Der Duft des Kaffees

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2005
  • 9
  • München: dtv, 2005, Seiten: 260, Originalsprache
  • München: dtv, 2008, Seiten: 254, Originalsprache
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Thomas Kürten
74°1001

Krimi-Couch Rezension vonJan 2006

Ein Land auf Entzug

"Keine Macht den Drogen" oder "Jedem seine Droge"? Während von der Gesellschaft der Konsum von harten Drogen wie Heroin, Kokain, LSD und was das Labor nicht alles hergibt allgemein verurteilt wird und sich "weiche Drogen" wie Haschisch und Marihuana langsam auf dem Weg in die Legalisierung befinden (es wird vielleicht noch 15 oder 20 Jahre dauern...), kennen auch die breiten Massen ihre Leistungs- oder Stimmungssteigernden Mittel. Ohne Nikotin, Alkohol, Schokolade oder eben Kaffee könnte so ziemlich keiner von uns: -aufwachen; -sich konzentrieren; -entspannen; -Energie tanken; -einschlafen; -leben (?)

Autor Rekel ist ein Anbeter der braunen Kaffeebohnen. Er muss es einfach sein, denn ohne eine absolute Hingabe und Verehrung des aromatischen Gesöffs wäre weder eine Figur wie Privatröster Hans Brioni zu konstruieren noch ein Roman wie "Der Duft des Kaffees" in Gänze zu schreiben gewesen. Getreu dem Motto "Wenn ich schon zugebe, dass ich in irgendeiner Form süchtig bin, dann aber auch mit voller Würde und dem erbotenen Stil" trieft die Huldigung des "Weins des Orients" aus den Zeilen seines Werkes und wer nach Lektüre dieses Buchs noch glaubt, bei Starbuck’s und Konsorten für das gezahlte Vermögen auch einen entsprechenden qualitativ hochwertigen Kaffee serviert zu bekommen, ist selber Schuld.

Heimtückischer Koffeinanschlag

Jakob Brioni hat sein erstes Date mit Yazmina in einer szenigen Kaffeebar des Großrösters Drachus. Doch während das hübsche Mädchen einen Früchtetee ordert, bestellt Jakob einen Espresso. Kaum einen Schluck genommen, verfällt er ins Reden ohne Punkt und Komma. Koffeinrausch. Erst als er zuckend und bebend zusammenbricht, findet der Redeschwall ein Ende. Eine große Verschwörung jedoch hat soeben erst begonnen.

Nicht nur Jakob in Berlin, sondern Menschen aller Altersklassen aus dem gesamten Bundesgebiet werden an diesem Tag mit Spuren einer Koffeinvergiftung in die Krankenhäuser eingeliefert. Alle haben Kaffee der Marke Drachus getrunken. In der Redaktion des Fernsehsenders D1 wird daran gearbeitet, eine gelungen gewobene Story daraus aufzubereiten. Die junge Agathe darf mit einem Kameramann zu Hans Brioni, Jakobs Vater und von Beruf Privatröster, und ihn um eine Stellungnahme bitten. Der ist zunächst geschockt und gelähmt durch die ernste gesundheitliche Lage seines einzigen Sohnes. Bald jedoch beginnt er sich zu fragen, wer eine solch raffinierte Anschlagserie austüfteln könnte. Und er erinnert sich, irgendwo vor ein paar Jahren mal eine kulturhistorische Studie zum Thema Kaffee in der Gesellschaft in den Händen gehalten zu haben.

Die Rolle des Kaffees in der Entwicklung der abendländischen Gesellschaft

Rekel entwirft ein phantasiereiches und interessantes Szenario: ein Land ohne Kaffee. Teilweise nimmt das Bild dabei humorvoll-groteske Züge an, etwa wenn Brioni am Hauptbahnhof 1 Kilo "besten polnischen Kaffees" zu wucherhaften 60 Euro angeboten werden. Oder wenn der Privatröster deutlich unter Entzug leidend mit einer selbst gebastelten kleinen Espressomaschine seine letzte Notration aufbrüht. Allerdings entwirft der Autor auch eine interessante Frage in Bezug auf die Stellung der europäischen Kultur und Gesellschaft in der Welt. Ist es letztendlich dem Kaffee allein zu verdanken, dass die Menschen zu den wesentlichen Revolutionen, allen voran die Französische Revolution, bereit waren? War es das schwarze Getränk aus dem Orient, das die Massen zum Aufstand gegen die Obrigkeit bewog? Wird ein Volk träge und unmotiviert, wenn man ihm die "Volksdroge" Kaffee entzieht?

Bei so viel Enthusiasmus, mit dem Rekel über Kaffee schreibt, bei so viel Liebe und so viel Engagement, verzeiht der Krimifreund gerne, dass einige Zusammenhänge sich durch die merkwürdigsten Zufälle ergeben. Wie Brioni über die wissenschaftliche Studie, die er seinerzeit durch einen unglaublichen Zufall wenige Augenblicke in Händen hielt, auf die brennend - pardon, röstend - heiße Spur der Verschwörer kommt, stößt besonders auf. Besser ist er da in der Darstellung seiner Protagonisten, vor allem in der Entwicklung der persönlichen Beziehung zwischen Brioni und Agathe über den gesamten Handlungsverlauf.

Dieser Roman macht Lust auf eine gute Tasse Kaffee. Es darf auch gerne ein Kännchen sein, aber bestimmt keine bitteren Robusta Bohnen, sondern auf alle Fälle Arabica, die im Hochland wachsen. Inwiefern auf einem von Masse überschwemmten Markt (Kaffee ist nach Öl der Rohstoff mit dem weltweit größten Umsatz) sich letztendlich Qualität gegenüber überteuerten Verschnitten (karamellisierter Kaffee = Kaffee mit Zuckerzusatz, um die Bitterstoffe zu übertünchen) behaupten kann, mag dahin gestellt sein. Zu einem Feldzug gegen Discount-Kaffeehäuser wird der Roman nicht reichen. Aber Rekels Zielgruppe ist riesig und wird diesen guten Roman in Verbindung mit der einen oder anderen Tasse guten Kaffees dankend aufnehmen.

Der Duft des Kaffees

Gerhard J. Rekel, dtv

Der Duft des Kaffees

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