Eingeschneit mit einem Mörder
- Dörlemann
- Erschienen: September 2025
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Arche mit mordbedingtem Passagierverlust.
Nach Jahren des Darbens ist Jung-Autor Angus Stuart ein Bestseller gelungen. An Ruhm und Geld muss er sich erst gewöhnen. Über die Weihnachtstage will er sich Ferientage in einer luxuriösen Hotelanlage weit außerhalb Londons gönnen. Allerdings kommt Angus nicht so weit.
Das Winterwetter macht nicht nur ihm einen Strich durch die Rechnung. Hoher Schnee blockiert die Fahrbahn und zwingt ihn, gemeinsam mit einigen anderen Gestrandeten Zuflucht in einem glücklicherweise nahen Dorf und im altehrwürdigen Gasthof „Noah’s Arche“ zu suchen. Dort ist es wider Erwarten gemütlich, und Angus findet rasch Anschluss.
Nicht alle Gäste mögen einander. „Major“ Carew ist ein Trunkenbold und Wüstling, Lord Romsey ein überheblich-beschränkter Adliger und die Witwe van Dolen eine vulgär-reiche Amerikanerin, die selbst in dieser Abgeschiedenheit unklug mit ihrem prächtigen Schmuck prunkt.
Immerhin gehört auch Dr. Luke Constantine zu den Gestrandeten. Der Schachmeister ist auch als Amateurdetektiv bekannt, was sich bald als hilfreich erweist: In einer der folgenden Nächte wird Mrs. van Dolens Schmuck geraubt sowie einer der Gäste umgebracht. Der Ortspolizist tut sein Bestes, aber da man inzwischen endgültig von der Außenwelt abgeschnitten ist, versuchen sich auch Constantine und Angus an einer Ermittlung ...
Geliebtes Rätselspiel in realitätsfernem Ambiente
Die 1930er Jahre waren eine ideale Zeit für die Freunde des klassischen Rätselkrimis angelsächsischer Schule. Autorinnen und Autoren sorgten für einen regelmäßigen Nachschub an Übeltaten, die möglichst kompliziert begangen wurden, um anschließend von unfähigen Profi-Ermittlern hilflos bestaunt und von exzentrischen, aber genialen Amateuren aufgeklärt zu werden.
Dass die Realität in diesem Umfeld nur bedingt von Bedeutung war, macht Molly Thynne, Verfasserin des 1931 entstandenen und hier vorgestellten Romans, schon mit dem Originaltitel klar: „The Crime at the Noah’s Ark“ vermittelt absolut zutreffend das Bild einer Gruppe, die von der Umwelt abgeschnitten in einer Arche eingeschlossen ist, die in unserem Fall ein altes, eigentlich gemütliches, aber auch riesiges, verwinkeltes und deshalb unübersichtliches Gasthaus darstellt.
Zwar leise, doch unaufhörlich rieselt in dieser Ära vor der Klimawende der winterliche Schnee. Er kann noch Straßen und Bahngleise unbefahrbar machen und den Verkehr aufhalten, was Thynne in einer hübschen Szene und vor Beginn der eigentlichen Handlung beschreibt. Das Telefon muss in dieser Zeit lange vor Handy und Internet den Kontakt nach ‚draußen‘ garantieren, es ist aber ein seltener Hausgast, der zudem gern ausfällt, wenn besagter Schnee die Verbindungsleitungen (!) reißen lässt. In der CSI-Gegenwart fällt es schwer zu begreifen, wenn wir lesen, dass Scotland Yard nicht kommen kann, weil die Beamten im Schnee steckenbleiben würden ...
Unverhofft zusammengewürfelt
Man muss sich also selbst (be-) helfen, denn das Gesetz wird von einem zwar nicht gänzlich dämlichen, aber ländlich-schwerfälligen Constable repräsentiert, der von diesem Fall heillos überfordert wird. Man kann es dem armen Bates nicht verdenken, denn die kriminellen Ereignisse überschlagen sich förmlich: nächtlicher Einbruch, Juwelenraub und Mord, noch ein Raub und anschließend das Treiben gleich zweier Übeltäter, von denen der eine dem anderen die Juwelen abspenstig gemacht hat und nun verfolgt wird. Weiterhin bleibt das unfreiwillige Duo mit den Gästen in „The Noah’s Ark“ gefangen. Auch die Beute kann den Ort nicht verlassen, was die Ermittlung beflügelt: Der Fall muss gelöst sein, bevor die Straßen wieder frei sind!
Damit Schwung in das Geschehen kommt, sperrt Autorin Thynne eine möglichst bunte Gruppe zusammen. Hier haben wir sie wieder beisammen - den dümmlichen, aber selbstbewussten, weil durch seinen Stand privilegierten Adligen, den ehemaligen Offizier, dessen Glanzzeit nur noch von ihm selbst behauptet wird, die durch Heirat aufgestiegene, alternde Witwe, die Trost in ihrem Schmuck sucht, ihre unterdrückte Zofe, den reisenden Vertreter als Vertreter des „einfachen Volkes“, die alleinstehende, berufstätige Frau, den (als Schachmeister glaubwürdig) klugen Kopf und auch Detektiv sowie den jungen, eifrigen, aber unerfahrenen Mann als „Watson“ und Stellvertreter des Lesers.
Der Zufall muss einige Sonderschichten einlegen; so gibt es in dieser Truppe einige, die sich lieber nicht über den Weg gelaufen wären. Entsprechende Andeutungen - gern von Watson Angus mit nur einem Ohr aus der Ferne vernommen und fehlinterpretiert - sorgen für zusätzliche Verdachtsmomente, sobald das Kriminelle die Handlung übernimmt. Auch sonst scheinen die Anwesenden diverse Geheimnisse zu hüten, die sie daran hindern, die Karten offen auf den Tisch zu legen.
Kammerspiel mit krimineller Handlung
In gewisser Weise stellt „The Noah’s Ark“ ein Bühnenbild mit ungehinderter Zuschauer- bzw. Lesersicht ins Innere des ‚Gasthauses‘ dar. Scheinbar redlich bemüht sich die Autorin, uns an sämtlichen Ereignissen teilhaben zu lassen. Wer könnte ihr vorwerfen, dass die verschachtelte Konstruktion, zu viele Treppen sowie eine kümmerliche Beleuchtung dafür sorgen, dass die Bösen uns und den zunehmend frustrierten Amateur-Ermittlern immer wieder ein Schnippchen schlagen?
Es geht recht turbulent zu zwischen den Wänden dieser Arche. Thynne sorgt nicht nur allnächtliche ‚Action‘, sondern bemüht sich außerdem, möglichst jeden Mann und jede Frau in Verdacht zu bringen. Selbstverständlich zeigt sich das Böse im Finale in bisher absolut unschuldiger Gestalt, wobei allerdings Whodunit-erfahrene Leser zumindest ahnen, wer hier sein Unwesen getrieben hat. Dass Thynne an ‚psychologischer Tiefe‘ spart, dürfte das Publikum womöglich zusätzlich erfreuen.
Mary Harriet „Molly“ Thynne (1881-1950) leistete ihren kleinen, aber feinen Beitrag zur (englischen) Kriminalliteratur in nur sechs Jahren. Sie wurde in die britische Aristokratie hineingeboren - ihr Urgroßvater war der 2. Marquess of Bath - und schrieb eher zum Zeitvertreib. Einen ersten Roman veröffentlichte sie 1914, danach legte sie die Feder erst einmal nieder, reiste viel, lernte die Welt kennen und heiratete niemals.
Zwischen 1928 und 1933 erschien ein halbes Dutzend Romane, die zu den klassischen Whodunits der „Goldenen Ära“ dieses Genres zählen. „Eingeschneit mit einem Mörder“ („The Crime at the Noah’s Ark - A Christmas Mystery“) erschien 1931 und war der erste von drei Krimis, in denen der Schachmeister und Amateurdetektiv Dr. Constantine ermittelte.
Fazit
Turbulenz, Spannung und Nostalgie atmet dieser 1931 erstmals erschienene Rätselkrimi einer hierzulande bisher unbekannten Autorin, die unter Einsatz der genretypischen, aber geschickt variierten Elemente ein Garn spinnt, das es verdient, neuen Lesern vorgestellt zu werden.

Molly Thynne, Dörlemann

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