Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping

  • Pulp Master
  • Erschienen: Mai 2025
  • 0
Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping
Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonOkt 2025

Schwerkriminelle Dummheit gegen mäßig geniales Verbrechen.

Schon immer ist Pete Halliday mit seiner vernunftfreien Lebensplanung gescheitert. Einst war er ein Baseball-Talent auf dem Sprung in die obere Liga, als man ihn bei verbotenen Wetten erwischte. Seitdem ging es stetig abwärts. Als Kleinkrimineller zockt Pete kleine Fische ab und ist stets in Geldnot, zumal sich sein Problem mit dem Glücksspiel nicht gebessert hat: Weiterhin verliert er viel Geld, und wie üblich ist ein Buchmacher hinter ihm her, um die Schulden notfalls schmerzhaft einzutreiben.

In New Orleans, wo Pete gelandet ist, fühlt er sich ansonsten wohl. Das ändert sich, als er wider besseres Wissen auf seinen besten Freund hört. Tommy LeClerk hat wieder einen todsicheren Plan für das große Geld: Er wird mit Pete einen Supermarkt-Leiter überfallen, dessen Ehefrau bedrohen und den Gatten zwingen, den Ladensafe zu öffnen!

Selbstverständlich misslingt das Unternehmen: Der Supermarkt entpuppt sich als Geldwaschanlage der lokalen Mafia, der Leiter schlägt Tommy in die Flucht, und die Ehefrau macht sich mit einer halben Million daheim gebunkerter Dollar aus dem Staub. Dafür stehen aus Sicht der Mafia Pete und Tommy gerade. Eine kurze Frist wird ihnen gewährt, um die flüchtige Gattin zu finden und ihr das Geld abzunehmen. Um die beiden anzuspornen, wird ein berüchtigter Killer auf sie angesetzt.

In Panik suchen die Freunde nach einem Ausweg. Flucht ist unmöglich; schon der Versuch überfordert sie. Dann hat Tommy eine neue Idee: Man wird ein zweites Kidnapping inszenieren und einen noch viel reicheren Mann ausnehmen ...

IQ = Null, Gewalt = unendlich

Man muss nicht raten, wie das ausgehen wird. Kennt man darüber hinaus Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“, weiß man außerdem, welchen Grundton der Autor den Ereignissen unterhebt. Les Edgerton (1943-2023) geht allerdings einige Schritte weiter, Subtilität zählt nicht zum Inhalt seines literarischen Werkzeugkastens. Dafür versteht er die Kunst, die Dinge auf die Spitze zu treiben. Was Edgerton hier entfesselt, ist ein wahrer Wirbelsturm absurder Ereignisse und Kettenreaktionen. Glaubt man unsere ‚Helden‘ endgültig in der Todesfalle zu sehen, finden sie garantiert eine Möglichkeit, noch eine weitere Dummheit zu begehen.

Sicher weit an der Spitze liegt der hier aus Non-Spoiler-Gründen nur skizzierte ‚Plan‘ einer Hand-Amputation, um den Besitzer zur Zahlung eines Lösegelds für das gekidnappte Körperteil zu zwingen - dies innerhalb der Frist, innerhalb derer ein Wiederannähen möglich ist ... Natürlich steigert diese Herausforderung das typische Chaos zu einer Kakophonie des Irrsinns, den Edgerton (unterstützt durch einen ihm ausgezeichnet gewachsenen Übersetzer) mit erstaunlicher Wortgewalt entfesselt.

Bereits der Weg dorthin ist mit allzeit schlecht umgesetzten Vorsätzen gepflastert. „Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ erzählt von zwei vollständig verstrahlten, für die Kriminalität grundsätzlich ungeeigneten Zeitgenossen. Obwohl diverse Schwer- und Leichtverletzte sowie die eine oder andere Leiche im Kielwasser ihrer Untaten zurückbleiben, nimmt man sie in ihrer beinahe reinen Torheit als liebenswerte Gestalten wahr: Pete und Tommy sind keine ‚schlechten‘ Menschen, sondern schlicht überfordert vom Leben.

Aufs Ganze und dabei draufgehen

Pete weiht uns in seine Vergangenheit ein, die sich als Kette selbst verschuldeter Niederlagen erweist. Erst im Finale stellt sich bei ihm so etwas wie Erkenntnis ein; hier konterkariert Edgerton die Vorgeschichte und wird plötzlich moralisch bzw. moralisierend, was einen gewissen Bruch darstellt. Offenbar wollte er zumindest Pete ein (wahrscheinlich vorläufiges) Happy-End gönnen. Dazu passt (oder auch nicht) eine recht konventionelle Liebesgeschichte: Pete gerät an die sprichwörtliche Nutte mit dem goldenen Herzen, die in diesem 21. Jahrhundert zudem schlag- und schusskräftig auftritt. Die (selbstverständlich) schöne Cat wird zur treibenden Kraft und bringt Pete auf neue Gedanken.

Plötzlich entwickelt er einen wagemutigen Plan, der ungeachtet der üblichen Zwischenfälle sogar gelingt, und zeigt dabei eine Zielstrebigkeit, die man bisher von ihm nicht kannte oder erwartet hätte. „Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping“ biegt hier auf Gleise ein, die vom unkonventionellen Verlauf der Handlung abweichen. Das ist schade, denn es nimmt ihr die Überraschung: Bisher konnte man sich ebenso wie Pete absolut nicht sicher sein, welche hässliche, böse und krude Wendung die Ereignisse nehmen würden. Nunmehr ahnt man, dass die drei Hauptpersonen die Krise ungeachtet aller gegen sie lautenden Wetten überstehen werden. Wenigstens sorgt Edgerton in Sachen Tommy für einen Twist, der jedoch auch symbolisch für Petes Reifung zum ‚Erwachsenen‘ stehen könnte.

Konstant ist der Autor in der Beschreibung einer Welt als Mikrokosmos. Die ständige Unruhe im Leben seiner tunichtguten Anti-Helden spiegelt sich im Schauplatz New Orleans wider. Dort sind Temperatur und Luftfeuchtigkeit hoch und sorgen schon dadurch für eine labile emotionale Stimmung. Die Gefühle kochen buchstäblich leicht über, aber dies sorgt auch für jene Leichtigkeit des Seins, der gern mit „The Big Easy“ umschrieben wird. Pete und Tommy fühlen sich wohl wie Fische im Wasser, das hier durch den allgegenwärtigen Körperschweiß ersetzt wird.

Das Böse in seiner Suhle

Besagter Mikrokosmos sorgt außerdem für eine Unterwelt, die quasi ohne Gesetz und Ordnung funktioniert. Die Welt, durch die Pete und Tommy treiben, ist fest im Griff des organisierten Verbrechens. Das sorgt für simple Regeln: Die Mafia bekommt immer ihren Anteil, und wer mit Zahlungen im Rückstand ist, wird zunächst bedroht, dann schmerzhaft an seine Pflichten erinnert und notfalls demonstrativ hässlich umgebracht. Dieser Kodex steht, und er wird nicht durch eine Polizei gestört, die gut geschmiert erst dann vor Ort erscheint, wenn die Mafia dort bereits die Angelegenheit in ihrem Sinn geregelt hat.

Dies fügt sich ein in eine politische Szene, die durch und durch korrupt ist sowie seit jeher vom Verbrechen profitiert und sich nicht nur die Polizei, sondern auch die Justiz zu Eigen gemacht hat. In der feuchten Schwammigkeit des US-Südens verpufft jede Gegenmaßnahme kraftlos. Dass unsere Geschichte im Finale eine recht märchenhafte Wende nimmt, ist vor diesem Hintergrund glaubhaft. Grundsätzlich gäbe es für Pete, Tommy und Cat keine Möglichkeit, dem System ein Schnippchen zu schlagen. Der Autor profitiert von seiner gottähnlichen Stellung und sorgt für einige Gunstbezeugungen, um seinen Hauptfiguren (und uns Lesern) ein Hintertürchen zu öffnen sowie den Schurken jenes verdiente Ende zu bescheren, dass sie normalerweise niemals ereilen würde.

Covid-19 sorgte für das Ende einer Schriftstellerkarriere, die zuvor glücklicherweise so lange angedauert hatte, dass mehr als ein Dutzend Romane als Nachlass blieben. Les Edgerton hat ein buntes Leben geführt und selbst einige Jahre als erfolgloser Verbrecher im Gefängnis verbracht. Er kennt also das Milieu, in dem sich Pete und Tommy bewegen. Dieses Wissen sorgt zumindest für die Anmutung von Authentizität, was jenseits des Atlantiks und in Unkenntnis möglicher Realabweichungen jederzeit ausreicht, um ein großartiges Lektüre-Erlebnis zu kreieren.

Anmerkung: Was mag sich hinter jener Anmerkung im Impressum verbergen, nach der es sich bei dieser Übersetzung um eine „leicht gekürzte Ausgabe“ handelt? Wurden in diesen politisch korrekten Zeiten einige gar zu polarisierende Passagen entschärft oder gestrichen? Man wünscht sich so etwas gerade im Umfeld der sich kompromisslos gebenden „Pulp-Master“-Reihe nicht!

Fazit

Konsequent auf die Spitze getriebener „Noir“-Krimi, dessen pulpfiktionale Handlung im Finale durch infektiöse Anwandlungen von Moral ein wenig aus dem Gleichgewicht gerät. Das Figurenpersonal fügt sich in eine fühlbar kochtopfheiße Umgebung ein, in der moderate Reaktionen die Ausnahme bleiben: ein schräges Vergnügen!

Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping

Les Edgerton, Pulp Master

Das grenzgeniale Pseudo-Kidnapping

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