Das Hannibal-Syndrom

  • Erschienen: Januar 2001
  • 10

Die Kriegsfotografin Jodan Glass stößt auf eine bizarre Gemäldeserie. Eine der im todesähnlichem Schlaf dargestellten Frauen ist ihre verschwundene Schwester Jane. Zusammen mit dem FBI stößt Jordan auf vier Verdächtige in New Orleans: Alle sind Kunstmaler. Wissen sie, ob Jane bereits tot ist? Lebt sie wieder Erwarten noch? Plötzlich wird Jordan selbst zum Ziel des Serienmörders.

Als die Fotografin Jordan Glass für Buchrecherchen ein Museum in Hongkong besucht, erleidet sie den Schock ihres Lebens: Die aktuelle Gemäldeausstellung des Kunstmuseums zeigt eine Serie von nackten Frauen, die zu schlafen scheinen. Doch sie sind so blass, dass sie genauso gut tot sein könnten. Und das Gesicht eines dieser Frauen ist ihr eigenes: das ihres eineiigen Zwillings Jane.

Auch die anderen Besucher des Museum erleiden einen Schock: Da hängen Bilder von nackten, möglicherweise toten Frauen an der Wand, und plötzlich spaziert eine der Totgeglaubten mitten unter ihnen umher... Als Jordan aus dem Chaos, das ihr Erscheinen verursacht hat, entkommen kann, schnappt sie sich den erstbesten Flieger, der sie in die Staaten bringt und ruft das FBI an.

Ihre Schwester Jane ist bereits über ein Jahr verschwunden - entführt, wie man glaubt. Und nun könnte das in Hongkong entdeckte Gemälde der endgültige Beweis sein, dass sie tot ist. Schon lange arbeitet daher Jordan mit Stellen des FBI in Quantico zusammen. Jordans Schreck sitzt tief, doch sie kann ihn bezähmen: Als Kriegsfotografin hat sie schon ziemlich jede Horrorszene erlebt, die man sich vorstellen; auch am eigenen Leib...

Sofort fliegt sie nach New York City, um den Händler zu treffen, der dem japanischen Besitzer der Museumsbilder die Gemälde verkauft hatte: Christopher Wingate. Doch kaum ist sie mit ihren hartnäckigen Reporterfragen ein Stück weit in die Vorgeschichte der Gemälde eingedrungen, wird in der Galerie auch schon Feuer gelegt. Sie entkommt mit knapper Not dem Inferno, doch Wingate schafft es nicht. Ein Besuch bei einem von Wingates Kunden, dem Exilfranzosen Marcel de Becque, verläuft ziemlich ergebnislos: Er hatte die ersten fünf Bilder gekauft, doch nicht auch jenes bekommen, das Jane zeigt.

Die Spur der in Hongkong sichergestellten Bilder führt über extrem seltene Pinselhaare direkt an die Universität von New Orleans, die Tulane University. In dieser Stadt hatte Jane mit ihrer Familie gelebt, hier hatte Jordan mal bei einer Tageszeitung gearbeitet. (Und hier kennt sich der in Mississippi aufgewachsene Autor hervorragend aus.) Zusammen mit FBI-Leuten, dem Special Agent John Kaiser und dem Psychologen Dr. Arthur Lenz, darf Jordan an den Verhören von vier Verdächtigen teilnehmen, darunter einem weltbekannten Kunstmaler namens Wheaton. Ist Jane noch am Leben?

Als Jordan bereits glaubt, ihre Nachforschungen würden ergebnislos verlaufen, verschwindet eine der vier Verdächtigen direkt vor den Augen ihrer FBI-Beschatter. Wenig später wird ein perfekt organisierter Angriff auf Jordan und ihre FBI-Beschützerin ausgeführt. Nur gut, dass auch John Kaiser in der Nähe ist...

Ich habe seit einiger Zeit keinen derart spannenden Thriller mehr gelesen. Nach dem furiosen Auftakt, der zur Hauptsache aus der erschütternden Entdeckung von Janes Bild und dem Brand in Wingates Galerie besteht, gerät die Handlung erst einmal in ruhigeres Fahrwasser. Die Befürchtung, die Verhöre der vier Verdächtigen könnten sich als falsche Fährte erweisen, die der Autor ausgelegt hat, um uns irrezuführen, bewahrheitet sich nicht: Hier sind wir schon genau richtig.

Die Lage spitzt sich bereits nach 250-300 Seiten einigermaßen zu, als Jordan brutal angegriffen wird, wobei ihre Beschützerin ihr Leben opfert. Von da ab überschlagen sich die Informationen und Ereignisse, bis zu einer langen und beklemmenden Passage, in der sich Jordan hilflos in den Gewalt des Mörders wiederfindet und erfährt, wie alles begann. Nach dem obligatorischen Showdown findet eine doppelte Wiederauferstehung statt. Mehr darf ich nicht verraten.

Menschlich anrührend ist der Roman in sehr vielen Szenen, ganz gleich, ob es sich um die Ich-Erzählerin Jordan Glass geht oder um die gewaltsam verwaiste Familie ihrer Schwester. Hilfe und Beistand findet die 40-jährige Jordan, die sich in ihrer Arbeit verloren hat, bei Special Agent John Kaiser. Nach einigen zaghaften Annäherungsversuchen, die immer wieder von dienstlichen Anrufen unterbrochen werden, finden die beiden schließlich zueinander, um gemeinsam einen Neuanfang zu wagen.

Ungewöhnlich an der mittlerweile gewohnten Plotidee des psychisch abnormalen Serienmörders ist das Milieu, in dem der Täter zu suchen ist. Die Kunstmalerei war bislang nicht besonders dafür bekannt, Schauplatz blutiger Morde oder anderer Kapitalverbrechen zu sein. Prompt kommt auch hier der Verweis auf Oscar Wildes berühmte Novelle "Das Bildnis des Dorian Gray", in dem der "Titelheld" einen Mord begeht und sich danach ewige Jugend verschafft - zumindest vorerst. Greg Iles verrät große Detailkenntnisse, für die er sich bei den konsultierten Sachverständigen am Schluss des Buches artig bedankt.

Oftmals das Sorgenkind bei Romanen mit solch spezialisierten Fachbereichen, wie sie hier auftreten, ist doch die Übersetzung diesmal ausgezeichnet gelungen. Anders als bei Tom Clancys letztem Buch hat auch das Lektorat keine Fehler übersehen. Obwohl ich den Übersetzer Axel merz nicht gerade als den Allerbesten seines Fachs kennengelernt habe - er übertrug den kompletten Armageddon-Zyklus von Peter F. Hamilton ins Deutsche -, so hat diesmal die möglicherweise bessere Bezahlung als beim Taschenbuch für einwandfreie Arbeitsergebnisse gesorgt. Schon lange habe ich den Eindruck, dass Hardcover-Übersetzungen eine höhere Qualität besitzen als Taschenbücher. Ausnahmen wie Clancy bestätigen die Regel.

"Infernal" ist ein kompetent gebauter und sehr spannend erzählter Thriller, der mit ähnlichen Elementen umgeht wie etwa "Sieben" oder "Das Schweigen der Lämmer" und damit Erfolg hat. Nur dass seine Figurenzeichnungen außer bei der Hauptfigur nicht besonders tiefgründig sind. Jordan und ihre Familie erhalten eine eigene Historie, die psychologisch untermauert wird und für eine subtile Spannung sorgt. Daher versteht man auch, warum Jordan so sehr bemüht ist, die Wahrheit über Janes Schicksal herauszufinden: Sie muss sich selbst retten, bevor sie zusammenbricht.-

Nun könnte man meinen, die Morde an den "Schlafenden Frauen" wären sinnlos, weil sie von einem psychisch Gestörten begangen werden. Dem ist keineswegs so - die Botschaft, die Iles geschickt verpackt hat, lautet wie folgt: je höhere Preise Gemälde mit bestimmten Motiven erzielen können, desto mehr wird das entsprechende Angebot zunehmen: das Gesetz von Nachfrage und Angebot. Schlecht für die Opfer: Erst als die nackten Frauen realistisch so dargestellt werden, als befänden sie sich im Todesschlaf, steigen die Preise rasant in die Höhe: Das letzte Gemälde bringt fast zwei Millionen Dollar! Kunst killt.

Ich habe den Roman in nur drei Tagen gelesen, wobei ich in der letzten Sitzung die restlichen 300 Seiten einfach lesen musste. Das Buch ist zu spannend, um es einfach zwischendurch mal weglegen zu können. Die Mühe hat sich gelohnt. Ich bin rundum zufrieden mit dem Buch.

Das Hannibal-Syndrom
Das Hannibal-Syndrom
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Peter Kümmel
79°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2003

Nein, das Hannibal-Syndrom hat überhaupt nichts mit dem karthagischen Feldherrn gleichen Namens zu tun. Der Titel spielt viel mehr auf die Romanfigur Hannibal Lector, den psychopathischen Mörder aus den Kriminalromanen von Thomas Harris, an, wie auch der Untertitel des Buches "Phänomen Serienmord" schon verdeutlicht.

Ich bin zwar an sich Liebhaber von fiktiven Kriminalromanen und obwohl dieses Sachbuch eher zufällig an mich herangetragen wurde, hat es dennoch bei mir die Neugier geweckt.

In seiner Einleitung versucht der Autor zunächst einmal, seine Intention für dieses Buch darzustellen und dem Leser einerseits den Begriff "Serienmord" und zum anderen die verschiedenen Prototypen dieser Spezies näherzubringen.

Da Stephan Harbort die bestehenden Erklärungen für diesen Täter-Begriff als zu vage befand, kommt von ihm diese Definition: "Der voll oder vermindert schuldfähige Täter begeht alleinverantwortlich oder gemeinschaftlich mindestens drei vollendete vorsätzliche Tötungsdelikte, die von einem jeweils neuen, feindseligen Tatentschluß gekennzeichnet sind."

Doch wer ist eigentlich dieser Stephan Harbort, der sich herausnimmt, neue Definitionen zu erschaffen und das Phänomen dieser Tätergruppe wissenschaftlich ergründen zu wollen?

Stephan Harbort wurde 1964 geboren, ist Diplom-Verwaltungswirt und hat als Kriminalhauptkommissar und stellvertretender Leiter eines Kommissariats im Polizeipräsidium Düsseldorf beruflich viel Erfahrung mit dem Thema des Buches. Von 1996-2000 war er Lehrbeauftragter an der Fachhochschule in Düsseldorf und von 1998-1999 Referent am Polizeifortbildungsinstitut in Neuss. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Fachbücher und -aufsätze und arbeitet eng mit der Universität Liverpool zusammen. Mit seiner Entwicklung des empirischen Täterprofils von Serienkillern sorgte er europaweit für Aufsehen. Gerade ist sein neuestes Buch "Mörderisches Profil" erschienen. Harbort lebt in Düsseldorf, ist verheiratet und hat eine Tochter.

Harbort hat für sein Vorhaben sechs Jahre lang die Akten sämtlicher Serientäter studiert, die in der Bundesrepublik von 1945 bis 1995 abgeurteilt wurden. Insgesamt gab es in diesem Zeitraum etwa 200 Täter, die in Harborts Klassifizierung fallen. Erschreckend dabei vor allem, dass die Zahl eher ansteigend ist und in Deutschland weit über dem Durchschnitt Europas liegt.

Der Autor führt für sich folgende Kategorisierung durch; er unterteilt Serientäter in nachstehende Untergruppen:

  • Serien-Sexualtäter, deren Handlungen vor, während oder nach dem Tötungsakt eine sexuelle Komponente enthalten
  • Täter, die von psychopathologischen und soziologischen Bedingungsfaktoren geprägt werden
  • Serien-Raubmörder, die ausschließlich aus Habgier töten
  • Serien-Beziehungsmörder, die sich mittelbar bereichern oder sich aus bestehenden Beziehungen freimachen wollen
  • Serien-Gesinnungsmörder, die aus ideologisch verbrämten Gründen töten
  • Serien-Auftragsmörder

Die Ausführungen, die Harbort in seinem Anfangskapiel macht, halten eher vom weiteren Lesen ab, als daß sie dazu animieren. Zu sehr versucht er, die wissenschaftlichen Aspekte im Vordergrund zu halten, und dies tut er hauptsächlich mit dem übertriebenen und in dieser Häufung absolut unnötigen Gebrauch von Fremdworten.

 

"Gleichwohl wird das Persönlichkeitsprofil dominiert von allgemeiner Antriebsschwäche, episodenhaft morosen (von Verdrießlichkeit geprägten) Verstimmungszuständen, egoistisch-rigider Gefühlshaftigkeit, narzißtischer Kränkbarkeit und hohem Geltungsbedürfnis. Die ausnahmslos heimtückischen Taten sind nicht der radikale Endpunkt einer katathymen (affekt- oder wunschbedingten) Selbstwertkrise, sondern sind eingebettet in kognitive, bisweilen auch schizoid (von seelischer Zerrissenheit gekennzeichnet) eingefärbte Entscheidungsprozesse."

 

Eine solche Aneinanderreihung von Fremdworten macht einen Text fast unlesbar und sorgt mit Sicherheit nicht dafür, dem Werk einen wissenschaftlichen Touch zu verleihen. Glücklicherweise bleibt der Leser im Verlauf des Buches weitgehend von solchen Ausbrüchen verschont.

Der Aufbau der weiteren vierzehn Kapitel, jeweils etwa zwanzig Seiten lang, ist sehr einheitlich. In jedem Kapitel wird ein anderer Typ des Serienmörders dargestellt. An einem Beispiel werden die Taten ausführlich und nicht unter Auslassung von schockierensten Details dargestellt. In bester "Aktenzeichen XY ungelöst"-Manier erfahren wir von Ermittlungserfolgen und -mißerfolgen, von geschickten Schachzügen bei der Fahndung, aber auch von Fehlern der Polizei. Harbort vermittelt etwas über die Motive, die zu solchen Taten führen. Danach wird das Leben des Täters von vorne aufgerollt. Dabei lässt sich deutlich feststellen, dass es sich bei den geschilderten Fällen fast ausnahmslos um Menschen handelt, die aus unteren sozialen Schichten stammen, als Kinder mit der zerrütteten Ehe ihrer Eltern konfrontiert wurden oder denen die notwendige elterliche Liebe versagt geblieben ist. Oftmals zeigten sich bereits im Kindesalter deutliche Verhaltensauffälligkeiten und viele der späteren Mörder gelangten schon in ihrer Jugend auf die schiefe Bahn.

Keiner der geschilderten Fälle entspricht jedoch dem in Kriminalromanen immer wieder gern benutzten Klischee vom intelligenten Serienkiller, der gleichzeitig einem hochangesehenen Beruf nachgeht und die Polizei mit versteckten Hinweisen an der Nase herumführt. Was besonders nachdenklich macht, sind Fälle, die gar nicht bemerkt wurden, weil die Opfer nicht vermisst wurden. Oft sind auch Tötungsdelikte gar nicht als solche erkannt worden, da allzu schnell ein natürlicher Tod attestiert wird.

"Das Hannibal-Syndrom" ist kein Buch zum hintereinander weg lesen. Nachdem man erfahren hat, wie Knut Storbeck einem jungen Mann mit einer Eisenstange den Schädel zertrümmert und anschließend den Leichnam mit seinem Taschenmesser Stück für Stück zerlegt, Unterschenkel, Hände, Arme und das Geschlechtsteil abschneidet, dieses dann in zwei Hälften teilt und anschließend noch den Kopf abschneidet, ist man froh, zwischendurch mal wieder etwas fiktives lesen zu dürfen. Nicht alle Fälle des Buches sind zwar so grauselig und blutrünstig zu lesen, doch der Blick in die Abgründe der menschlichen Seele rufen beim Leser nur unglaubliches Unverständnis hervor.

Doch der Autor hat sich nicht nur aus der Ferne durch Aktenstudium mit den Mördern befasst, sondern hat sich in den meisten Fällen selber mit ihnen unterhalten oder zumindest versucht, persönlich mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Dabei machte er die unterschiedlichsten Erfahrungen: Mörder, die sich ihre Taten selber nicht erklären können, Täter, die unter einem Zwang stehen, immer wieder töten zu müssen und froh darüber sind, in der Haft vor sich selber geschützt zu sein, aber auch Verbrecher, vor denen er selber Angst hatte, wie Peter Windisch, dessen Verhalten dem eines Hannibal Lector gar nicht so unähnlich ist.

Wer sich für das Thema Psychologie interessiert, mag vielleicht aus dem Buch noch ein paar mehr Erkenntnisse herausziehen können als mir das möglich war. Auf 12 Seiten Anhang bietet der Autor zudem noch jede Menge Quellenangaben mit weiterführender Literatur an.

Grundlegend neue Erkenntnisse konnte das Buch zwar nicht vermitteln, doch macht es einerseits nachdenklich ob des Erschreckens, mit welchen Menschen wir in unserer Gesellschaft zusammen leben, zum anderen zeigt es auch, von welchen Zufällen es oft abhängt, dass diese Bestien auch für das, was sie getan haben, zur Rechenschaft gezogen werden können. Man kann dieses Buch nicht lesen wie andere Bücher. Um dieses Buch durchzuhalten, braucht man gute Nerven, denn man muß sich ständig vor Augen halten, dass alles, was hier beschrieben wird, grausame Realität ist.

Das Hannibal-Syndrom

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