Heißer Schmuck

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 1962
  • 2
Heißer Schmuck
Heißer Schmuck
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2025

Fluch der Versuchung

Jake Riddle ist ein alternder Berufsgauner, der derzeit für den ‚Geschäftsmann‘ und Gangster Slaughter arbeitet. In einem abgelegenen Juwelierladen werden kostbare Edelsteine ausgestellt; eine Viertelmillion Dollar beträgt ihr Wert. Riddle heuert die Nachwuchsganoven Dominic „Dommie“ Petri und Vincent Dunne als Kumpane an. Sie sollen ihm helfen, nachts in den Laden einzubrechen, den Schmuck zu rauben und eventuellen Widerstand zu brechen.

Zwar gelingt der Coup, doch ein dummer Zufall führt zwei Polizisten an den Ort des Geschehens. Eine wilde Schießerei beginnt, bei der sämtliche Beteiligten fallen. Nur Dunne kann fliehen. Er zwingt einen des Weges kommenden Autofahrer zum Anhalten, steigt mit der Beute zu und kann auf diese Weise flüchten, bevor ihn doch eine letzte Polizistenkugel in den Nacken trifft.

Plötzlich hat der Versicherungsangestellte Gerald Hanna eine Leiche und einen Schatz in seinem Wagen. Erstere wirft er hinaus, letzten gedenkt er zu behalten. Allerdings ist es schwer, die Juwelen zu Geld zu machen: Weil zwei der Ihren umkamen, wird die Polizei jeden Stein umdrehen. Leutnant Hopper, der den Fall übernimmt, lässt umgehend ein Feldbett in seinem Büro aufstellen. In der ganzen Stadt werden verdächtige Unterweltgestalten aufgestört und hart angefasst.

Hanna lockt weitere Aufmerksamkeit auf sich, als er sich in Sue Dunne, Vincents schöne Zwillingsschwester, verliebt. Soll er sie ins Vertrauen ziehen? Allerdings arbeitet Sue ahnungslos für den bisher unbekannten Auftraggeber: Slaughter ist ihr Chef. Er glaubt nicht an ihr Unwissen und gedenkt Sue intensiv zu ‚befragen‘.

Die Polizei, Sue, Slaughter: Gleich von drei Seiten beginnt sich die Falle um Hanna zu schließen. Weil er nur in das Verbrechen stolperte und als Krimineller Anfänger ist, macht er sich verdächtig. Aber in der Krise entdeckt Hanna erstaunliche Fähigkeiten in sich und setzt alles auf einen gewagten Plan ...

Was schiefgehen kann, geht schief

„Heißer Schmuck“ gehört in die Reihe jener 38 Kriminalromane, die Lionel White (1905-1985) zwischen 1952 und 1978 schrieb. Sie erschienen in rascher Folge als ‚Verbrauchsliteratur‘ und lange nur als Taschenbücher, weshalb der Autor schnell arbeiten und trotzdem den Geschmack des Publikums treffen musste. Es gelang ihm auf eine Weise, die auch dieser Roman ungeachtet seiner altersbedingten Klischees widerspiegelt: White erzählt schnell und schnörkellos, ohne den Hintergrund seiner Figuren zu vernachlässigen. Vincent Dunne und vor allem Jake Riddle mögen unverbesserliche Verbrecher („Strolche“ nennt sie die Polizei) sein. Dennoch haben sie ihre ‚menschlichen‘ Seiten. Vincent liebt seine Schwester, Riddle ist Ehemann und Vater und arbeitet auf seine Weise hart für die Familie.

White verschwendet keine Zeit, sondern startet sofort durch. „Heißer Schmuck“ entstand in einer Ära, als im Krimi noch nicht vor allem (Beziehungs-) Stroh gedroschen wurde. Es geht um ein Verbrechen, das total aus dem Ruder läuft, und die daraus resultierenden Ereignisse. Die Ökonomie ist zu bewundern. Eigentlich dürfte sich aus dem Geschilderten überhaupt kein Fall entwickeln, weil Hanna tatsächlich absolut zufällig auf der Szene erscheint und keinerlei Spuren hinterlässt: Faktisch ‚gelingt‘ ihm das perfekte Verbrechen.

Doch Profi White sorgt für die notwendigen Fallstricke, die sich schon bald um Hannas Hals zu legen beginnen. Er ist ein Gelegenheitskrimineller, der sich zunächst ahnungslos mit der Polizei und mit der Unterwelt anlegt. Die Guten und die Bösen sind zudem aus heutiger Sicht schwer voneinander zu unterscheiden. Gangster Slaughter und seine Schergen benehmen sich ordnungsgemäß brutal und schweinisch, aber auch die Polizei fällt nie durch Rücksicht auf; so glaubt Sue Dunne zunächst an einen Überfall, als sich ein Detective an ihr vorbei einfach in ihre Wohnung drängt und sich eher unwillig ausweist.

Verbrechen lohnt eben nicht - oder doch?

Lange lässt uns White in dem Glauben, wir wüssten um den Ausgang dieses Dramas. Trügerisch bedient er sich jenes Tonfalls, der auch die zeitgenössischen „Law-and-Order“-Thriller in Film und Fernsehen dominierte: Wer auf die schiefe Bahn gerät, ist ein Verbrecher und wird es immer bleiben. „Rehabilitation“ ist auch bzw. gerade für Polizei und Justiz ein Fremdwort. Kriminelle erwarten gar keine Nachsicht, sondern brummen entweder ihre Strafe ab oder liefern sich ein finales Feuergefecht mit Gesetz und Ordnung.

Über allem schwebt diese obrigkeitlich in die Welt gesetzte Gewissheit: Verbrechen lohnt nicht, denn die Polizei wird euch fassen und die Justiz euch in einer Zelle vergraben und den Schlüssel wegwerfen! Selbstverständlich war die Fadenscheinigkeit dieses ‚Konzeptes‘ schon in den 1950er Jahren bekannt. Dennoch scheint sich White wie die meisten Krimi-Autoren daran zu halten. Die Unterwelt ist tückisch und schmierig, vor allem „Mädchen“ wie Sue Dutton sind quasi Freiwild. „Dommie“ Petri ist ein typischer Unhold: dumm, eigentlich schon vom Tag seiner Geburt an verdammt und verloren. Die Polizisten sind eher Inquisiteure, die stets von der Schuld derer überzeugt sind, die sie verhören. Leider schützt sein gesellschaftlicher Status den verdächtigen Hanna vor einem ‚Besuch‘ im Keller des Präsidiums, wo hinter dicken Wänden weiterhin der Gummiknüppel geschwungen wird. (Detective Finn bringt das Prozedere „mit funkelnden Augen“ ins Gespräch.)

Ansatzlos, weil in Hanna ein Genie entfachend, von dessen Vorhandensein er nicht einmal er selbst eine Ahnung hatte, gibt White der Handlung eine völlig unerwartete Richtung. Als Leser fliegt man bei dieser Wende beinahe aus dem Sattel, obwohl es dem Verfasser gelingt, die losen Fäden so zusammenzufügen, dass Leutnant Hopper zwar weiterhin misstrauisch, aber das Gesetz zufrieden ist sowie eine nicht unbedingt aus dem Himmel gefallene, sondern vom Zaun gebrochene Liebe bald in traute Zweisamkeit münden wird.

Ein Lob dem soliden Handwerk

Seine Romane waren drehbuchtauglich. Nicht grundlos nennt Quentin Tarantino Lionel White als Inspirationsquelle. Die Fähigkeit, auch eine ‚schmutzige‘, aber gut ausgedachte Geschichte so zu erzählen, dass ihre Herkunft zur Nebensache gerät, ist nicht nur ihm aufgefallen. Präzise den O-Ton der Whiteschen Vorlage als Mischung aus Härte und vorbestimmten Untergang traf beispielsweise Stanley Kubrick in „The Killing“ (1956; dt. „Die Rechnung ging nicht auf“), einem seiner frühen Filme.

Whites Romane wurden nicht für die Ewigkeit geschrieben. Dass sie sich bis heute gut gehalten haben und der Autor in der Krimi-Kritik gut angesehen ist, spricht sicherlich für Talent. Auch hierzulande erschienen White-Romane bis in die 1970er Jahre regelmäßig und wurden mehrfach neu aufgelegt. Inzwischen musste sich der Autor jedoch ins Heer der zwar weiterhin lesetauglichen, aber vergessenen und nur noch antiquarisch fassbaren Kriminalschriftsteller eingliedern.

Fazit

Schneller, mit überraschenden Entwicklungen nicht geizender und in ein unerwartetes Finale mündender Thriller im „Noir“-Stil der 1950er Jahre; diverse Stereotypen werden wie in einem Schachspiel bewegt und leisten sich dabei vergleichsweise wenige der heute für Kopfschütteln sorgenden Zeitgenössigkeiten.

Heißer Schmuck

Lionel White, Heyne

Heißer Schmuck

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