Shirker

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2002
  • 3
  • Edinburgh: Canongate, 2000, Titel: 'Shirker', Seiten: 232, Originalsprache
  • München: dtv, 2002, Seiten: 271, Übersetzt: Chris Hirte
  • München: dtv, 2003, Seiten: 271
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2004

Ein gar nicht alltägliches Lesevergnügen

Im Beruf ziemlich erfolglos, privat einsam, vom Leben ziemlich gelangweilt: Der freiberufliche Anlageberater Ellerslie Penrose aus der neuseeländischen Großstadt Auckland ist der ideale Kandidat, der sich in ein mysteriöses Rätsel ziehen lässt. Eines ereignislosen Morgens kommt er am Schauplatz eines Mordes vorbei. Einem zwanghaften Impuls nachgebend schleicht er sich auf den Tatort, wird erwischt und macht sich durch seine zwar der Wahrheit entsprechenden, aber wenig überzeugenden Erklärung verdächtig.

Die Polizei - hier verkörpert vom misstrauischen Detective Tangiers - wäre noch weitaus unfreundlicher, wüsste sie, dass Penrose die Brieftasche des Opfers heimlich an sich genommen hat. Er ist zunehmend fasziniert von diesem fremden, so gewaltsam geendeten Leben des Antiquitätenhändlers Tad Ash, und beginnt seine letzten Tage zu rekonstruieren.

Dabei trifft er zu seinem anfänglichen Schrecken auf das exakte Ebenbild desselben: Dede Ash war der Geschäftspartner seines Zwillingsbruders und weiß von dessen letzter Neuerwerbung. Das Tagebuch des Engländers Parker ist ein verstörendes Werk, beschreibt es doch den Lebensgang eines Mannes, der von sich behauptet, vor mehr als einem Jahrhundert dem Tod ein Schnippchen geschlagen zu haben. Seither zieht er als ewig Achtzehnjähriger durch die Welt - und er bringt jene um, die ihm seiner Meinung nach Unrecht tun oder ihn verfolgen.

Penrose begreift nicht, dass ihn sein Eifer auf die Spur eines vielleicht wahnsinnigen, vor allem aber gefährlichen Mannes bringt, dem es gar nicht gefällt entlarvt zu werden. Während Parker ein Mysterium bleibt, ist seine Mordlust überaus real. Penrose erfährt, was das Objekt seines Interesses so lange leben ließ, aber dieses Wissen lässt ihn buchstäblich tief fallen ...

Die Kombination zweier Genres - hier Krimi und Phantastik - sind in der Literatur gar nicht so selten wie man eventuell zunächst denkt. Shirker ist aber eindeutig mehr als reine Unterhaltung. Bereits der Titel verrät (siehe dazu etwas weiter unten), dass es hier weniger um den Serienmörder Parker als um den orientierungslosen Penrose geht.

Deutliche Hinweise auf "richtige" Literatur sind auch: die nonchalante Ignorierung einer "logischen" Erklärung für Parkers Unsterblichkeit - sie wird als Kraftakt eines in die Enge getriebenen Geistes interpretiert; die ausführliche Schilderung alltäglicher Verrichtungen; der (manchmal leicht holzhammerhafte) Einsatz symbolhafter Schauplätze und Ereignisse; der Verzicht auf eine Auflösung, die alle Handlungsfäden logisch bzw. "zufriedenstellend" zu einem Finalknoten schürzt. Penrose ist als Detektiv ein Dilettant, der mehr durch Zufall als durch Planung seinem Ziel entgegen taumelt. Auch die Polizei glänzt in Sachen kriminalistischer Aufklärungsarbeit durch Abwesenheit.

Davon sollte man sich von der Lektüre nicht ablenken lassen. "Shirker" entwickelt schon nach wenigen Seiten einen ganz eigenen Charme. Penroses Einsamkeit, seine Neugier, als sich eine Chance bietet, aus einem hohlen Leben auszubrechen, die fatalen Folgen seiner Jagd nach dem mysteriösen Parker, der nur einmal persönlich auftritt, durch seine kryptischen Tagebucheintragungen aber ständig über der Handlung schwebt und den Leser ebenso gespannt auf ihn warten lässt wie den armen Penrose - das wird in knappen Sätzen und kargen Worten eindringlich beschrieben.

Wobei Auckland als Schauplatz keine Rolle spielt; diese Geschichte könnte sich in jeder anderen größeren Stadt dieser Welt ereignen. Taylor kommt es primär auf den Aspekt der urbanen Entfremdung an, die sich auf dieser globalisierten Erde als überall bekanntes Phänomen erwiesen hat. Verloren zu sein unter unzähligen Menschen - das ist sicherlich ein Bild, das seine erschreckende Anziehungskraft nie verlieren wird.

Ellerslie Penrose ist der "shirker" - ein Mann, der sich Stück für Stück aus seinem alten Leben stiehlt, sich vor ihm verbirgt, weil er es nicht mehr ertragen kann. Seine Existenz als Vermittler gut bezahlten, aber eigentlich unwichtigen Wissens füllt ihn nicht aus, er haust in seinem Büro, das wiederum in einem fast verlassenen Hochhaus in einem abgelegenen Winkel von Auckland steht. Privat sieht es kaum besser aus; es gibt eine Gelegenheitsgeliebte namens Wilhelmina, die aber bereits signalisiert, dass sie das Land und Penrose zu verlassen gedenkt.

Eine Alternative zu dieser trüben Existenz kennt Penrose nicht. Das ist der Grund, wieso er sich fast erleichtert auf das Parker-Rätsel stürzt: Wieder einmal drückt er sich vor einer Entscheidung und lässt sich treiben. Dieses Mal hat er sich freilich einer Strömung anvertraut, die ihn direkt in den Abgrund werfen, doch immerhin wieder loslassen wird.

Parker, der unheimliche Verfasser des ominösen Tagebuchs, ist objektiv betrachtet mindestens ebenso Opfer wie Täter, von seiner verständnislosen und grausamen Umwelt zum Verbrecher quasi erzogen. Dass er sich als ausnehmend guter Schüler erweist, mindert nicht wirklich seine inneren Qualen. Das Ergebnis: ein monströser, wirklich Angst einjagender Charakter, den Verfasser Taylor vorzüglich zu vermitteln weiß, indem er Parker bis auf kurzen "Gastauftritt" persönlich auftreten, sondern nur durch sein Tagebuch sprechen lässt.

Shirker

Chad Taylor, dtv

Shirker

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