Bedenke, dass wir sterben müssen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 2004
  • 2
  • London: Bantam, 2003, Titel: 'Days without Number', Seiten: 383, Originalsprache
  • München: Goldmann, 2004, Seiten: 432, Übersetzt: Peter Pfaffinger
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2004

Mordreiche Schatzjagd kaiserlicher Dilettanten

Michael Paleologus ist ein über die Grenzen Englands hinaus bekannter Archäologe. Stolz verweist er außerdem auf seine Ahnenreihe, welche die Dynastie der Palaiologos' einschließt, die das Byzantinische Reich in dessen letzten beiden Jahrhunderten bis zum Untergang 1453 beherrschten. Von den türkischen Eroberern vertrieben, siedelten sich die Angehörigen des auf den Mauern von Konstantinopel im Kampf gefallenen Kaisers Konstantin XI. im sicheren Europa an. In England gibt es heute nur noch den alten Michael und seine Nachkommen.

Allein und unnahbar residiert der Patriarch auf Trennor, dem einsam gelegenen Landsitz unweit der Stadt Plymouth in der westenglischen Grafschaft Devon. Er ist hinfällig geworden und soll nach dem Willen der Kinder in ein Altersheim gehen. Genau jetzt geschieht es, dass ein mysteriöser aber offenbar schwerreicher Mr Tantris Trennor für eine halbe Million Pfund erwerben möchte. Tantris' Assistentin, die Historikerin Elspeth Hartley, hat in alten Archivalien recherchiert, dass im 17. Jahrhundert ein wertvolles Kirchenglasfenster irgendwo in den Mauern von Trennor verborgen wurde. Diesen Schatz will Tantris unbedingt heben.

Doch Michael schlägt das Angebot aus. Nach einer letzten großen Konfrontation mit seinen Kindern wird der alte Mann am nächsten Morgen tot auf dem Boden des Weinkellers von Trennor gefunden. Anscheinend ist er wieder einmal gestürzt und hat sich den Schädel eingeschlagen. Das Schicksal scheint es endlich gut mit den Kindern zu meinen, doch Michael kann noch aus dem Grab einen letzten Schlag landen: Trennor vermacht er seinem Cousin Demetrius Paleologus aus Venedig, von dem die Geschwister niemals gehört haben. Sein Testament hat Michael nur Tage vor dem Tod privat geändert. Nicht einmal sein Anwalt kennt das Dokument. Also kommen die wütenden Brüder und Schwestern überein es zu vernichten und Trennor wie geplant an Tantris zu verkaufen. Mit dieser Tat setzen sie eine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang, welche die Familie Paleologus ins Verderben stürzen wird. Michael ist weder der erste noch der letzte seiner Sippe, den der Tod ereilt, und als das wahre Geheimnis von Trennor entdeckt wird, geht die Hetzjagd erst richtig los ...

Goddard lässt die Handlung Haken schlagen

Er ist ein fleißiger Schriftsteller, dieser Robert Goddard. Fast jedes Jahr legt er einen seiner Rätselthriller vor. Klar, dass er nicht immer einen Volltreffer landen kann. "Bedenke, dass wir sterben müssen" ist jedenfalls keines der besseren Goddard-Werke. Wie immer gibt er sich Mühe seinem Ruf gerecht zu werden, legt falsche Fährten, lässt die Handlung Haken schlagen, unterfüttert sie mit einem historischen Rätsel, hinter dem sich ein weiteres Rätsel verbirgt ... oder auch nicht aber dann wieder doch.

Dem wilden Zickzackkurs der Story mag auch der willige Leser bald nicht mehr folgen. Goddard übertreibt es mit den Überraschungen. Zu schematisch ist der Plot zudem konstruiert. Wir sehen bei der Lektüre förmlich die Randanmerkungen, mit denen sich der Verfasser daran erinnert, an dieser Stelle ein neues Täuschungsmanöver zu beginnen. Die Glaubwürdigkeit der Geschichte leidet sehr darunter. Thriller müssen nicht logisch sein, aber sie sollten nicht gar zu offensichtlich Schindluder mit der Logik treiben. In unserem Fall führt es zum bekannten Phänomen des Finales, dessen Dramatik darunter leidet, dass die Beteiligten wortreich erklären müssen, was eigentlich bisher geschehen ist.

Sehr aufwändig und doch seltsam überflüssig hat Goddard der Handlung als Fundament eines dieser heutzutage so beliebten historischen Rätsel unterlegt. Offenbar hat jeder, der Jesus Christus kannte, sein eigenes Evangelium verfasst, damit es zwei Jahrtausende später entdeckt werden und die Welt aus den Angeln heben kann, was kriminelle Vatikanisten und papstgesteuerte Geheimbündler mordreich zu verhindern trachten. Auch Goddard schreibt die Historie teilweise um. Bei ihm ist es eher ein intellektuelles Spiel; er traut sich nicht recht mit den Fakten jene dreiste Kleisterei zu veranstalten, die Dan Brown und Konsorten zu Bestsellerruhm verhilft. Stattdessen vernetzt Goddard wissenschaftlich gesicherte Fakten zu einer durchaus überzeugenden "Rekonstruktion", ohne damit den Boden der Fantasie jemals zu verlassen und verlassen zu wollen.

Viel Boden macht der Verfasser wett, indem er einfach sein Handwerk versteht. Goddard-Romane sind keine verkappten Filmdrehbücher. Er scheut nicht vor langen Sätzen zurück und setzt einen Wortschatz im dreistelligen Bereich voraus. Trotzdem schleppt sich das Geschehen hin und wieder ein wenig trocken dahin. Goddard ist kein Wortzauberer, sondern ein solider Handwerker.

Reigen realistisch unsympathischer Helden

Was könnte geschehen, wenn zwischen dem vielleicht kostbarsten Gut der Menschheit und einer bösen Macht nur ein Grüppchen denkbar ungeeigneter Wächter steht? Das sind die fünf Brüder und Schwestern Paleologus, die jeder und jede auf ihre traurige Weise im Leben gescheitert sind. So enttäuscht zeigte sich ihr Vater, der seine Kinder immer wieder auf die Probe gestellt hatte, dass er gar nicht in Betracht zog diese in das große Geheimnis einzuweihen oder gar eines von ihnen zu seinem Nachfolger zu ernennen. Die fünf Ahnungslosen vollenden ihr Versagen, indem sie unfreiwillig immer wieder dem unsichtbaren Feind in die Hände spielen.

Erst in letzter Minute beginnt zumindest einer dieser vom Verfasser recht unsympathisch geschilderten Jämmerlinge den Braten zu riechen. Da haben sich die Reihen des Feindes freilich schon formiert. Aber der unwillige Nachfahre eines spätantiken Herrschers muss zu seiner eigenen Überraschung erkennen, dass wohl doch ein wenig Heldenblut durch seine Adern kreist. Bis der Kampf mit den Bösen vorüber ist, wird er übrigens mehr davon zu sehen bekommen als ihm lieb ist ...

Wie so oft kann das gelüftete Rätsel mit dem Grübeln darüber nicht mithalten. Ohnehin fällt es schwer, gerade die endlich entlarvten Drahtzieher hinter dem Komplott gegen die Familie Paleologus als überzeugende Bösewichte zu akzeptieren. Sie setzen keine kriminellen Glanzlichter und mussten wohl auf die Unbedarftheit ihrer Opfer setzen. Die Polizei hält sich sowohl in England als auch in Italien zurück; offenbar interessiert sich das Gesetz weder hier noch dort für Leichenfunde oder mögliche Entführungen.

Viel mehr Energie investiert Goddard in die Figurenzeichnung der Paleologus-Geschwister, was letztlich überflüssig ist, da die meisten für die eigentliche Handlung ohne echte Bedeutung bleiben. Aus einem Thriller soll oder will immer wieder ein Psychodrama werden, ohne dass Goddard diese Mischung gelingt. Das Resultat ist weder Fisch noch Fleisch, sondern "nur" ein lesbares Buch. Das ist natürlich auch nicht zu verachten.

Bedenke, dass wir sterben müssen

Robert Goddard, Goldmann

Bedenke, dass wir sterben müssen

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