Scharaden

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2005
  • 6
  • München: Goldmann, 2005, Seiten: 412, Übersetzt: Gunnar Kwisinski
Scharaden
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Eva Bergschneider
86°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2005

Ein Portrait des beginnenden Nazi-Deutschland - spannend, komplex und vielschichtig, charmant und humorvoll

"Scharaden" ist nun Walter Satterthwaits dritter Roman rund um das Ermittlerpaar Phil Beaumont und Jane Turner aus der renommierten Londoner Detektei Pinkerton. Der erste Roman dieser Reihe, Eskapaden, spielt in einem Schloss in Devon und handelt von einem Fall mit so schillernden Charakteren wie Sir Arthur Conan Doyle und Harry Houdini. Maskeraden, der zweite Krimi dieser Reihe, spielt im Paris der wilden zwanziger Jahre. Turner und Beaumont machen die Bekanntschaft des freundlichen Poltergeistes Ernest Hemingway und sind Gäste im Salon von Gertrude Stein, der das Zentrum der Pariser Künstlerszene bildet.

Walter Satterthwait schaffte es in dieser Agenten-Serie, interessante Geschichten mit faszinierenden Menschen zu entwickeln, die an historisch spannenden Orten spielen. So darf man nun gespannt sein, wohin uns »Scharaden« führen wird und welche Persönlichkeiten diesmal die Hilfe der beiden Pinkerton Detektive in Anspruch nehmen.

Ein pikanter Auftrag: Die Aufklärung eines versuchten Attentates auf Adolf Hitler

Berlin 1923, Deutschland nach dem 1. Weltkrieg: Nach dem Kaiserreich tritt die Regierung der Weimarer Republik ein schweres Erbe an. Die Hyperinflation befindet sich auf dem Höhepunkt, die Deutschen verfeuern ihre wertlos gewordenen Ersparnisse im Ofen, es herrschen Chaos, Armut und Massenarbeitslosigkeit. Zahlreiche politische Gruppierungen unterschiedlichster Ausrichtungen versuchen Einfluss auf das politische Geschehen zu nehmen. In Bayern tritt zunehmend die NSDAP unter der Führung von Adolf Hitler in Erscheinung.

Phil Beaumont und Jane Turner werden von den Nationalsozialisten beauftragt, ein missglücktes Attentat auf Hitler zu untersuchen, ein Unbekannter hat versucht, den Parteivorsitzenden der NSDAP im Berliner Tiergarten zu ermorden.

Den beiden Pinkerton Detektive kennen sich mit der politischen Situation in Deutschland nicht aus, über Adolf Hitler wissen sie ebenso wenig, wie über die politischen Ziele der Nazis. Putzi Hanfstängl, der Pressechef der Partei, nimmt sich der beiden Detektive an, organisiert den Aufenthalt und die Zeugenbefragungen und erklärt die innenpolitische Lage. Phil Beaumont und Jane Turner ermitteln zunächst in der Berliner Halbwelt und entdecken dabei die Leiche einer jungen Engländerin, die möglicherweise von Hitlers Verabredung mit dem Befehlshaber der Reichswehr im Tierpark gewusst hat.

Über Bayreuth erreichen Beaumont und Turner schließlich München und Putzi Hanfstängl hat immer mehr Mühe, den offensichtlichen Antisemitismus der Nazis zu relativieren, der den beiden Detektiven zunehmend zu schaffen macht. Für die Nazis ist zweifelsfrei klar in welchen Kreisen der Attentäter zu suchen ist: "die Kommunisten, die Bolschewisten - die roten Schweine" werden für den Mordversuch verantwortlich gemacht. Beaumont und Turner geraten zunehmend in Bedrängnis, fühlen sich ausspioniert und von ihren Auftraggebern für deren politische Zwecke missbraucht.

Die beiden versuchen nun umso entschlossener die Nazi-Machenschaften aufzudecken und finden Verbündete unter den vermeintlichen Tätern. Die Ermittlung der wahren Hintergründe ist nicht wirklich im Interesse ihrer Auftraggeber. Schließlich erfahren die Pinkerton Detektive am eigenen Leib, wie kompromisslos brutal die Nazis ihre Ziele verfolgen und geraten in tödliche Gefahr.

Ein Stück deutscher Geschichte in einem unterhaltsamen Agenten-Krimi

Hauptmann Ernst Röhm, Rudolf Heß und schließlich Adolf Hitler sind die Persönlichkeiten mit denen es Phil Beaumont und Jane Turner in »Scharaden« zu tun haben, Namen die man später mit Unmenschlichkeit, Krieg und Völkermord in Verbindung bringen wird. Handlungsorte sind Berlin und München, die Städte in Deutschland, in denen die politischen Verhältnisse dieser Zeit nicht unterschiedlicher hätten sein können.

Walter Satterthwait lässt sowohl das politische Klima, als auch die wirtschaftliche Situation dieser Jahre so genial in seinen Roman mit einfließen, dass der Leser richtig Lust bekommt, die alten Geschichtsbücher nochmal ab zu stauben und sich mit dieser spannenden Zeitepoche auseinander zu setzen. Dem Autor sind bei den Ortsbeschreibungen durchaus einige "Schnitzer" unterlaufen. So war in der eher ärmlichen Wohnung eines Schwabinger Polizisten sicherlich kein Fernsprecher zu finden und die Siegessäule stand 1923 noch nicht im Stern, sondern vor dem Reichstag.

Die Grundstimmung und Atmosphäre in Deutschland wurde allerdings erschreckend realistisch eingefangen und passend in Szene gesetzt. Walter Satterthwait gelingt ein überaus nachvollziehbares Portrait des beginnenden Nazi-Deutschland. Dem Leser wird zudem eine richtig spannende, komplexe und vielschichtige Geschichte mit faszinierenden Charakteren geboten, die in einem charmanten und humorvollen Stil aus zwei unterschiedlichen Perspektiven geschildert wird.

Atemberaubende Verfolgungsjagden und sentimentale Briefe

Phil Beaumont erzählt die Geschichte als Agenten-Krimi aus seiner Sicht in einem humorvollen, teils bitter-ironischem Stil, temporeich und mit einigen Überraschungen. Jane Turner schreibt einer Freundin ausführliche Briefe, in dem sie die Geschehnisse aus ihrer mehr emotional geprägten Sicht erzählt. Der Perspektivenwechsel ermöglicht es dem Leser einerseits, an dramatischen Verfolgungsjagden teilzunehmen und andererseits eine tiefgründigere, hinterfragende Sichtweise zu erleben. Jane Turners Briefe geben dem Leser allerdings ein Rätsel auf: wie kann sie, obwohl die beiden Detektive ständiger Verfolgung ausgesetzt sind, ein so eklatantes Sicherheitsrisiko eingehen und ihrer Freundin alle Einzelheiten schildern? Die Vorgängerromane geben anscheinend Aufschluss darüber, dass diese Briefe eher Tagebuchcharakter haben und diese Freundin nicht existiert. Etwas unbefriedigend ist die Auflösung des eigentlichen Falles, die erscheint ganz am Schluss eher zufällig aus dem Hut gezaubert.

Trotz der angesprochenen kleinen Schwächen ist Walter Satterthwait mit "Scharaden" ein ganz besonderer Roman gelungen, der den Zeitgeist der Weimarer Republik in Deutschland dem Leser beklemmend nahe bringt und dennoch erstklassige Krimi-Unterhaltung bietet. Sehr gerne mehr von dieser Sorte!

Scharaden

Walter Satterthwait, Goldmann

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