Fatale Flora

  • HarperCollins
  • Erschienen: Januar 2025
  • 0
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2025

Gefährlich stille Gäste in Wald und Garten.

Obwohl sie uns manchmal stechen oder niesen lassen, betrachten wir die Pflanzen unserer Welt meist als grüne Hintergrundkulisse. Dabei sind sie beinahe allgegenwärtig sowie Lebewesen mit oft überraschenden Eigenschaften. Diese sind jedoch in erster Linie denen bekannt, die von ihnen profitieren, wobei die Definition dieses Verbs auch verbrecherische Machenschaften beinhalten kann: Erstaunlich viele Gewächse sind so giftig wie Vipern und Fliegenpilze.

Noch bedenklicher stimmt die nach der Lektüre dieses Buches solide untermauerte Erkenntnis, dass solche Pflanzen keineswegs in sicherer tropischer Entfernung lauern, sondern uns auch in unseren gemäßigten Zonen umgeben. Wir kennen sie, und oft nutzen wir sie schon lange und ganz selbstverständlich. Glücklicherweise sind unserem kollektiven Gedächtnis jene Tragödien entfallen, die sich unter unseren Vorfahren abgespielt haben dürften, als sie buchstäblich ausprobieren mussten, was genießbar ist und was uns umbringt. Auch später kam es zu tödlichen Irrtümern: Die oberirdisch am Strauch wachsenden ‚Früchte‘ der Kartoffel haben so manches Leben drastisch verkürzt!

Die Journalistin Noemi Harnickell, die bereits mit ihrem Sachbuch „Verstörend betörend. Im Bann der Orchidee“ ihr Interesse an und ihr Wissen über die Pflanzenwelt (lateinisch „Flora“) dieser Erde unter Beweis gestellt hat, unternimmt nun den letzten Schritt dorthin, wo gewisse Kenntnisse verbrecherisch genutzt wurden. Quasi als Vorstufe geht sie außerdem auf die medizinische Erforschung der Pflanzen ein, da nicht alle entweder schmecken oder schaden und töten. Manchen lassen sich Stoffe entlocken, die lästige bis lebensgefährliche Leiden lindern oder heilen. Für die Schattenseiten sorgen wie üblich menschliche Zeitgenossen, die in einer positiven Sache sogleich das Potenzial für eine Waffe oder wenigstens eine lukrative Sucht sehen.

Der Garten des Todes

Harnickell präsentiert die Ergebnisse ihrer Recherchen als Sachbuch. Sie beschränkt sich nicht auf die Fakten, sondern bemüht sich um ein verknüpfendes Narrativ, um die bittere Botschaft zu versüßen: Informationen lassen sich unterhaltsam besser und breiter vermitteln, was als legitimes Mittel zum Zweck nur ratsam ist. Man muss dies allerdings beherrschen bzw. darf es nicht übertreiben. Harnickell vermag erfreulich trittsicher auf diesem recht schmalen Grat zu wandeln.

Immer wieder kehrt sie dorthin zurück, wo sich ihre Faszination für Killer-Kräuter entzündete: nach Alnwick in Northumberland, wo 2005 die Herzogin dieser englischen Grafschaft in ihrem Schlosspark den „Poison Garden“ eröffnete. Auf 560 Quadratmetern blüht und gedeiht dort - sicherheitshalber hinter Zaungittern - prächtig, womit sich ganze Großstadteinwohnerschaften ausrotten ließen. Die Besucher strömen hierher, wo ihnen diese Pflanzen nicht nur gezeigt und erklärt werden. Mindestens ebenso begehrt sind die schaurigen Geschichten darüber, wie diese kriminell zum Einsatz kamen.

Harnickell greift diesen Aspekt in den folgenden Kapiteln auf und wählt zwölf Pflanzenarten aus, die auf ihre eigenen Weisen für spektakuläre Einträge in die Annalen des Verbrechens sorgten. Darunter sind selbst heute noch beinahe mythische Arten wie Alraune, Engelstrompete oder Stechapfel, aber auch gute, alte, in Roman und Fernsehen eingesetzte Bekannte wie Tollkirsche, Fingerhut und Rizinusbaum. Hinzu kommen eigentlich unverdächtige, trügerisch hübsche und deshalb oft im Garten anwesende Vertreter wie Kirschlorbeer, Mohn oder Eibe sowie echte Überraschungskandidaten wie der Tabak, dessen immense Schädlichkeit aufgrund der daraus gesogenen Steuereinnahmen mehr oder weniger verdrängt oder verharmlost wird.

Die Waffe der Frau?

In einem weiteren Kapitel widmet sich Harnickell der Frage, ob jenes traditionelle Verdikt zutrifft, nach dem Gift in erster Linie von Frauen eingesetzt wird. Die Geschichte scheint es zu bestätigen (obwohl natürlich auch Männer immer wieder zur Flasche mit dem Totenkopf griffen). Harnickell begründet dies mit der Position der Frau in der Gesellschaft: Lange waren Küche, Kinder und Kirche ihre Welt, was sie per se von Mordinstrumenten wie Schwert oder Pistole fernhielt. Sie nutzte, was sie in ihrem Umfeld fand - und das sorgte in einer Ära, als Mittel wie Kokain, Strychnin oder Arsen leicht beschafft, weil sogar im Laden erworben werden konnten, für eine reiche Auswahl.

Harnickell erweckt bekannte und weniger bekannte Episoden der Kriminalgeschichte zum Leben. (Das Wortspiel sei mir gestattet.) Noch heute bekannt ist Dr. Crippen, der seine lästige Gattin vergiftete, sie im Keller vergrub und mit der Geliebten per Schiff über den Atlantik nach Amerika floh; das noch junge Medium des Morsefunks überholte das Duo, weshalb es im Hafen von New York schon von der Polizei erwartet wurde. Die Autorin schlägt den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart, denn weiterhin sind Mörder beiderlei Geschlechts davon überzeugt, ein Gift entdeckt zu haben, das sich nicht nachweisen lässt - eine müßige Hoffnung, wie Harnickell weiß, die einschlägigen (Bio-) Chemikern über die Schultern geschaut hat: Jenseits typischer CSI-Übertreibungen ist die Wissenschaft sehr findig geworden (wenn sie ein Anfangsverdacht angelockt hat). Immer wieder kommt Harnickell auf die Krimi-Autorin Agatha Christie zurück, die aufgrund einer Apothekerausbildung sehr gut über Gifte Bescheid wusste und dies in ihre erfolgreichen Romane und Erzählungen einfließen ließ.

In einem Nachsatz weist die Autorin darauf hin, dass auf dieser Welt praktisch alles auch Gift sein kann. Dem Schlafmohn als Grundlage für Schmerzmittel, aber auch als Lieferant für Opium, Morphium & Co. widmet Harnickell ein eigenes Kapitel. Sie erinnert außerdem daran, dass auch Alkohol eine Droge ist, die aus eigentlich ungefährlichen Pflanzen hergestellt wird, denen man die angenehm beduselnde Giftigkeit künstlich eintreiben muss: Wie schon gesagt ist es der Mensch, der entscheidet, was er aus und mit seiner Welt und ihren Bewohnern machen will.

Fazit

Nicht nur interessantes, sondern auch kurzweilig geschriebenes Sachbuch. Die Recherche mag nicht sehr tief schürfen, was aber nicht das Ziel ist: Gewährt werden soll ein Überblick, der die vielfältigen Aspekte des Themas anreißt und exemplarisch vertieft. Wer tiefer graben will (schon wieder ein Wortspiel ...), findet im Anhang erste weiterführende Literatur.

Fatale Flora

Noemi Harnickell, HarperCollins

Fatale Flora

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