Nero Wolfe: Werben heißt Sterben

  • Fischer
  • Erschienen: Dezember 2018
  • 0
Nero Wolfe: Werben heißt Sterben
Nero Wolfe: Werben heißt Sterben
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Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2025

Alles bleibt beruhigend beim Alten.

Die Werbeagentur Mills & Lake & Ryman ist in New York City zwar ein noch kleiner Player, aber im Erfolgsaufwind. Aktuell vertritt man vor allem den Getränkehersteller Cherr-o-key. Dessen Chef Acker Foreman ist ein Kapitalist der alten Schule, geizig und mit kleinlicher Kritik allgegenwärtig im Tagesgeschäft. Doch auf das ihm entrungene Budget kann die Agentur nicht verzichten und muss sich dem Tyrannen deshalb kollektiv zähneknirschend beugen.

Der Ärger eskaliert, als kurz hintereinander zwei kostspielige Werbekampagnen vor ihrer Umsetzung vom ärgsten Konkurrenten kopiert werden. Offensichtlich gibt es einen Maulwurf in der Agentur, der interne Informationen weitergibt. Für Mills & Lake & Ryman ist dies eine Katastrophe, zumal Antreiber Acker ihnen nunmehr erst recht im Nacken sitzt. Deshalb wendet man sich in größter Not an einen teuren, aber nachweislich erfolgreichen Problemlöser.

Privatdetektiv Nero Wolfe ist in seinem Job genial, aber chronisch arbeitsscheu. Seine Tage verbringt er am liebsten auf dem Dach seines großen Hauses, wo er unzählige Orchideen hegt und pflegt. Assistent Archie Goodwin obliegt es, seinen Chef zur Arbeit zu zwingen, was ihm auch in diesem Fall gelingt. Wie üblich wird sowieso er vor Ort ermitteln; Wolfe hasst es, sein gemütliches Heim zu verlassen.

Goodwin hat gerade mit der Untersuchung begonnen, als sich eine interessante Spur auftut: Ein Mitarbeiter jener Konkurrenz-Agentur, die besagte Werbekampagnen ‚übernahm‘, kündigt telefonisch Informationen an. Als Goodwin ihn aufsucht, findet er ihn erschlagen in seiner Wohnung - der Auftakt zu einer Täterjagd mit vielen Verdächtigen ...

Könnten sie nur ewig leben (bzw. schreiben)!

Schriftsteller, die man nicht unbedingt literaturkritisch rühmt, sondern die ‚nur‘ erfolgreich sind, werden von den Fans, aber auch von ihren Familien und Nachkommen in Ehren gehalten. Waren solche Autoren zu Lebzeiten fleißig, fließen die Tantiemen der noch gehandelten Werke nun ihnen zu. Hinzu kommen zusätzliche Rechte, die vor allem in Geldforderungen an Film- und Fernsehstudios resultieren.

Auf diese Weise kann man angenehm leben, ohne einen Finger zu rühren, gäbe es da nicht das verhasste Schreckgespenst namens „Copyright“: Irgendwann nach dem Tod eines Schriftstellers - und nach Ansicht der Nachfahren stets zu bald - erlischt das Recht an ihren Figuren. Dann darf sich jeder gratis ihrer bedienen; eine Tatsache, der wir hierzulande einen seit Jahren nicht abebbenden Strom ‚neuer‘ Geschichten mit Sherlock Holmes & Dr. Watson oder aufgekochten Grusel à la H. P. Lovecraft ‚verdanken‘: Arthur Conan Doyle und den genannten Lovecraft hat das Copyright-Fallbeil bereits erwischt. Allmählich werden auch die Werke von Agatha Christie rechtsfrei, was deren Nutznießer seit Jahren durch juristische Schliche zu verzögern oder zu vermeiden suchen.

Die Erben von Rex Stout (1886-1975) waren in den 1980er Jahren noch auf der sicheren Seite. Dennoch baute man vor: Wird eine prominente Figur innerhalb der Copyright-Sperre und mit offizieller Genehmigung einer Erbengemeinschaft für neue Geschichten aufgegriffen, ergeben sich daraus Einkünfte, die sich angenehm zu dem summieren, was ohnehin hereinströmt. So kommen die Krimi-Fans u. a. in den Genuss neuer Kriminalfälle mit Hercule Poirot, während verstorbene Erfolgsautoren aus jüngerer Zeit (z. B. Stieg Larsson) erst recht nicht sterben dürfen und namentlich weiterhin auf die Cover von Romanen geprägt werden, die von anderen Autoren verfasst wurden.

Ein dicker Fisch taucht wieder auf

Nero Wolfe kehrte vergleichsweise früh nach dem Tod seines Schöpfers zurück. Robert Goldsborough (*1937) arbeitete seit vielen Jahren als Journalist, als er 1986 sein Hobby allmählich zum Beruf machte: Als großer Stout-Fan war er mit dessen Werk nicht nur vertraut, sondern auch in der Lage, den typischen Tonfall zu treffen: Pastiches, in denen neue Autoren bekannte Figuren aufgreifen, funktionieren am besten, wenn sie so nahe wie möglich an jenem Original bleiben, das die Fans schmerzlich vermissen und nach einem Strohhalm = der (hoffentlich ebenso unterhaltsamen) Kopie greifen.

Goldsborough profitierte davon, dass Nero-Wolfe-Krimis sehr schematisch angelegt sind. Rex Stout war ein professioneller, geradezu handwerklich vorgehender Autor, der genau wusste, wie man eine Reihe möglichst lang laufen lässt. Jeder Wolfe-Fall folgt nicht nur einem Plot, sondern auch einem ‚Drehbuch‘, das bestimmte, den Lesern lieb gewordene Eigenheiten liefert. Wolfe hockt feist in seinem Orchideen-Haus und stößt reiche = eitle Kunden vor die Köpfe, der virile Archie Goodwin recherchiert vor Ort, gerät dabei in Gefahr und behält stets sein waches Auge (auch für schöne Frauen, obwohl ihn Goldsborough in diesem Punkt zügelt: 1990 waren Frauen keine „Mädchen“ mehr).

Innerhalb dieses Rahmens, der noch durch weiteres Repertoire-Personal (Fritz, der Koch; Cramer u. a. manisch misstrauische Polizisten) belebt wird, werden ansonsten solide Plots abgespult. Goldsborough hält sich an das bewährte Rezept. In „Werben heißt sterben“, dem fünften Band der von ihm weitergeführten Wolfe-Serie, beschränkt sich der Autor darauf, die Handlung behutsam in die (damalige) Gegenwart (der 1990er Jahre) zu verlegen (und kommentarlos zu ignorieren, dass Nero Wolfe eigentlich seinen 100. Geburtstag längst hinter sich gelassen haben müsste).

Wenn man das Rezept beachtet ...

„Werben heißt sterben“ ist ein Krimi primär für Nero-Wolfe-Fans. Sie finden wieder, was ihnen Rex Stout mehr als vier Jahrzehnte in 47 Romanen und vielen Erzählungen bieten konnte. Der Fall präsentiert sich als klassischer Whodunit und konzentriert sich auf die Suche nach einem (mörderischen) Täter, während ein Ermittlungsgeschehen abrollt, das sich letztlich zu einem Ereignisgefüge konkretisiert, in dem besagte Tat ihren Platz einnimmt.

Man muss den erwähnten Schematismus mögen, um auf seine Kosten zu kommen. Viele Seiten vergehen über ausgedehnten Frage-und-Antwort-Dialogen, die meist von Goodwin gelenkt werden. Nero Wolfe beschränkt sich auf kurze Auftritte, was der faktisch überraschend wenig profilierten Figur eines „armchair detective“ angemessen ist. Parallel dazu begnügt sich Wolfe mit zunächst verwirrenden und sinnlos erscheinenden Anmerkungen und Anweisungen, die er - ebenfalls klassisch - im Finale in großer Runde und in Anwesenheit aller Verdächtigen dramatisch entschlüsselt und den Fall aufklärt.

Das Konzept verfing, denn Goldsborough verfasste zwischen 1986 und 1993 sieben Wolfe-Romane, um dann eine Pause einzulegen. 2012 nahm er die Reihe wieder auf. Bis 2023 folgten zehn weitere Romane; aufgrund seines Alters bleibt offen, ob weitere Wolfe-Krimis folgen werden.

Fazit

Zwar verlegt der Autor die Handlung in die Gegenwart, hält sich aber ansonsten strikt an die Vorgaben eines ‚echten‘ Nero-Wolfe-Krimis à la Rex Stout und lässt das Vorbild erfolgreich aufleben. Wer die originale Reihe (und die schematische Plot-Genese) schätzt, wird auch mit „Nero-Wolfe 2.0“ zufrieden sein.

Nero Wolfe: Werben heißt Sterben

Robert Goldsborough, Fischer

Nero Wolfe: Werben heißt Sterben

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