Nun wird die Jägerin zur Gejagten.
Seit nun mehr fünf Jahren versteckt sich die gesuchte Mörderin Yoko auf einer kleinen griechischen Insel. Dort arbeitet sie mit neuer Identität unter dem Namen John im Restaurant von Elena und ihrem Sohn Stavros. Yoko gehört der Vergangenheit an. Die androgyne, schlanke Frau kennt man hier im Inseldorf nur als John. Yoko bemüht sich um ein normales Leben und tatsächlich ist es ihr gelungen, die dunkle Vergangenheit hinter sich zu lassen - bis eines Abends die deutsche Kriminalhauptkommissarin Katrin Liebermann an einem Tisch auf der Terrasse der Taverne sitzt. Die Beamtin will die flüchtige Mörderin endlich festnehmen. Zunächst möchte sie aber hören, wie Yoko hier gelandet ist und was in den letzten fünf Jahren geschah. Dieser bleibt nichts anderes übrig, als ihre Geschichte zu erzählen: von Ingrid, einer wohlhabenden Frau, die nur die Sommermonate auf der Insel verbringt und sich mit John anfreundet, aber weiß, dass sich eine gesuchte Mörderin hinter dem Namen versteckt und die das Dunkle in Yoko wieder hervorholen will, von Pierre, Ingrids Sohn, der ebenfalls von Yokos „Talenten“ profitieren möchte, und von Azad, ihrem ehemaligen Mitarbeiter in der Glückskeksmanufaktur, der ihretwegen beinahe sterben musste und nun wieder Teil ihres Lebens wird. Um zu überleben, muss die Gejagte Yoko wieder zur Jägerin werden.
Fortsetzung des „Rache“-Zweitteilers
Autor Bernhard Aichner hatte ihn bereits vor Erscheinen des ersten Bandes seiner Rache-Reihe im letzten Jahr angekündigt: Nun erscheint mit „John“ der Fortsetzungsroman um die junge Yoko, die einst alles verlor, es mit der chinesischen Mafia aufnahm und zum Schluss nach Griechenland floh. Die „Rache-Göttin“ steht auch im aktuellen Band im Mittelpunkt. Auch wenn „John“ die Fortsetzung des viel gelobten und auf der Krimi-Couch sogar zum Buch des Jahres 2024 gekürten Thrillers „Yoko“ ist, entfacht der Roman eine ganz eigene Atmosphäre. Der Identitätswechsel der Figur, der kein eindeutiger ist, da die Protagonistin mal als Yoko, mal als John auftritt, drückt sich auch durchaus in der erzählerischen Gestaltung aus. Die Episoden mit der Hauptfigur als flüchtige Mörderin sind wesentlich rasanter, ja auch brutaler, während John das Alter Ego repräsentiert, welches die Vergangenheit ruhen lassen möchte und charakterlich die „alte“ Yoko widerspiegelt. Insgesamt ist der Roman lange Zeit ruhiger, bedächtiger als der Vorgängerband.
Doch aus diesmal muss Yoko erkennen, dass man das Dunkle nicht einfach einsperren kann. Und so wird die junge Frau erneut zur Mörderin. Nicht aus lauter Tötungslust, sondern weil es für sie der einzige Weg ist, endlich die Ruhe zu finden, die sie sucht. Aber auch Ungerechtigkeit und das Gefühl, dass andere mit ihrem Verhalten vielleicht durchkommen, ist eine Triebfeder für die junge Frau. Doch andere wollen vom Talent der ausgebildeten Metzgerin profitieren. Sie manipulieren und bedrängen sie, bringen die Angst zurück in ihr Leben, bis die junge Frau keinen anderen Ausweg mehr sieht. Yoko, die geschundene Seele, der man alles nimmt, das Glück, die Liebe und ihr neues Leben, wird von der Gejagten erneut zur Jägerin - weil sie nichts mehr zu verlieren hat.
Anders gut
Aichner schreibt Kapitel für Kapitel. Lässt sich selbst anscheinend überraschen, was als nächstes kommt. Genau diese Unvorhersehbarkeit ist es, die den Roman auszeichnet. Vielleicht mag dies nicht jedem gefallen. Muss es auch nicht. Der Tiroler Autor traut sich etwas, ist unkonventionell, überraschend, mutig. Auch hierfür steht er wie kaum ein anderer Thrillerautor. Dies bedeutet auch, dass immer wieder der „Roman“-Autor in Aichner deutlich wird, der sich vielleicht mehr Zeit, vielleicht mitunter zu viel Zeit für seine Figuren nimmt als für einen Thriller üblich. Gleichzeitig reduziert er durch die für ihn so typischen Dialogkapitel alles auf das Nötigste. So ist „John“ über weite Strecken weniger temporeich und überraschend, als es „Yoko“ war. Auch wenn der Vergleich beider Romane nicht ganz fair erscheinen mag, drängt er sich natürlich auf. Dafür überzeugt der Autor immer wieder mit einfallsreichen Wendungen, indem er geschickt mit Wahrheit und Lüge spielt. Dabei entwickelt er vor allem im Gespräch zwischen Yoko und der Kommissarin eine beinahe kammerspielartige Atmosphäre mit ausdrucksstarken Dialogen.
Zum Teil erscheint es aber beinahe beängstigend, wie gut sich Bernhard Aichner mit der fachgerechten Entsorgung von Leichen auskennt. Ratschläge, welche Küchengeräte sich dafür besonders eignen, erhält man zahlreiche. Ach ja: Zur Beseitigung von DNA-Spuren solle man statt Chlor besser Zementschleierentferner nehmen. Der Mann scheint sich auszukennen. Wer nicht genug davon bekommt, dem sei gesagt, dass es im Spätsommer 2026 eine Rückkehr seiner „Totenfrau“ Brünhilde Blum geben wird. Nicht nur Aichner-Fans dürfen sich darauf freuen.
Fazit
BernhardAichner, der im Privatleben eher ein Harmonie-Junkie ist, zelebriert auch im zweiten Band regelrecht das klassische Rache-Motiv. Diesmal weniger blutiger, aber dafür ausdrucksstark. Auch wenn „John“ leider nicht an die Rasanz und das sprachliche Feuerwerk des Vorgängerbandes heranreicht, gelingt dem Tiroler insgesamt ein lesenswerter Thriller, der diesmal allerdings mehr von seinen Dialogen lebt. Aber auch das kann Aichner wie kaum ein Zweiter.

Bernhard Aichner, Rowohlt
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