühmt-berüchtigte Kunstfälscher Fabio Valenzin stirbt von einer Kugel getroffen in Ballesteros' Armen. Gerade noch sieht Ballesteros eine Gestalt, die die Maske eines Pestdoktors trägt, weg laufen und einen glitzernden Gegenstand im brackigen Wasser der Lagune verschwinden. Der Tatort ist ein Palazzo, der von einem Amerikaner gekauft, aber entgegen den Auflagen nicht restauriert wurde, ein herunter gekommenes Gebäude dass von dem zwielichtigen Tedeschi bewacht und bewohnt wird.  Der ermittelnde Kriminalbeamte ist Nicolussi, ein kettenrauchender  Neapolitaner, der eine sehr eigenwillige Rechtsauffassung zu vertreten scheint und Tedeschi als den "üblichen Verdächtigen" in Haft nimmt
Der spanische Kunsthistoriker Ballesteros wohnt zunächst in der dem Palazzo gegenüber liegenden Pension Albergus Cusmano. Diese Pension diente ebenfalls dem Kunstfälscher Valenzin als Unterschlupf, der Ermordete hinterließ dort einen geheimnisvollen, hermetisch verschlossenen silbernen Koffer, dessen Schlüssel nicht aufzufinden ist.

Aqua alta und Obsession

Eigentlich ist Ballesteros Gast des Institutsdirektors Gilberto Gabetti, seine gerade von der Flut heimgesuchte Accademia  ist Ausstellungsort von "La Tempesta", dem eigentlichen Grund seiner Reise nach Venedig. Ballesteros lernt Gabettis Tochter, die Kunstrestauratorin Chiara kennen und ist auf Anhieb so fasziniert von ihr, dass er fortan seine Gedanken und Gefühle beinahe obsessiv auf sie fixiert.

Schon aus diesem Grund versucht Ballesteros, auf eigene Faust zu ermitteln, denn eifersüchtig spürt er, dass Chiara  ein Geheimnis hütet,  dass sie mit dem ermordeten Valenzin und mit einer einmaligen Fälschung in der Kunstgeschichte in Verbindung bringt.

Ballesteros trägt durch seine Geheimniskrämerei und emotionalen Kurzschlüsse maßgeblich dazu bei, dass er in einen Strudel aus Intrigen, Lügen und kriminellen Machenschaften gerät und bald die  Konsequenzen zu spüren bekommt, die unvermeidlich sind, wenn man sich mit den Niederungen der gar nicht so feinen venezianischen Gesellschaft anlegt.

Kriminalroman, Kunstkritik oder Charakterstudie über Venedig?

Die durchaus kreativ und schlüssig konstruierte Geschichte  in De Pradas »Trügerisches Licht der Nacht« geht in den ausführlichen Schilderungen über den Verfall Venedigs und den extensiven Diskussionen zum Thema Kunst und Wissenschaft unter, ein Spannungsbogen ist nicht erkennbar. Das düstere, morbide Flair Venedigs ist überaus atmosphärisch dicht beschrieben, die gegensätzlichen Argumente des Kunstwissenschaftlers und des "Romantikers" sind auch für den Nicht-Kunstkenner wirklich interessant zu lesen. Atemberaubende Spannung, die die Geschichte durchaus hergegeben hätte, bleibt allerdings auf der Strecke. De Prada konnte Krimi, Kunst und Venedig nicht gleichermaßen überzeugend auf den knapp 400 Seiten abhandeln.

Literarisch anspruchsvoll oder selbstverliebt?

De Prada ist ganz ohne Zweifel ein Meister der Allegorien und Metaphern. Seine emotionsgeladene Sprache und die intensiven bildhaften Beschreibungen sind einerseits sehr eindrucksvoll und poetisch und beweisen sein literarisches Talent. Andererseits wirken seine manchmal übertriebenen Formulierungen und häufig verwendeten Fachbegriffe unpassend selbstverliebt und langweilen den Leser schließlich.

Der Hauptcharakter Ballesteros wirkt völlig überzeichnet, er ertrinkt nahezu in Selbstmitleid und Depressionen, gegen ihn ist Henning Mankells Kurt Wallander ein richtig lebensfroher Zeitgenosse. Zudem nervt Ballesteros mit seiner Arroganz und seiner zwangserotischen Betrachtungsweise, sobald er einer Frau begegnet. Eine überzeugende Charakterisierung ist de Prada dagegen bei seinen Nebendarstellern Nicolussi und Dina gelungen. Alles in allem hat Juan Manuel de Prada sicherlich das Talent, einen bedeutenden Kriminalroman mit historischem und/oder gesellschaftspolitischem Hintergrund wie z.B. Umberto Eco Der Name der Rose zu schreiben. Mit "Trügerisches Licht der Nacht" ist ihm das noch nicht so ganz gelungen.

Ein Wort noch zum deutschen Titel, der mit "Trügerisches Licht der Nacht" nahezu unzulässig verallgemeinernd und absolut unpassend gewählt ist. In so einem Fall fragt man sich, wie intensiv sich der Verlag überhaupt mit dem literarischen Werk auseinander gesetzt hat.

Trügerisches Licht der Nacht

Juan Manuel de Prada, Klett-Cotta

Trügerisches Licht der Nacht

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