Holmes & Moriarty

  • HarperCollins
  • Erschienen: Juli 2025
  • 1
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2025

2 x 2 Feinde in kriminalistischer Notgemeinschaft.

Im Dezember des Jahres 1889 führen mysteriöse Ereignisse zu einer unerwarteten Koalition: Die Erzfeinde Sherlock Holmes und Professor James Moriarty tun sich zusammen, um ein Rätsel zu lüften, hinter dem dich eine böse Macht verbirgt, die nicht nur das britische Empire, sondern auch die gesamte Welt ins Verderben zu stürzen droht!

Holmes, der wohl berühmteste Privatermittler seiner Zeit, und Moriarty, der Anführer einer kriminellen Organisation, die auf sämtlichen Kontinenten aktiv ist, bekämpfen sich seit Jahren erbittert, haben es bisher aber nicht auf eine direkte Konfrontation ankommen lassen; der Ausgang einer solchen Begegnung ist ungewiss, was beide Gegner wissen.

Dann werden sie Zeugen, wie der britische Kriegsminister auf bizarre und grausame Weise ermordet wird. Dies sei nur der Beginn des allgemeinen Verderbens, informiert sie ein Unbekannter, der sie zum gemeinsamen Vorgehen auffordert. Kurz darauf gilt Holmes als Mörder und muss England fluchtartig verlassen. Moriarty schließt sich ihm an, denn auch er steht unter Druck.

Die ungleichen ‚Partner‘ folgen einer Spur, die sie in die Schweiz und dort in das einsame Bergdorf Grunden führt. Ausgerechnet hier öffnete vor kurzem das Nobel-Hotel „Printemps“ seine Pforten. Adlige und reiche Männer haben sich an diesem Ort versammelt. Sie warten auf ein Ereignis, das den Lauf der Geschichte verändern soll; ein Ereignis, das Holmes und Moriarty unbedingt verhindern müssen …

Gegensätze ziehen sich an

Es musste geschehen, dass Holmes und Moriarty sich irgendwann nicht nur aus gebührender Distanz bekämpften, sondern einander begegneten, um sich persönlich miteinander auseinanderzusetzen. Arthur Conan Doyle (1859-1930) hatte Moriarty 1893 eigens für „The Final Problem“ (dt. „Das letzte Problem“) geschaffen. Er war es leid, sich immer neue Sherlock-Holmes-Geschichten aus dem Hirn zu wringen, und wollte seinem Meisterdetektiv ein würdiges Ende bereiten, indem er ihn gegen ein recht plötzlich aus dem Hut gezogenes Superhirn kämpfen ließ - dies buchstäblich, denn die beiden Kontrahenten trafen sich in der Schweiz oberhalb eines klaftertiefen Wasserfalls, um dort auf Leben & Tod miteinander zu ringen.

Wie Doyle 1903 seinen entzückten Lesern in „The Empty House“ (dt. „Das leere Haus“) enthüllte, hatte Holmes gesiegt und kehrte nun als Ermittler zurück. (Man hatte Doyle so viel Geld für diese Rückkehr angeboten, dass er nicht widerstehen konnte.) Auch Moriarty wurde 1915 im Roman „The Valley of Fear“ (dt. „Das Tal der Angst“) zumindest erwähnt. Diese beiden Auftritte genügten, um Moriarty von einer Figur in einen Mythos zu verwandeln. Geschickt hatte Doyle sich mit Informationen zurückgehalten und Moriarty als böses Spiegelbild seines Detektivs entworfen. Dies setzte jenes Hirnkino in Gang, das Archetypen erschafft, die ihre Ursprünge rasch hinter sich lassen.

Moriarty kehrte nicht nur in Sherlock-Holmes-Filmen und TV-Serien zurück. Der Detektiv gehört zu jenen Gestalten der Populärkultur, die schon zu Doyles Lebzeiten in unzähligen Pastiches weiterlebten: Andere Autoren griffen auf Figuren und Elemente der beliebten Serie zurück. Doyle verschaffte ihnen Starthilfe, denn immer wieder hatte er Dr. Watson, den Holmes-Chronisten und -Begleiter, nie schriftlich festgehaltene Fälle erwähnen lassen. Diese fanden nun doch ihren Weg zu einem weiterhin Holmes-gierigen Publikum. Gleichzeitig wurden neue Kriminalrätsel gesponnen, wobei die Autoren die Grenzen des stringenten und gleichzeitig limitierten Holmes-Kosmos’ gern weiteten oder bewusst ignorierten. Immer wieder traf der Detektiv auf prominente Gestalten der Realgeschichte, löste den von Doyle bewusst ausgeklammerten Fall Jack the Ripper und trat sogar gegen Geister, Vampire oder Außerirdische an (während Doyle im Grab rotierte).

Eine erste Reise in die Schweiz

Gareth Rubin ist ein Journalist, der sein Wissen um die jüngere Geschichte Großbritanniens seit 2019 für Romane im Rahmen klassischer Kriminalromane und Thriller einsetzt. „Holmes & Moriarty“ ist das erste dieser Werke, das hierzulande erscheint und dabei auf die Signalwirkung des Titels setzt. In Deutschland sind Holmes & Watson seit mehr als einem Jahrhundert überaus beliebt. Eine wahre Flut von hierzulande entstandenen Pastiches, die sich nach dem Auslaufen des Copyrights über einschlägige Leser ergießt, belegt es eindrucksvoll.

Rubin gehört jener Schule an, deren Mitglieder sich eher locker am Vorbild orientieren. Obwohl es hin und wieder hektisch wurde, blieb Holmes bei Doyle im Wesentlich ein „armchair detective“, der zwar gern die britische Eisenbahn nutzt, um an den Ort des jeweiligen Verbrechens zu reisen, aber nicht annähernd so wuchtig auf das Über-Böse im Bund mit dem Mystischen und womöglich Übernatürlichen traf. Hier setzt Rubin auf die Übertreibung typischer Situationen, wobei er davon profitiert, dass Doyle seine Holmes-Storys immerhin gern mit einem mysteriösen Rätsel einleitete.

Ein Roman erfordert viele Schauplätze, die in diesem Fall durch eine Handlung verknüpft werden, die eher spannend als plausibel ist. Rubin überspitzt das viktorianisch vernebelte, mühsam durch Gaslicht erleuchtete London, durch das noch Fuhrwerke und Kutschen rollen. Die Welt ist (scheinbar) in Ordnung; jeder Mann und jede Frau weiß, wohin er oder sie in einer strikten Standesgesellschaft gehören. Oben wird befohlen, unten gehorcht (und nicht aufgemuckt), was jedoch weder für Holmes noch Moriarty betrifft. Ihnen ist das Kunststück gelungen, sich jenseits zementierter Grenzen zu stellen und trotzdem als „Gentleman“ zu gelten.

Zwei misstrauische Chronisten

Rubin verändert den üblichen Rhythmus, indem er zwei Erzähler ‚berichten‘ lässt. Der eine ist selbstverständlich Dr. John Watson, der auch dieses Mal dabei ist, um Holmes zu unterstützen bzw. uns begriffsstutzigen Lesern dessen geniale Tricks zu erläutern. Auch ihm stellt der Verfasser einen ‚finsteren Doppelgänger‘ gegenüber. Sebastian Moran ist ein Sohn aus gutem Haus, der schon früh auf die dunkle Seite gewechselt ist und seine kriminellen und moralischen Verfehlungen genussvoll auslebt. Moran unterwirft sich nur seinem Herrn Moriarty, der dennoch immer wieder ‚andeuten‘ muss, wie fest er seinen Leibwächter und Attentäter im Griff hat.

Im Wechsel treiben Watson und Moran die Handlung voran, wobei sich die zunächst getrennten Stränge vereinen, bevor es gemeinsam in die Schweiz geht. Während Rubin in der Watson-Kapiteln den üblichen Duktus beibehält und den guten Doktor präzise, aber ein wenig betulich und moralisierend zu Wort kommen lässt, verharrt Moran auf einem deutlich umgangssprachlicheren Niveau. Die moralischen Lektionen ersetzt er durch seine Verachtung sämtlicher Konventionen und macht nie einen Hehl aus seinem Hang zu gewalttätigen Konflikt-‚Lösungen‘. Damit fordert er ständig den ehrbaren Watson heraus, weshalb Holmes bzw. Moriarty vermitteln müssen.

In der Schweiz erwarten unsere Helden (und uns Leser) dramatische Kulissen. Schroffe Berge, steile Klippen, Eis und Schnee, aber auch Geheimgänge, Höhlen und geistig nicht besonders grundfeste Verschwörer mit einem Hang zum spektakulären Mord sorgen für ein wiederum nicht Doyle-typisches, aber rasante Action garantierendes Ambiente. Rubin knüpft hier an die beiden von Guy Ritchie inszenierten Sherlock-Holmes-Filme von 2009 und 2011 an, sodass die Glaubwürdigkeit nicht im Vordergrund dieser Passagen steht. Die Auflösung wirkt dementsprechend vor allem phantastisch, aber alles andere als raffiniert. Sie rundet immerhin dieses mit sämtlichen Mitteln der trivialen bzw. populären Kultur arbeitende Krimi-Abenteuer stimmungswahrend ab. (Es bleibt Holmes und Moriarty sogar Zeit, sich für das finale Duell an den Reichenbachfällen zu verabreden; es wird kaum zwei Jahre nach den Ereignissen in Grunden stattfinden.)

Fazit

Nicht am Kanon und am ‚typischen‘ Handlungsrahmen klebendes, sondern mit den Konventionen des Sherlock-Holmes-Mysterys spielende Mischung aus Krimi und Thriller, die eine von Turbulenz gekennzeichnete Ereigniskette dramatisch (und buchstäblich) auf die (Berg-) Spitze treibt: Die Rechnung mag aus Sicht des Holmes-Aficionados nicht unbedingt aufgehen, aber das Rütteln an Mustern bringt Schwung in den Mythos.

Holmes & Moriarty

Gareth Rubin, HarperCollins

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