Ich war's nicht

  • Scherz
  • Erschienen: Juni 2025
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Thomas Gisbertz
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2025

Packender Thriller aus England mit schwächerem Ende.

Der 28-jährige Wilbor „Will“ Cox lebt am Rande von London ein eher unscheinbares Leben. Die Arbeit in einer Werbeagentur ödet ihn zumeist an. Mit den Kollegen geht er aber gerne abends ein Bier in einem Pub trinken. So auch in jener verhängnisvollen Nacht im Oktober, die sein Leben für immer verändern wird. Auf dem Heimweg begegnet er in einer verlassenen Gasse einem stark alkoholisierten Fremden, der Will derart provoziert, dass dieser ihn mit einem Kinnhaken niederstreckt. Das Fatale ist, dass der Unbekannte tot liegen bleibt. Schnell muss Will erkennen, dass nichts mehr so sein wird wie zuvor. Doch was soll er tun? Den Unfall gestehen? Oder gibt es eine andere Lösung? Schließlich war niemand sonst in der Gasse und es gibt keine Überwachungskameras. Also lässt er den Toten zurück und hofft, ungeschoren davon zu kommen. Doch Monate später erhält er einen USB-Stick mit einem Video und einen abgerissenen Zettel mit der Aufschrift: „Ich weiß, was du getan hast.“

Debütroman

Royston Reeves, geboren 1984, kennt sich aus mit spannenden, begeisternden Geschichten: Er hat TV-Drehbücher verfasst, als Kreativdirektor beim Sender itv gearbeitet und wurde für Werbekampagnen ausgezeichnet. Sein erster Thriller „Ich war‘s nicht“ (OT: The Weatherman) erschien 2023 in Großbritannien.

Starker Psychothriller

Autor Royston Reeves versteht es, den Leser ab der ersten Seite zu fesseln. Gleich zu Beginn offenbart sich der Ich-Erzähler Will: „Ich möchte euch von der schlimmsten Sache erzählen, die mir jemals passiert ist.“ (Seltsamer Weise bewirbt der Verlag das Buch mit einem etwas anderen Satz auf der Rückseite).

Bereits diese Erzählperspektive und die damit immer wieder verbundene Ansprache an den Leser sind ein großes Plus des Thrillers. Schließlich erfahren wir alles aus der singulären Sicht Wills und müssen entscheiden, ob wir ihm wirklich vertrauen können. In einer Art Retrospektive berichtet er über die Ereignisse jener verhängnisvollen Nacht und über die Folgen, die sein Fehlverhalten für ihn und sein Leben hatten. Der Autor spielt geschickt mit seinem Protagonisten und wiegt ihn immer wieder in scheinbare Sicherheit, indem zum Beispiel wochenlang nach der Tat so etwas wie Normalität in Wills Leben einkehrt. Dieser bringt eine fast schon rücksichtslose Entschlossenheit auf, um alles, was ihn gefährdet, abzuwenden. Es wäre sicherlich gut gewesen, hätte Royston Reeves hier die moralischen Fragen, die Will sich selber teilweise stellt, noch stärker in den Vordergrund gestellt.

Schein und Sein

Als Wills Gegenspieler führt der Autor den undurchsichtigen Solly Green ein. Ein widerlicher, stinkender und ungepflegter Typ, der sein Geld mit Pokerspielen verdient. Die Figur ist in ihrem Auftreten nicht greifbar und in ihrem Verhalten unberechenbar. Solly ist es auch, der Will das Video zuspielt, auf dem er die Auseinandersetzung in der Gasse festgehalten hat. Doch dieser verlangt zunächst gar keine Gegenleistung von Will, sondern möchte mit ihm über die Tat sprechen. So verwirrend dies auf die Hauptfigur wirken mag, so sehr ahnt der Leser, dass dies noch nicht alles sein kann. Es entwickelt sich tatsächlich ein intelligentes Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden, bei dem mal der eine, mal der andere scheinbar die Oberhand gewinnt. Doch leider wird diese Auseinandersetzung zunehmend ermüdend, zumal man schnell ahnt, dass mehr hinter Sollys Motivation steckt, als er zunächst zugeben möchte. Interessant ist es aber allemal zu beobachten, wie der verzweifelte Will versucht, sich gegen den rätselhaften Solly, der mal als Gegner, mal als Freund auftritt, zu wehren.

Unterbrochen werden diese Episoden immer wieder durch den Besuch seines Ermittlerpaars: DI Matt Probert und PS Sarah Kane. Diese untersuchen den Fall um den ermordeten Mann in der Gasse und wecken in Will nicht nur verdrängte Erinnerungen, sondern treiben ihn in die Enge. Dennoch wird auch bei ihnen zunächst nicht das klar, was sie genau von Will wollen, da ein dringend Tatverdächtiger längst seit Monaten im Gefängnis sitzt.

Schwächerer Schluss

Royston Reeves gelingt über weite Strecken wirklich ein überzeugender Psychothriller voller Suspense, der im Mittelteil aber seine Längen hat. Etwas enttäuschend ist zusätzlich der Schlussteil. Während der Autor zuvor mit dem Spiel aus Sein und Schein begeistern kann, wirkt das Ende weder unerwartet (dafür gab es einfach zu viele Hinweise) noch gelungen. Irgendwie wirkt es zu banal und einfach. Hier hätte man sich als Leser einen letzten finalen Clou erhofft.

Fazit

„Ich war‘s nicht“ von Royston Reeves hätte das Potential zu einem absoluten Jahres-Highlight gehabt. Leider geht dem Roman nach fulminantem Start doch etwas die Puste aus. Einige Längen im Mittelteil und ein enttäuschender Schluss trüben den ansonsten positiven Leseeindruck etwas. Dennoch lohnt es sich, den Titel zu lesen. Besonders das durchtriebene Spiel Sollys und die Ohnmacht Wills, die immer wieder in den Dialogen zum Ausdruck kommen, zeigen, welches Potential im Autor steckt.

Ich war's nicht

Royston Reeves, Scherz

Ich war's nicht

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