Tödlicher Chat

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2001
  • 7
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2001, Seiten: 328, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2002, Seiten: 328, Originalsprache
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Lars Schafft
21°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2003

Si tacuisses!

Wenn Journalisten ihr Metier für einen kurzen Trip in die Belletristik verlassen und selbst einen Roman schreiben, darf man gespannt sein. Gespannt sein vor allem, ob der Autor nicht nur ein guter Beobachter und Analyst, sondern auch ein guter Erzähler ist. Manche können´s, manche nicht. Thomas Tuma kann´s nicht - o, si tacuisses!

Eine Reihe von bestialischen Morden hält die Republik und insbesondere die Medien auf Trapp. Was zunächst wie die Tat eines Verrückten aussieht, entpuppt sich als finsteres Psycho-Spiel: Der "Netzkiller", wie der Mörder plakativ betitelt wird, lockt in Chat-Räumen im Internet seine Opfer an, verabredet sich schließlich mit ihnen in Hotels um sie dort brutal zu verstümmeln. An die Wand über der Leiche schreibt er nur "Öffne dich".

Ein gefundenes Fressen für den Publicity-geilen, medikamentenabhängigen Reporter Marc Pohl, der endlich für sich und seine Zeitung wieder die Story schreiben kann. Problem an der Sache: Pohl ist absoluter Netz-Neuling, muss sich die Gepflogenheiten eines Chats von seiner Sekretärin beibringen lassen. Doch er findet schnell Gefallen am Spiel mit der Anonymität und der Sprache, verfällt der Cyber-Kommunikation sogar völlig - das alles, um dem Netzkiller auf die Schliche zu kommen. Und dieser ist Pohl schließlich näher als dem Klatschreporter lieb sein kann.

Pohl jedoch behält zumindest halbwegs klaren Kopf (soweit dies durchchattete Nächte und die Medikamente zulassen) und meint das Muster des "Netzkillers" erkannt zu haben. Tatsächlich: Der Name einer Biersorte bringt Pohl auf die richtige Spur und ihn selbst im Showdown in höchste Gefahr.

Eine Biersorte als Nadel im Heuhaufen? Als springender Funke? Als rettender Einfall? Naja, warum nicht. Es gab schon Lösungsansätze, die mehr an den Haaren herbeigezogen waren als in "Tödlicher Chat". Dennoch kommt die Lösung einem sehr bekannt vor, wenn unser emsiger Journalist auf einer Deutschlandkarte einfach die Tatorte mit Linien verbindet. Nichts wirklich Neues, aber annehmbar. Weniger akzeptabel erscheint das Vorgehen des "Netzkillers": Wie blöd sollen Deutschlands Hotel-Angestellte eigentlich sein? Da nistet sich jemand unter Namen wie "Harald Schmidt", "Andreas Türck" oder "Jürgen Fliege" in kleinen Zimmer ein, um dort still und heimlich seine Netz-Bekanntschaften zu massakrieren. Und keiner merkt was. Nichtmals die mehr als auffälligen Namen lassen die Poitiers aufhorchen. Nochmals: naja.

Hakt der Plot schon an so manchen Stellen, ist es die Sprache Tumas, die verwundert. Staccato. Hauptsatz reiht sich an Hauptsatz. Wo andere Autoren diese Sprache zur Spannungssteigerung einsetzen, benutzt Tuma sie durchgängig, was weniger spannend denn nervend wirkt: Herr, gib mir einen Schachtelsatz! Nur zur Abwechslung. Dazu ist ein Großteil von "Tödlicher Chat" in einem penetranten Präsens geschrieben. Zusammen mit Tumas Kurzsatz-Vorliebe macht dieser Umstand das Lesen schwierig und ungewohnt. Lediglich Rückblicke, die Tuma glücklicherweise auch in der Vergangenheit schreibt, kommen flüssig herüber.

Überhaupt werde ich den Eindruck nicht los, dass Tuma alle Regeln der deutschen Sprache (bewusst?) mit Füßen tritt. Anglizismen mag er, dieser Tuma. Ein Blitzlicht ist für ihn "Flash", je öfter der Fotograph die Aufnahmen einer Leiche macht, desto mehr "flasht" das die Figuren. Aha. Flash.

Auch der Versuch, seine Geschichte mit Stilmitteln aufzuplustern, scheitert grandios. Ganze Absätze geraten so völlig daneben, wirken plump, künstlich statt künstlerisch. Rhetoriker und Sprachanalysten werden allerdings ihren Spaß daran finden:

 

Dann stieß er ihn mit der Linken in das Zimmer zurück. Dann zog er den Seesack nach drinnen. Dann schloss er erst die äußere Tür schnell. Dann schloss er die innerelangsam. Dann war Stille.

 

Und wie man als Autor das Stilmittel des Oxymorons nicht einsetzen sollte, zeigt unser Journalist gleich ein paar Seiten später auf:

 

Dann war wieder tobende Stille. Rollende Ruhe. Wogendes Licht. Glühende Schatten. [...] Dröhnend grüne Wiesen. Es regnete Blut vom wolkenlosen Himmel. Er weinte tränenlos.

 

Wüsste man als Leser nicht, dass Thomas Tuma Redakteur des SPIEGEL ist, könnte man fast meinen, der Autor beherrschte die deutsche Sprache nicht. Dass er derer jedoch mächtig ist, unterstelle ich Herrn Tuma und frage mich, wer oder was ihn geritten hat, anstatt der sauberen Sprache des Journalisten eine völlig überladene Schreibe in einer Art pseudoliterarischem Bild-Stil zu benutzen.

Wo die Sprache versagt, hilft die Optik weiter: Wieso müssen Worte in einem Buch in fett gedruckt werden? Und dann noch solche wie "Flash"? Gedankenspiele seines Protagonisten, die sich immer mehr winden und unbedeutender werden, druckt der Verlag kleiner. Von Satz zu Satz. Damit auch wirklich jeder Leser versteht, worum es geht? Welcher Schriftsteller braucht das Schriftbild für seine Sprache? Absoluter Tiefpunkt in "Tödlicher Chat" ist aber Kapitel 2 in Teil II: Drei ganze Seiten gefüllt mit dem Wort "Ficken" - tja, was soll einem da noch einfallen? Flash, Herr Tuma. Einfach Flash.

Eines kann man Tuma allerdings nicht vorwerfen: Gut recherchiert ist dieser Roman. Die "Chat-Logs" (mit denen er ganze Kapitel füllt), also Dialoge im Chat, wirken echt. Keine Frage. Auch dass es Personen gibt, die im Netz Bekanntschaften schließen, dort eine Parallel-Welt aufbauen, ist zweifellos Fakt. Tuma muss sich zumindest in zahlreichen Chats und Foren herumgetrieben haben, um diese Welt in "Tödlicher Chat" recht realitätsnah wiederzugeben. Aber muss diese Netz-Kultur wirklich so dermaßen verteufelt werden? Als ob nur kranke und gestörte Persönlichkeiten dort ihr Unwesen treiben! Aber nach Meinung Tumas wohl nicht nur dort: Pauschal-Touristen sind für ihn "marodierende Bottrop-Proleten", TV-Moderatorinen blond-blöde Karrieremiezen. Ein bisschen dick aufgetragen wirkt Tumas Kritik. Ein bißchen zu derb, um glaubwürdig zu sein.

Vielleicht meint Thomas Tuma aber auch alles anders, ich habe ihn über 300 Seiten lang missverstanden und er will nur seinen eigenen Berufsstand persiflieren. Oder warum steht auf Seite 47:

 

"Er würde gerne ein Buch schreiben. Alle Journalisten, die Marc kennt, wollten ein Buch schreiben. [...] Atemlose Spannung. Marc hat keine Ahnung, worüber. Welcher Stil? Sex sells, das mag so abgeschmackt sein wie wie richtig. [...] Vorher vielleicht Appetithäppchen ins Internet stellen. Er hat keine Ahnung vom Internet. Aber online ist en vogue."

 

Trotzdem: Selbst unter diesem Gesichtspunkt fehlt Tuma für eine Persiflage das "Trashige". Schlussendlich werde ich den Eindruck nicht los, dass Tuma ein interessantes Thema recherchiert hat und ihm irgendwann die unselige Idee gekommen ist, seine Recherchen nicht nur in journalistischer sondern auch belletristischer Weise umzusetzen. Der Schuss ging deutlich nach hinten los. Worte wie "Schuster" und "Leisten" sollen an dieser Stelle nur angedeutet bleiben, den Phrasen wurden in "Tödlicher Chat" mehr als genug gedroschen.

Schade ums Thema. Denn das gibt einen guten Plot her, wie Greg Iles (@ E.R.O.S.) oder Jeffery Deaver (Lautloses Duell) bewiesen haben. Bei Tuma verliert man die Lust sowohl am Lesen seines Cyber-Krimis als auch am Online-Sein generell jedoch schnell - zum Glück kann der Internet-User aber seine Verbindung jederzeit trennen wie dieses Buch schließen. Machen Sie beides und genießen ihre Offline-Zeit mit einem guten Buch. Oder auch von mir aus mit dem SPIEGEL. Aber vor allem mit etwas anderem als "Tödlicher Chat". Denn die Lektüre dieses Werks ist Zeitverschwendung, weit mehr als belangloses Chatten.

Tödlicher Chat

Thomas Tuma, Rowohlt

Tödlicher Chat

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