Gnadenthal

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2006
  • 28
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2006, Seiten: 220, Originalsprache
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Thomas Kürten
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2005

Eine wilde Horde alter Freunde

Ein neuer Rhythmus, an den sich die Fans langsam gewöhnt haben dürften. Seit Leenders/Bay/Leenders ihre Romane bei Rororo veröffentlichen, liegen nun immer zwei Jahre unerträglich langer Wartezeit dazwischen. Nach der Schanz 2004 erschien im April 2006 mit "Gnadenthal" der nunmehr elfte Fall des Ermittlergespanns Toppe, Steendijk, Ackermann. Und der ist zugegebener Maßen mal ein wenig anders gestrickt.

Aus einer Gruppe von Studenten entstand in den frühen 70er Jahren ein politisches Kabarett, das nun zur Vorbereitung auf das Programm zum 30-jährigen Jubiläum in Klausur geht. Wie jedes Jahr trifft sich die "Wilde 13" im Herbst auf Schloss Gnadenthal bei Kleve und jeder der 13 Mitglieder verbindet mit der Gruppe sein ganz eigenes Schicksal. Besonders dem Buchhändler Martin Haferkamp wird das bewusst, als er in Vorbereitung eines Best-of in seinem Privatarchiv nach Fotos und alten Sketchen sucht. Zahlreiche Spannungen bestehen unter den einzelnen Mitgliedern, besondere Aufregung entsteht jedoch dadurch, dass Frieder Seidl, heimlicher Mastermind der Gruppe, dieses Jahr ohne Absprache die Klausurzeit auf 2 Wochen verdoppelt hat und im Vorfeld für niemanden erreichbar ist. Angekommen im Schloss herrscht sofort eine verdorbene Stimmung unter den Hobbykünstlern. Frieder will weitere Änderungen grundlegender Natur und überrascht die Gruppe spätnachts mit einer Ankündigung. Am nächsten Morgen ist er tot.

Langer, gründlicher Aufbau — fulminanter Schlussspurt

Über zwei Drittel des Romans werden vom Autorentrio dazu verwendet, die Beziehungen der Mitglieder der "Wilden 13" untereinander darzulegen. Das vor über 20 Jahren verunglückte Mitglied Klaus, die Ehe von Dagmar und Rüdiger, Kai und seine kranke Frau, der kritische Martin, der untalentierte Hansjörg und der Mitläufer Heinrich. Alle haben ihre ganz eigenen Geheimnisse vor-, sowie Animositäten untereinander. Die Idee, diesen Aufbau dadurch zu erreichen, dass Martin beim Durchblättern seiner Fotokiste begleitet wird, schmiegt sich wunderbar in die anfangs ruhige Stimmung ein.

Was die meisten Fans der Kommissare vom Niederrhein enttäuschen dürfte: Toppe, Astrid Steendijk und Ackermann treten nur im Schlussdrittel des Romans auf, wo sie auf geballten 75 Seiten das Rätsel entwirren. Dieser Teil erinnert vom Tempo her an ein Drehbuch. Er wird dominiert von Dialogen und Verhören und die Ereignisse der Tatnacht werden wie ein Puzzle Stück für Stück von den Beamten zusammen getragen. Was die Autoren dabei vergessen haben: die persönliche Entwicklung ihrer eigentlichen Protagonisten bleibt vollständig außen vor. Es gibt nichts Neues aus dem Leben von Toppe und Astrid und außer der rosa Cordhose gibt es auch über Ackermann eigentlich nichts zu berichten. Wer den Titel primär kauft, weil er sich in den zehn Bänden zuvor in die Drei vernarrt hat, wird von "Gnadenthal" wohl eher enttäuscht sein.

Den Kriminalfall an sich betrachtet, haben die Autoren beeindruckend routinierte Arbeit geleistet. Die Dramaturgie ist mustergültig gelungen, der Spannungsaufbau meisterhaft und die Personenzeichnungen einfallsreich und gründlich. Auch der Ort, an dem zwei Drittel der Handlung spielen, ist hervorragend in Szene gesetzt. Wer sich selbst ein genaueres Bild machen will, der schaue mal auf www.gnadenthal.de nach. Sogar die afrikanischen Skulpturen, die im Park stehen, haben Leenders/Bay/Leenders in ihrem Roman verarbeitet. Mit "Gnadenthal" hat das Trio seine Position in der ersten Liga der deutschen Krimischreiber untermauert. Es bleibt jedoch zu hoffen, dass der zwölfte Fall der Ermittler vom Niederrhein wieder mehr Futter für die Fans von Toppe & Co. bietet.

Gnadenthal

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