Der Schlächter von Dead End

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1968
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  • London: Hale, 1953, Titel: 'This Way for a Shroud', Seiten: 255, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1968, Seiten: 182, Übersetzt: Manfred Schreiber
  • Frankfurt am Main; Berlin; Wien: Ullstein, 1979, Seiten: 182
Der Schlächter von Dead End
Der Schlächter von Dead End
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2005

Ein Gangsterboss dreht völlig durch

Delikat und grausig zugleich ist der Fall, den Charles Forest, Staatsanwalt für den Bezirk Hollywood, seinem Chefermittler Paul Conrad überträgt. Im Swimmingpool ihrer "Dead End" genannten Riesenvilla hat man den aufgeschlitzten und enthaupteten Körper des Filmstars June Arnot gefunden; der Schädel ist verschwunden. Damit nicht genug: In und beim Haus findet man die Leichen des Pförtners, des Gärtners, des Kochs, der Zofe, des Butlers und des Hausboys. Alle wurden sie kaltblütig und zielgenau mit einer Pistole des Kalibers .45 erschossen.

Die Medien feiern dieses Schlachtfest bis ins letzte blutige Detail. Es kommt für sie sogar noch besser: Hauptverdächtiger ist Ralph Jordan, Arnots Geliebter und Regisseur, der gerade vom Studio wegen seiner Drogen- und Alkoholexzesse vor die Tür gesetzt wurde. Als ihn Conrad in seiner Wohnung befragen will, findet er ihn dort mit durchschnittener Kehle in der Badewanne. Hat sich ein siebenfacher Mörder selbst gerichtet?

Oder ist er einem Konkurrenten in die Quere gekommen? June Arnot unterhielt nach Aussage ihres Managers Harrison Fedor auch ein Verhältnis mit dem Nachtclubbesitzer und Gangsterboss Jack Maurer. Ihm ist das Gesetz schon lange und bisher vergeblich auf den Fersen. Conrads Theorie zufolge hat Maurer von seinem Nebenbuhler erfahren, seine Geliebte und Jordan in seinem Zorn umgebracht und die Zeugen auf dem Arnotschen Anwesen von seinem Chauffeur und Leibwächter Tony Paretti aus dem Weg räumen lassen. Dieser ist seither untergetaucht; womöglich hat sich Maurer auch seiner entledigt. Conrad will Parettis Lebensgefährtin Flo Presser verhören. Er findet sie mit einem Eispickel erstochen vor. Sie wird nicht das letzte Opfer sein in diesem Fall, der sich zum Wettlauf zwischen Gesetz und Verbrechen, zwischen Conrad und Maurer entwickelt. Besonders delikat: Conrads schöne aber unzufriedene Gattin Janey ist Dauergast in Maurers Club und zeigt sich Umgarnungsversuchen durchaus aufgeschlossen, was die Ermittlungen keineswegs einfacher werden aber die Emotionen kochen lässt ...

Harter Thriller ohne Raffinessen

Nur als Auftakt ein siebenfacher Mord samt Enthauptung: Hier wird kein feines kriminalliterarisches Netz gesponnen, sondern Tempo gemacht. Folgerichtig gleicht die Jagd auf einen Gangsterboss eher einem Krieg, bei dem auf beiden Seiten keine Nachsicht geübt wird. Das muss für eine Geschichte nicht von Nachteil sein. Auch diese ist unterhaltsam. Ungeachtet der Entstehungszeit geht es erstaunlich heftig zur Sache. "Der Schlächter von Dead End" ist eher Thriller als Krimi. Zwar geht es um oberflächlich um polizeiliche Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen. Die beschriebenen "police procedurals" wirken - um es zurückhaltend auszudrücken - jedoch nicht annähernd so überzeugend wie in einem zeitgleichen Roman von Ed McBain.

Auch sonst wird trotz der rasant und geradlinig erzählten Story nur allzu klar, dass Entscheidendes fehlt: Von Atmosphäre keine Spur. Statt Nostalgie liegt dick der Staub von Jahrzehnten auf dem Geschehen. Bitter vermisst wird auch nur ein Hauch von Humor. Bierernst kommt "Der Schlächter von Dead End" daher.

Vielleicht sollte man dieses Werk als Roman zu einem nie entstandenen Film goutieren. Im Hollywood der 1950er Jahre sind zahllose Gangster-B-Movies im Stil von "Der Schlächter ..." entstanden. Moralisierend und holzschnittartig aber gleichzeitig handwerklich kompetent in Szene gesetzt können sich auch heute noch unterhalten, wenn man ihre Schwächen als typisch hin- und nicht übel nimmt.

Das Gesetz kennt kein Pardon!

Die recht simple Struktur der Story spiegelt sich auch in den Figurenzeichnungen wider. Sie erregen aber heutzutage durch ihre allzu zeitgenössische Eindimensionalität Missfallen. Als Leser steht man ihnen unbeteiligt gegenüber. Sie sind sämtlich unsympathisch. Paul Conrad ist beispielsweise nicht nur ein Ermittler, sondern repräsentiert das Gesetz - mit Leib und Seele! Wenn sein Chef pfeift, dann springt er, denn es bereitet ihm geradezu körperliche Schmerzen, wenn ein Gauner ungezüchtigt bleibt. Dass Conrad gleichzeitig persönliche Rachegefühle befriedigen kann, ist überhaupt kein Problem; schlimm genug, wenn das Gesetz auch Abschaum wie Jack Maurer schützt! Ihm kann Conrad außerdem seine privaten Probleme ankreiden. Er wünscht sich (und verdient) ein Heimchen am Herd, doch bekommen hat er eine Gattin, die etwas erleben will und sich vernachlässig, ja gefangen fühlt in der Ehe mit einem Spießer, der wie Pawlovs sprichwörtlicher Hund auf kriminelle Umtriebe reagiert und rund um die Uhr arbeitet. Er wäre wohl besser mit der patenten Sekretärin Madge verheiratet, die wie Kollege Van vermutlich im Aktenschrank von Conrads Büro übernachtet und keine lästige Aufmerksamkeit einfordert.

Frauen sind immer verdächtig ...

Janey Conrads Verhalten gilt als schlimmes Vergehen und verdient Strafe in der Welt des J. H. Chase. Sie verkörpert dessen aus heutiger Sicht bemerkenswertes Frauenbild. Er, der ein halbes Jahrhundert mit derselben Frau verheiratet war, stellt seine weiblichen Figuren zu oft als schön und schlau, aber egoistisch, verräterisch und mörderisch dar, als dass dies ein Zufall sein könnte. Auch Maurers derzeitige Geliebte Dolores fällt in diese Kategorie: "Solange fette alte Männer Geld und Macht besaßen, wählte Dolores sich fette alte Männer." (S. 55) Schließlich präsentiert Chase seinen weiblichen Figuren die Rechnung und liefert sie gern einem grausamen Schicksal aus, das mit viel Liebe zum sadistischen Detail beschrieben wird. Was Chase hier möglicherweise kompensieren musste bleibt unklar; er lebte sehr zurückgezogen, biografische Zeugnisse sind rar.

Geschmeiß, das es zu vertilgen gilt

Jack Maurer ist kriminell und deshalb der personifizierte Unmensch. Der Verfasser lässt ihn das reichlich unter Beweis stellen. Dass sich gleichzeitig seine Vorstellungen vom organisierten Verbrechen in den USA eindimensional auf "Gartenzwergniveau bewegen, verwundert kaum. Vielleicht war der zeitgenössische Leser auch noch naiv genug zu glauben, dass Verbrechen sich nie lohnt und stets hart bestraft wird. Und in den Verdacht "kriminell" zu sein gerät ein Bürger von Chases Amerika schon, wenn er oder gar sie einen Nachtclub - offenbar ein Synonym für Sünde & Zügellosigkeit - betritt. Anpassung und Biedersinn ersetzen das zwar theoretisch vorhandene, praktisch aber besser der Obrigkeit überlassene Recht auf freie Lebensgestaltung.

Obergangster Maurer ist von allerlei schillernden Kleinganoven umgeben, deren offensichtliche Dummheit nur ihrem Chef verborgen zu bleiben scheint. Sie tragen einsilbige Vornamen wie Moe oder Pete, sind hässlich, brutal, dumm und auch sonst ostentativ vertiert. Immer wieder bauen sie Mist, doch unverdrossen setzt sie Maurer erneut auf neue Untaten an. Immerhin gibt es Überraschungen: Der psychotische Pete Weiner wird vom Saulus zum Paulus, als ihm ausgerechnet die Frau, die er ermorden soll, trotz seines entstellenden Feuermals freundlich begegnet.

Im Umfeld des "echten" Verbrechens existiert außerdem eine Halbwelt moralisch bedenklicher und geistig ebenfalls minderbemittelter Zocker, "Tänzerinnen" oder Schauspieler, die von der Polizei verächtlich geduzt, herumgeschubst und zum Spitzeldienst gepresst werden. So herrschen wenigstens im Unterhaltungsroman jene "law & order", deren Existenz allen Bürgern dieser Welt von ihren Regierung gern vorgegaukelt wird.

Der Schlächter von Dead End

James Hadley Chase, Ullstein

Der Schlächter von Dead End

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