Es lebe der Präsident

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2003
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  • Kopenhagen: Samleren, 2000, Titel: 'Det sidste vidne', Seiten: 267, Originalsprache
  • Dortmund: Grafit, 2003, Seiten: 288, Übersetzt: Roland Hoffmann
  • Daun: TechniSat Digital, Radioropa Hörbuch, 2006, Seiten: 6, Übersetzt: Helmut Gentsch
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Sabine Reiß
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2003

Selbst lesen macht Spaß

Wer möchte sich nicht frühzeitig aus dem Arbeitsleben zurückziehen und seinen Lebensabend ohne Geldsorgen verbringen, vielleicht sogar im Ausland? Eine Träumerei, der sicherlich viele nachhängen, doch die Verwirklichung scheint den meisten als unrealistisch. Nicht so dem französischen Kommissar Bernard Grissard, der mit kleinen Bestechungsgeldern schon fleißig daran arbeitet, nur für seinen Traum von Südamerika fehlt ihm der ganz große Coup.

Bei dem Fund einer Frauenleiche auf einer Müllhalde scheint es sich mal wieder um einen Routinefall zu handeln, was für eine Enttäuschung! Doch die junge Frau wird als Caroline Tricot identifiziert, Krankenschwester bei Prof. Vangard, der zahlreiche Nierentransplantationen durchführt. Sein bei der Steuerbehörde angegebenes Einkommen und sein Bankkonto widersprechen sich extrem. Caroline hatte eine Affäre mit ihm, ihr Bankkonto ist für ihren Beruf ebenfalls recht prall, sie hat eine Wohnung in Nizza direkt an der Promenade und auch noch eine Wohnung in Paris. Da scheint es doch nahe zu liegen, dass der Professor sie für ihr Schweigen fürstlich belohnt hat. Aber was soll verschwiegen werden? Vangard ist nicht auffindbar, eine Tatsache, die ihn verdächtig macht. Bei ihrem Notar hat Caroline einen Briefumschlag hinterlegt, der im Falle ihres Todes zu öffnen ist. Dieser enthält eine Diskette mit einem Hinweis auf den Professor. Bei einer Laboruntersuchung stellt sich allerdings heraus, dass der Briefumschlag zuvor schon einmal geöffnet wurde. Außerdem fuhr vor Carolines Wohnung in Paris regelmäßig ein schwarzer Wagen vor, der zum Elysée-Palast gehört. Kommissar Grissard schöpft wieder Hoffnung: wenn die Regierung in den Mord der jungen Krankenschwester verwickelt ist, dann ist vielleicht doch noch das große Geld in Reichweite...

Wer sich noch nie groß Gedanken über Korruption gemacht hat, der sollte auf jeden Fall "Es lebe der Präsident" lesen. Ob es realistisch oder unrealistisch ist, sei dahingestellt, aber man kann nur staunen, was die Phantasie des Autors hier hervorbringt. Ein kleines Beispiel:

 

"Jeden ersten Donnerstag im Monat traf sich eine Reihe von Notabeln der Stadt in einem kleinen Restaurant im Schlachthofviertel zum Essen... Kein Klub, nur Leute im selben Alter, jeder von ihnen in einer Schlüsselposition in seinem Fachgebiet. Das eröffnete die Möglichkeit, kleine Fälle schnell zu erledigen, die Monate dauern würden, wenn man die normalen administrativen Wege beschritt. Beim letzten Donnerstagstreffen hatte Grissard wie üblich die Strafzettel wegen Falschparkens eingesammelt, [Finanzdirektor] Placard hatte eine begonnene Steuerprüfung bei der Schwester des Notars gestoppt, der Wohnungsbaudirektor hatte das illegale Bauprojekt des Notars genehmigt, und der Bürgermeister hatte dem Bauunternehmer die Konzession für den kommunalen Sperrmüll versprochen... Keiner betrachtete sich oder die anderen als korrupt." (S. 57 f.)

 

Diese Selbstverständlichkeit zieht sich durch die gesamte Handlung, was recht amüsant zu lesen ist, teilweise kann man sich ein Lachen nicht verkneifen. Auch der Blickwinkel ist dadurch ein ganz anderer. Ist man es ansonsten gewöhnt, dass der Kommissar der Rechtschaffene ist, der höchstens durch seine privaten Probleme gebeutelt wird, so wird aus dem sympathischen Kommissar Grissard mit der Zeit der Kriminelle, dem man jedoch nicht böse sein kann. Allerdings ist es schon heftig, wie er die Ermittlungen vereitelt und sogar den Tod seines Kollegen in Kauf nimmt.

Es ist weniger die Spannung der Tätersuche, die den Leser gefangen nimmt, sondern eher die Frage, ob Grissard mit seiner Masche durchkommt. Auch hier hat Ole Bornemann am Ende eine Lösung parat, die gänzlich unerwartet und ungewöhnlich ist. Sie befriedigt zwar meine Sucht nach einem Happy-End nicht, enttäuscht auf der anderen Seite auch kaum. Mit "Es lebe der Präsident" hat man ein kurzweiliges Lesevergnügen vor sich, bei dem der Mordfall allerdings nur schmückendes Beiwerk ist. Selbst lesen macht Spaß!

Eine Warnung möchte ich allerdings noch loswerden: die Kurzbeschreibung des Verlages verrät viel zu viel - glücklicherweise ist jedoch der Klappentext kurz gehalten. Auch wenn man noch nicht alle Wendungen kennt, wird doch ein wesentliches Detail erwähnt, dass ich persönlich lieber verschwiegen hätte.

Es lebe der Präsident

Ole Bornemann, Grafit

Es lebe der Präsident

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