Die feindliche Zeugin
- Suhrkamp
- Erschienen: Juni 2025
- 6


Tief verwurzelt in den Traditionen braucht es dennoch unterschiedliche Sichtweisen.
Dieser ungewöhnliche Thriller befasst sich hauptsächlich mit Rassismus und dem Rechtssystem in England. Die Autorin Alexandra Wilson ist Rechtsanwältin und setzt sich engagiert für die Vielfalt in der Anwaltschaft ein. Mit der Geschichte des jungen Emmett Hamilton zeigt sie eindrücklich, wie sie sich das genau vorstellt.
Die Sicht auf das Geschehen
Die Beweise, dass Emmett den weissen Krankenpfleger Thomas Dove umgebracht hat, sind hieb- und stichfest. Zwei Zeugen bestätigen den Sachverhalt. Von ihrem Solicitor Craig erhält Barrister Rosa Higgins das Mandat, Emmett vor Gericht zu vertreten. Gemeinsam versuchen sie, Beweise für seine Unschuld zu finden. Allerdings ist dieses Unterfangen schwierig, da Emmet sich nicht in die Aufklärungsarbeit einbringen will. Weiss er womöglich mehr und will jemanden schützen? Für Rosa wird der Fall zur Herzensangelegenheit, auch weil sie aus demselben Viertel stammt, in dem Emmett und seine Grossmutter leben. Sie steckt ihre ganze Energie in die Suche nach Beweisen und Zeugen, sodass sogar ihr Privatleben darunter leidet. Schliesslich sind Rosas Bemühungen erfolgreich und sie findet eine Frau, die den Tathergang beschreiben, sowie weitere Angaben zum Opfer machen kann. Doch sie möchte keine offizielle Zeugenaussage abgeben, da sie Angst vor Repressionen durch die Behörden hat.
«Sie könnte zu dem werden, was wir eine ‘feindliche Zeugin’ nennen, sich weigern, den Beweis zu erbringen, den wir brauchen.»
Fakten und Gefühle
Alexander Wilsons Roman ist kein aufregender, von Gewalt triefender Thriller. Ganz im Gegenteil. Nüchtern beschreibt sie das englische Gerichtswesen, das tief in den Traditionen verwurzelt ist. Schliesslich ist sie selbst Juristin und Rechtsanwältin und kennt die Materie sehr genau.
«Das Justizsystem, hatte sie gelernt, war im Grunde nicht darauf ausgerichtet, die Wahrheit zu ermitteln und herauszufinden, was tatsächlich passiert war. Es ging lediglich darum, was bewiesen werden konnte und was nicht.»
Gleichzeitig richtet Wilsons den Fokus auf die Wahrnehmung und die Voreingenommenheit, wenn es um Menschen mit einer anderen Hautfarbe geht. Dieses Messen mit unterschiedlichen Ellen bildet das Kernstück des Romans. Obwohl Wilson das juristische Vorgehen meist distanziert beschreibt, steckt in dem Teil, in dem es um Rosas private Turbulenzen geht, sehr viel Empathie. Ihre Protagonistin ist, genau wie Emmett, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Auch sie lebt bei ihrer Grossmutter und muss sich jeden Tag aufs Neue beweisen. Vielleicht ist Rosa gerade deshalb so engagiert, weil sie beweisen will, dass die Hautfarbe einen Menschen nicht automatisch zu einem Verbrecher macht.
Ihre Erzählweise ist eine ausgewogene Mischung aus Fakten und Gefühlen. Nichts desto trotz weiss die Autorin eine gewisse Spannung aufzubauen. Sie beginnt unaufgeregt, ja sogar eher nüchtern, und steigert dann mit jedem Puzzleteil die Erwartungshaltung, bis das überraschenden Ende folgt.
Auch wenn der Einstieg in die Geschichte zu Beginn etwas schwierig ist, lohnt es sich, durchzuhalten. Gerade auch, weil der Roman mit einer nicht alltäglichen Erzählweise überzeugt.
Fazit
Alexandra Wilsons Debüt ist ein Justizroman der etwas anderen Art. Zwar erweist sich der Einstieg in die Geschichte als etwas schwierig, dennoch ist ihr eine ganz besondere Erzählung gelungen. Sie beschreibt das englische Rechtssystem auf authentische Weise und macht auf dessen Eigenheiten aufmerksam. Gleichzeitig schafft sie Spannung und erzählt von den vielen Nuancen des Zusammenlebens. Es sind diese Besonderheiten, die dem Roman Tiefe verleihen und den Figuren Nähe.

Alexandra Wilson, Suhrkamp

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