Keiner sah den anderen

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2003
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  • München; Zürich: Piper, 2003, Seiten: 228, Originalsprache
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Wolfgang Weninger
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2003

Ein rundum gelungener Salonkrimi

Inspektor Federer trifft sich mit seiner italienischen Geliebten in einer Loge der Wiener Staatsoper. Während des Gesangs der Salome kann er sich zwar seinen erotischen Vergnügungen hingeben, die folgende Genussnacht mit der Frau wird allerdings durch seinen Pager unterbrochen. Nochmals muss Federer in die Oper, diesmal aber nicht zum Privatvergnügen. In seiner Garderobe wird der Starbariton Ion Temescu aufgefunden, allerdings fehlt ihm seit heute Nacht der Kopf.

Federer ist nicht gerade das, was man einen Paradepolizisten nennt. Der typisch österreichische Grantler legt sich morgendlich bei seinem Psychoanalytiker auf die Couch, um seine eigene Unzulänglichkeit zu hinterfragen und danach geht es ins Büro, wo die allgemeine Lagebesprechung zu den gegenwärtigen Fällen statt findet. Auch eine zweite Leiche rumänischer Herkunft gibt Rätsel auf und das Ermittlerteam der österreichischen Kripo geht an die Arbeit. Federer, der zu Teamarbeit offensichtlich nicht geeignet ist, aber auf Grund seiner Erfolge selbständig arbeiten darf, weiß zwar noch nicht, wo er ansetzen soll, aber er beginnt sich umzuhören.

Der ehemalige rumänische Geheimdienst in Wien

Was ihm die Sängerkollegen Ion Temescus erzählen und ihm seine privaten Kontakte zur Unterwelt vermitteln, ist bedenklich, ja sogar richtig unglaublich. Die Securitate, der ehemalige rumänische Geheimdienst, verdient sich mittlerweile seine Brötchen mit dem Vertrieb von Rauschgift und will Wien zur Umschlagzentrale machen, während eine rumänische Bank mit Hilfe von Tochtergesellschaften versucht, das Geld in Italien und New York wieder weiß zu waschen. Irgendwie ist Ion Temescu in diese Machenschaften verwickelt und je tiefer sich Federer in diesen Mafiasumpf begibt, um so gefährlicher wird auch für ihn das Leben, das ihm so gar nicht gefällt, auch wenn er gelegentlich lichte Momente im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht erleben darf.

Der Kölner Hans-Otto Thomashoff, der in Tübingen und Hamburg seine Doktorate in Humanmedizin und Kunstgeschichte erworben hat, lebt und arbeitet heute als Psychoanalytiker in Wien. Und das merkt man seinem Buch "Keiner sah den anderen" deutlich an. Im Gegensatz zu sonstigen pseudopsychiatrischen Exkursen in diversen (Nord-)Krimis, hat in diesem Buch die psychische Darstellung des Inspektor Federers und seiner Handlungen und Assoziationen Hand und Fuß. Wobei Thomashoff vermeidet, hier nur triviale Momentaufnahmen depressiver Phasen zu geben, sondern die hervorragend durchcharakterisierte Figur des Federer auch mit einem Augenzwinkern auf der Couch Platz nehmen lässt.

Thomashoff lässt natürlich auch keinen Wiener Schauplatz von touristischem Interesse aus, beweist aber, dass er als "Auswärtiger" auch die kleinen, versteckten Plätze kennt, an denen sich normales Leben abspielt. Durch sein Kunststudium geprägt, präsentiert er vielfältige künstlerische Elemente aus Musiktheater, Architektur und Bildnerischem Gestalten, die stimmig zur jeweiligen Situation passen, ohne dass dabei Langeweile aufkommt.

Hat sich Thomashoff selbst verewigt?

"Keiner sah den anderen" ist ein rundum gelungener Salonkrimi, der von Anfang an fesselt und auf keiner der 228 Seiten abflacht. Der Autor verbindet gekonnt moderne Krimielemente mit vorstellbarer Action und vergisst auch nicht auf (dramaturgisch notwendige) Erotik. Die Personen, die Federers Umgebung bevölkern, sind samt und sonders Originale des täglichen Lebens. Der mediengeile Kommissariatsleiter, die expressive Operndiva, der Hausmeister aus Ex-Jugoslawien und etliche andere, gehören in Wien, von ihrer Wesensart her, zum Boulevardalltag. Thomashoff überzeichnet seine Figuren nicht, sucht sich aber durchwegs interessante Typen für seine Darstellung und kramt dabei im Schatzkästchen seiner beruflichen Erfahrung. Dies gilt auch für den im Buch vorkommenden Psychoanalytiker, bei dem man sich vielleicht die humoristische Frage stellen darf: "Hat sich hier Dr. Thomashoff selbst verewigt?

Zu wünschen wäre jedenfalls, dass dieser Inspektor Federer nach seinem ersten Fall ein weiteres Mal zum Zuge kommt, denn es macht Spaß an diesem Spektakel aus dem Leben eines Wiener Kriminalbeamten teilzunehmen.

Keiner sah den anderen

Hans-Otto Thomashoff, Piper

Keiner sah den anderen

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