Das ideale Verbrechen

  • btb
  • Erschienen: Januar 2004
  • 9
  • Reykjavík: Mál og menning, 2000, Titel: 'Morðið i sjónvarpinu', Originalsprache
  • München: btb, 2004, Seiten: 222, Übersetzt: Elena Teuffer
  • München: btb, 2005, Seiten: 222
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Thomas Kürten
68°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2004

Was Mama so sagt

Island ist klein und trotzdem hat es alles, was es auch in einem großen Land gibt. Bei gerade mal 280.000 Einwohnern gibt es natürlich auch eine Drogenszene, ein Nachtleben und alle Arten von Verbrechen. Andererseits gibt es Ärzte, Anwälte, eine Polizei, diverse Fernsehsender und eine bemerkenswerte Literaturszene. In Island gibt es die höchste Dichte an Autoren unter den Einwohnern. Natürlich sind die Auflagen der einheimischen Verlage vergleichsweise niedrig, aber einige bringen es dazu, dass ihre Romane übersetzt und somit exportiert werden.

Einer dieser Schriftsteller veröffentlicht seine Romane unter dem Pseudonym "Stella Blomkvist". Wer sich dahinter verbirgt, ist nicht bekannt, aber es wird vermutet, dass es eine Person mit Insiderwissen aus Polizei-, Gerichts-, oder Ministerienkreisen handelt. Allein das macht die Bücher von Stella Blomkvist schon für Isländer interessant.

Tod vor laufender Kamera

Stella Blomkvist, so ist auch der Name der Protagonistin in diesen Romanen. Eine junge Anwältin, die von Berufs wegen mit Gewalt und Verbrechen konfrontiert wird und sich in die zu nachlässigen Ermittlungen der "Goldjungs" (wie sie die isländischen Polizisten nennt) einmischt.

An einem Abend passieren zwei Dinge: Während sich Stella fertig macht, um in das Nachtleben der Hauptstadt Reykjavik einzutauchen, wird sie am heimischen Bildschirm Zeuge, wie eine junge Schauspielerin während einer Talkshow tot zusammen bricht. Später in der Innenstadt begegnet sie der jungen Asiatin Corazon, die unter Vorwand nach Island verschleppt wurde, sich hier prostituieren sollte und nun auf der Flucht vor ihren Peinigern ist. Während sich Stella zunächst mal vorrangig um Corazon kümmert, wird eine junge Produktionsassistentin von der Polizei verhaftet, die im Verdacht steht, das Wasserglas der jungen Schauspielerin mit Gift versehen zu haben. Stella wird von deren Mutter mit der Verteidigung beauftragt.

Perfekt beschriebene Hauptfigur

Interessant wird der Roman aufgrund zweier Aspekte. Zum einen der moderne Schreibstil. Präsens durchgehend, kurze und knappe Sätze. Nicht jedermann wird unmittelbaren Gefallen daran finden, dennoch ist der in Ich-Perspektive vorgetragene, freche und unverblümte Stil eine Stärke des Romans. Denn dadurch wird der andere hervorzuhebende Aspekt, eine sehr authentische Protagonistin, noch deutlich greifbarer. Diese Romanfigur Stella Blomkvist ist eine faszinierende, androgyn wirkende Figur. Nach außen hart, selbstbewusst, selbständig, dazu noch wohlhabend, jung und gut aussehend. Sie könnte einer überdrehten Männerphantasie entsprungen sein. Zugleich trägt sie aber eine Narbe auf ihrer Seele, die über den gesamten Roman immer wieder durchschimmert. Scheint eine schlimme Kindheit gehabt zu haben und schottet sich gegenüber Mitmenschen ab. Einen Mann als Bezugspunkt in ihrem Leben gibt es nicht, manchmal scheint Jack ihr einziger Freund zu sein. Der heißt jedoch mit Nachnamen Daniels und ist ein Whisky. Anderen Trost sucht sich Stella bei One-Night-Stands, alles eben unverbindlich, niemand kommt ihr zu nahe. Menschlich machen sie auch ihre kleinen Angewohnheiten, wie etwa täglich ihren Kontostand zu checken oder immer wieder die Weisheiten ihrer Mutter zu zitieren.

Harsche Sozialkritik

Eher als uninteressant ist der kriminelle Hintergrund der Handlung zu bewerten. Zu den beiden eingangs schon erwähnten Verbrechen kommt auf halber Strecke noch ein drittes hinzu. Was deutlich vom Autor in Zweifel gestellt wird ist die Motivation der ermittelnden Behörden, ihre Finger in die Wunden zu stecken. Sobald gewisse Herrschaften der isländischen Gesellschaft in gewisse Machenschaften verstrickt zu sein scheinen, halten sich die hohen Tiere aus den Reihen der "Goldjungs" lieber vornehm zurück. Die Seitenhiebe auf eine versoffen-egoistische Gesellschaft sind wirklich bissig und der Autor tut in einem Land, wo jeder jeden kennen kann, gut daran, sich hinter einem Pseudonym zu verbergen.

Keine aufreibende Krimispannung, sondern von einem Ich-Erzähler, der kein Blatt vor den Mund nimmt, vorgetragene Sozialkritik mit einer begeisternden Hauptfigur im Zentrum. Stella Blomkvist darf gerne noch öfters ihre Mama mit Sätzen wie "Rache und Dummheit sind Zwillinge, die barfuss gehen" zitieren.

Das ideale Verbrechen

Stella Blomkvist, btb

Das ideale Verbrechen

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