Das Moor von Baskerville

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2002
  • 8
  • New York: St. Martin’s Press, 1998, Titel: 'The moor', Seiten: 307, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002, Seiten: 394, Übersetzt: Marc Staudacher
Das Moor von Baskerville
Das Moor von Baskerville
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Michael Drewniok
25°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2003

Schlecht funktionierende Neuauflage der um Klassen besseren Originalgeschichte

Dreieinhalb Jahrzehnte sind verstrichen, seit Meisterdetektiv Sherlock Holmes - damals noch unterstützt vom treuen Dr. Watson - das Rätsel um den großen Geisterhund der Baskervilles lüftete, der im tiefen Dartmoor sein unheimliches Dasein fristete. Recht irdische Bosheit war damals hinter dem Spuk zum Vorschein gekommen. Nun - im Jahre 1923 - ist der Hund offenbar zurück - er hat sogar eine Gespenstergräfin mitgebracht.

So berichtet es jedenfalls der hochbetagte Reverend Sabine Baring-Gould seinem Patensohn (!) Sherlock Holmes. Seit Jahrzehnten kennt und liebt der ebenso gelehrte wie eigensinnige Mann das große Dartmoor. Er hat die alten Lieder und Sagen gesammelt und fühlt sich für Land und Leute verantwortlich. Schon ist ein harmloser Moorbewohner auf der Strecke geblieben, und Holmes ist aufgerufen, Schlimmeres zu verhindern.

Den selbst nicht mehr jungen Detektiv zieht es nicht zurück ins Moor. Weil er sich Baring- Gould verpflichtet fühlt, macht er sich dennoch auf die Reise. Alter und Krankheit fesseln Dr. Watson an den heimischen Herd, aber Holmes hat ja vor zweieinhalb Jahren die junge Mary Russell geehelicht. Sie assistierte ihm schon mehrfach bei seinen Fällen, die er auch als Pensionär hier und da übernimmt.

Im Dartmoor hat man "Snoop Sherlock" nicht vergessen. Zu seinem Missfallen zeigt auch der neue Herr von Baskerville Hall brennendes Interesse an dem berühmten Gast. Holmes lässt sich darauf ein, weil ihn einige Dinge nachdenklich stimmen. Nachforschungen ergeben, dass der Lebenslauf des reichen Lebemanns Ketteridge und seines Sekretärs Scheiman einige blinde Stellen aufweist. Das bringt Holmes auf die Frage, ob denn der böse Baskerville-Bastard Stapleton einst tatsächlich im Moor versank ...

Es lässt sich rasch nicht leugnen: Mit der an sich guten Idee, den Klassiker vom "Hund der Baskervilles" in aktualisierter Form neu zu erzählen, hat sich der Ideenfluss der Autorin bereits erschöpft. Stimmungsvolle Schilderungen von Moor-Natur und -Folklore können nicht verbergen, dass sich dahinter nur eine dürftige Geschichte verbirgt. Sherlock Holmes und Mary Russell werden von einem alten Freund mit einem mysteriösen, aber doch recht klar umrissenen Auftrag nach Dartmoor gerufen. Während Arthur Conan Doyle in seiner Hunde-Mär zweihundert Seiten Tempo und Spannung präsentierte, tritt King kläglich auf der Stelle. Weit über die Hälfte des ohnehin recht ausladenden Romans verstreicht, ohne dass irgendetwas Relevantes geschieht. Es kündigt sich auch nichts an; mögliche, manchmal sogar viel versprechende Handlungsstränge verpuffen immer wieder im Nichts.

Natürlich ist es reizvoll, Baskerville Hall nach vielen Jahren wiederzusehen. Doch was nützt es, wenn King diese Kulisse nur stolz vorführt, aber nicht nutzt? Auch sonst streift sie eifrig über das Moor und repertiert, was sie sich aus alten Reiseführern angelesen hat. Dies soll allerdings ein Kriminalroman sein. Die Verfasserin muss ihre Heldin diese Tatsache oft wiederholen lassen, sonst würde man es vergessen - kein gutes Zeichen! Allzu pflichtschuldig klappert schließlich das große Finale hinterher; so muss man es nennen, denn der Plot ächzt hier Mitleid erregend sein Restleben aus.

Wahrscheinlich ist es politisch unkorrekt sich darüber zu mokieren, dass Sherlock Holmes als verheirateter Mann fortgeschrittenen Alters kaum mehr als der Meisterdetektiv zu erkennen ist, den Arthur Conan Doyle uns vorgestellt hat: ein rationaler, gefühlsarmer und - geben wir es offen zu - frauenfeindlicher Zeitgenosse. Zwar hat sich King gut aus der Affäre gezogen, indem sie im ersten Band ihrer Holmes/Russell-Serie klar aussagt, dass sich der "reale" Meisterdetektiv im Sussexer Ruhestand sehr von der Figur unterscheidet, die einst Dr. Watson schuf und verklärte. Aber es hilft nichts: Mit seinen Eigenheiten verliert dieser Sherlock Holmes seine Faszination. Nun wirkt er recht seltsam als zurückhaltend liebender Ehegatte, der nebenbei Verbrechen aufklärt. Aber auch als Detektiv kann er nicht mehr beeindrucken. Abgeklärt ist er geworden, oder er soll es nach dem Willen seiner neuen geistigen Mutter jedenfalls sein. Statt dessen wirkt er abwesend und fremd, zahm und zahnlos - und er wird in den Schatten gestellt von seiner jungen Gattin.

Der weiblichen Leserschaft dürften die folgenden Zeilen wenig behagen, doch das ändert nichts an der Tatsache: Mary Russell ist der denkbar schlechteste Ersatz für Dr. Watson. Dieser Perspektivenwechsel war ein Experiment, aber es muss als misslingen beurteilt werden. King wird sich der Tatsache wohl bewusst gewesen sein, dass Arthur Conan Doyle einst gute Gründe dafür hatte, Watson so zu gestalten, wie er es tat: als eindeutig zweiten Mann, der kommentiert, bewundert und fragt, um das Licht Sherlock Holmes' auf diese Weise um so heller strahlen zu lassen.

So geht das heute natürlich nicht mehr, zumal eine Frau die zweite Hauptrolle spielt. Mary Russell ist eine politisch korrekte Powerfrau, wie sie so ganz gewiss kaum in ihre Zeit passt. Leider lernen wir sie hier erst kennen, nachdem sie ihre schwere Kindheit und Jugend hinter sich gebracht hat, die besonders im ersten Band der Serie breiten Raum einnimmt und der Figur wesentlich mehr Tiefe verleiht. Nun ist sie eine demonstrativ emanzipierte, schwer selbstbewusste Frau, erfolgreiche Wissenschaftlerin, Jüdin auch noch, aber (manches Klischee wird doch übersprungen) immerhin nicht schwarz; alles lobenswerte Eigenschaften, in deren Nachbarschaft jedoch - es muss wiederholt werden - ein Sherlock Holmes nicht recht gedeiht. Das mag viel bzw. wenig Schmeichelhaftes über ihn aussagen, ändert aber kaum etwas daran, dass die Paarung Holmes & Russell nicht funktioniert.

Überhaupt scheint "Das Moor von Baskerville" über weite Strecken eine verkappte Biografie des Reverend Sabine Baring-Gould zu sein. Zweifellos war dieser eine faszinierende Persönlichkeit - und mit einer der Quellen, aus der Doyle 1901 am tiefsten geschöpft hatte, als er den ersten ersten Hund der Baskervilles über das Moor streifen ließ. Dennoch hätte King ihre Aufmerksamkeit eher den Bösewichten in diesem Spiel widmen sollen. Über weite Strecken glänzen sie durch Abwesenheit; leider setzt sich dies sogar fort, wenn sie anwesend sind. Während Doyle Stapleton-Baskerville Holmes und Watson ein würdiger Gegner war, gehen Ketteridge und Scheiman so plump und durchsichtig zu Werke, dass man sich fragen muss, wieso Holmes und Gattin denn so viel Zeit benötigen, ihnen auf die Schliche zu kommen.

Das Moor von Baskerville

Laurie R. King, Rowohlt

Das Moor von Baskerville

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