Der letzte Bolero

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2004
  • 2
  • Barcelona: Planeta, 2000, Titel: 'El hombre de mi vida', Seiten: 297, Originalsprache
  • München; Zürich: Piper, 2004, Seiten: 286, Übersetzt: Theres Moser
  • München; Zürich: Piper, 2005, Seiten: 285
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Wolfgang Reuter
100°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2003

Eine leichte Melancholie, eine abgeklärte Distanz

Sieben Jahre hat der Privatdetektiv Pepe Carvalho aus Barcelona seine Geliebte, die Prostituierte Charo, nicht gesehen. Nach sieben Jahren kehrt sie aus Andorra zurück, an der Seite des steinreichen Katalanischen Nationalisten Joaquim Rigalt i Mataplana, genannt Quimet.

Charo hat das "Gewerbe" aufgegeben und lässt sich von Quimet einen Naturkostladen einrichten. Sie ist älter geworden, Carvalho entgeht das nicht. Aber auch er ist mittlerweile etwa sechzig Jahre alt. Ihren Versuchen, ihm wieder nahezukommen, steht er etwas reserviert gegenüber. Nicht zuletzt deshalb, weil sich eine länger zurückliegende Affäre (mit Yes, siehe auch Meere des Südens) durch poetische Liebeserklärungen aus dem Faxgerät in Erinnerung ruft. Carvalho erlebt ein wahres Wechselbad der Gefühle.

Ein katalanischer Geheimdienst und ein Ritualmord

Quimet möchte den ehemaligen CIA-Agenten Carvalho für seine Interessen gewinnen: Den Aufbau eines eigenen katalanischen Geheimdienstes. Dieser soll der Schaffung eines mächtigen "ökonomischen Dreiecks" Toulouse-Barcelona-Mailand entgegenwirken. Der sogenannten "Region Plus", bestehend aus Nordkatalonien, aus Umberto Bossis Padanien und aus Okzitanien (s. Izzo - Chourmo).

Aber eigentlich hat Pepe Carvalho auch einen Auftrag: Er soll den Ritualmord im Dunstkreis einer satanischen Sekte aufklären, deren homophile Mitglieder unter anderem Söhne der einflussreichsten Männer Spaniens sind.

Bald erkennt er, dass dieser Mord von langer Hand geplant war und offenbar sehr gefährliche wirtschaftliche und politische Hintergründe hat, die Carvalho zunächst nicht ganz versteht. Jemand treibt sein Spiel mit ihm, manipuliert ihn, veranstaltet ein surrealistisches Theater, bei dem sich etwa anlässlich einer politischen Gesprächsrunde die Teilnehmer am Ende als Schauspieler einer Theatergruppe erweisen. Doch bald ist der Spaß vorbei, denn je mehr Carvalho hinter die Kulissen blickt, desto mehr ist ihm bewusst, dass er selbst ein wesentlicher Teil eines teuflischen Planes ist ...

Der vorletzte Teil einer sagenhaften Serie

"El hombre de mi vida" - "Der Mann meines Lebens", so heißt der Roman im Original, dem vorletzten aus der sagenhaften Pepe-Carvalho-Serie, welche 1972 mit "Ich tötete Kennedy" begann und mit "Milenio" 2003 endet, fertiggestellt kurz vor dem unerwarteten Tod des Autors am 18. Oktober 2003, tief betrauert von der Carvalho-Gemeinde, zu der sich der Rezensent unumwunden bekennt.

Es ist tatsächlich ein Spätwerk Montalbans: Eine leichte Melancholie, eine abgeklärte Distanz durchzieht das Buch. Carvalho blickt oft auf sein Leben zurück, ist sich seines Alters - in geistiger und körperlicher Hinsicht - bewusst. Er gestattet sich gelegentlich sentimentale Momente. (Über die Person Carvalho siehe auch Undercover in Madrid).

Und trotzdem dominiert die Leidenschaft, wenn auch nur in Brief- oder Faxform. Heftig, aber unerfüllt, Alters- gemäß eben. Und die führt auch schließlich zu dem unerwartet heftigen, konsequenten und leidenschaftlichen Schlusspunkt.

Carvalho als Lebensmensch von Yes, von Charo, aber auch als Mann des Lebens von Montalban

Der Buchtitel "El hombre de mi vida" ist in verschiedener Hinsicht stimmig: Carvalho als Lebensmensch von Yes, von Charo, aber auch als Mann des Lebens von Montalban, sein "alter ego". Das wird gerade in diesem Buch deutlich: Die Fax-Briefe sind für mich eigentlich eine sehr tiefgehende Auseinandersetzung Carvalhos mit der eigenen Persönlichkeit und der eigenen Beziehungsunfähigkeit. Ein Psychogramm, aus der Hand von Yes.

Dass Montalban dabei auch an sich selbst gedacht hat, zeigt ein weiteres Detail der Briefe, in denen Yes die Rolle Carvalhos in den beiden vorangegangenen Romanen "Undercover in Madrid" und "Quintett in Buenos Aires" kritisiert und dabei nahtlos in eine formale und thematische Kritik der Bücher übergeht.

Warum das Buch auf Deutsch als "Der letzte Bolero" erscheinen muss, wissen nur die Götter. Und auf die ist ebenso wie auf die Religionen kein Verlass - eines der bestimmenden Themen in diesem Roman.
Der Bolero als willkürliches Zitat aus der Handlung. Genauso gut könnte es "Carvalho kocht" oder "Barcelona bei Nacht" heißen.

Montalban auf dem Höhepunkt seiner sprachlichen Meisterschaft

Montalban befindet sich auf einem letzten Höhepunkt seiner sprachlichen Meisterschaft. Er erzählt temporeich, phantasievoll, scheinbar spielerisch demonstriert er seine formalen Möglichkeiten. Die Geschichte ist abwechslungsreich, spannend, spielt sich aber immer auf mehreren zeitlichen oder geistigen Ebenen gleichzeitig ab. Das muss man wissen, bevor man das Buch in Erwartung eines actionreichen Thrillers enttäuscht aus der Hand legt.

Das Ganze ist ein intellektuelles literarisches Vergnügen, nebenbei auch ein "Krimi", eine Abhandlung über Sinn und Unsinn von Sekten, Philosophien, Religionen, Nationalismus, Liebe, Alter, Beziehungen, der Katalanischen Küche und ihrer Vergewaltigung durch Fast Food und junge Karriereköche, die Stadt Barcelona und der Verlust ihrer ursprünglichen urbanen Identität, ein Rückblick am Ende eines Lebens, wie eine Vorahnung des Manuel Vasquez Montalban. Sinngemäß spielt der Roman auch 1999, am Ende des Millenniums.

Der letzte Bolero

Manuel Vázquez Montalbán, Piper

Der letzte Bolero

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