Blutwasserfälle
- Independent
- Erschienen: März 2024
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Erst im Weg - und dann weg.
Die Campsie Fells im Zentrum Schottlands sind für ihre raue, aber wunderschöne Natur bekannt. Diverse Naturschutzgebiete locken Wanderer und Urlauber an - und Fotografen wie den Schullehrer Richard Jones, der sich ins Carrbridge Reservoir begibt, um dort eines der Naturwunder im Bild festzuhalten: Die Braeburn Falls sind für ihre blutrote Wasserfärbung bekannt, die durch ausgewaschenes Eisen hervorgerufen wird.
Tage später gilt Jones als vermisst. Da er nicht nur einen guten Ruf als Lehrer genießt, sondern auch zur lokalen Prominenz des Umweltschutzes gehört, sorgt sein Verschwinden für Unruhe sowie das Interesse der Medien. Scotland Yard ‚bittet‘ deshalb die örtliche Kriminalpolizei um Mithilfe. Detective Chief Inspector Duncan Bone und sein Team von der Polizeiwache Kilwinnoch übernehmen den Fall, denn dazu entwickelt sich die Suche bald, da man Jones’ Leiche entdeckt. Ihm wurde der Schädel eingeschlagen, dann nagelte man ihn mit den Händen an die Felswand hinter dem Wasserfall.
Damit ist die befürchtete Aufmerksamkeit der Presse geweckt, die vor allem Bone im Visier hat, weil der vor einiger Zeit den „Kuckuck“, einen gerissenen Serienkiller, gestellt hatte. Die Festnahme endete in einer Katastrophe; Bones und ein Kollege wurden schwer verletzt, der „Kuckuck“ getötet. Seitdem leidet Bones unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Ungeachtet dessen beginnt die Fahndung. Wie üblich scheint es für den Tod des Lehrers kein Motiv zu geben. Man mochte Jones nicht unbedingt, achtete ihn aber. Falsche Fährten und nur stockend auskunftswillige Zeugen/Verdächtige sorgen dafür, dass Bone und sein Team lange mit leeren Händen dastehen, während ungeduldige Vorgesetzte und Medien die Messer wetzen ...
Schottland kann durchaus schön sein
Wenn schottische Kriminalautoren Verbrechen in ihrer Heimat schildern, spielt das Wetter in der Regel eine besondere Rolle. Es ist schlecht, um es untertreibend auszudrücken, und spiegelt in seiner trostlosen, permanenten Nässe und vor allem winterdunklen, eisigen Kälte die zeitgenössische Tristesse wider: Politische Unfähigkeit und Korruption, die Gier der ohnehin Reichen, eine (Medien-) Kultur, die um des profitablen Skandals im Dreck wühlt: Diese Welt scheint auf den Hund gekommen zu sein, und das schließt das Wetter mit ein.
TG Reid meidet dieses Klischee. Sein Roman spielt zwar in Schottland, aber er hat sich nicht nur eine angenehme Jahreszeit - den Sommer -, sondern auch einen Flecken ausgesucht, der nicht durch nackten Fels und hängende Wolken beeindruckt. Die Campsie Fells ziehen sich als Hügelkette durch das Zentrum Schottlands. Im Sommer ist es warm, hell und grün, was die Touristen anzieht. Der Autor ist selbst in der Region ansässig. Zwar ist Kilwinnoch ein imaginärer Ort, doch viele der beschriebenen Sehenswürdigkeiten sind echt und Reid bekannt, was sich in seinen Beschreibungen niederschlägt.
Dennoch lassen sich Elemente des typischen „tartan noir“ finden. Vor allem verzichtet Reid nicht darauf, die Schotten als sehr besonderen Menschenschlag darzustellen. Er geht darin nicht so weit wie Ian Rankin oder gar Stuart MacBride, nutzt aber die Überspitzung als Mittel, seinen Figuren Profil zu geben. Dies wirkt sich vor allem auf das Team um Bone aus, das zwischen Kompetenz und Exzentrik schwankt. Sergeant Baxter ist meist vor der Wache zu finden, wohin sie als Kettenraucherin verbannt wurde, Sergeant Mullens hat die Arbeit nicht erfunden und kämpft darüber hinaus mit den Folgen einer ihm von der Gattin aufgezwungenen Diät, Constable Harper ist der Frischling mit dem Händchen für moderne Technik ...
Nie mit ganzer Kraft am Fall
Seine Hauptfigur zeichnet Reid sorgfältiger und zurückhaltender. Duncan Bone steht im Zentrum der Ereignisse, weshalb allzu ausgeprägte Überspanntheiten ablenken würden. Stattdessen schlägt Reid ihn mit persönlichen Schicksalsschlägen. Bone ist unglücklich geschieden und vermisst seinen Sohn, aber vor allem geht ihm der „Kuckuck“-Fall nach, der ihn beinahe und buchstäblich umgebracht hätte. Wie es ebenfalls Tradition (nicht nur) im Kriminalroman hat, drückt sich Bone gern vor der therapeutischen Aufarbeitung der Tragödie, um möglichst bald dem nur vordergründig verhassten Dienst nachgehen zu können. Dafür zahlt er seinen Preis, denn der „Kuckuck“ erscheint ihm mitunter als verrotteter Leichnam, um ihn zu verhöhnen.
Was schiefgehen kann, geht schief, aber ungeachtet dessen kommen Bone und sein Team dem Mordrätsel nach und nach auf die Spur. Kniekehlenschläge seitens nie hilfreicher Vorgesetzter und (allerdings übertrieben wirkende) Verbalattacken durch die Presse sorgen für weiteren Gegenwind. Ansonsten treffen Bone und seine Leute auf die klassische Schar potenzieller Verdächtiger mit windschiefen Alibis und dem Hang zur Verschwiegenheit. Das hat, wie sich nachträglich herausstellt, kaum jemals mit dem Fall zu tun, rührt aber an Dingen, die man lieber für sich behalten will, auch wenn dies mit der Gefahr einhergeht, plötzlich als Mörder ins Visier der Polizei zu geraten. Für zusätzlichen Sand im Ermittlungsgetriebe sorgt Reid in Gestalt gar zu offensichtlicher Tatverdächtiger, die irgendwann sang- und klanglos aus dem Geschehen verschwinden.
Abseits des Weges glücklich gefunden
Ungeachtet des gruseligen Titels ist „Blutwasserfälle“ ein routiniert geplotteter und geschriebener, moderner Krimi. Die Reihe um DCI Duncan Bone wird regelmäßig fortgesetzt. TG Reid gehört zu den Autoren, die ihr Glück jenseits der etablierten Verlage gesucht und gefunden haben. Er publiziert unabhängig, was heutzutage kein Nachteil mehr sein muss. Zwar erstickt die ‚freie‘ Verlagsszene weiterhin in den (Mach-) Werken eifriger, aber talentarmer Schreiberlinge, doch jenseits dieser Trübnis findet man längst Titel, die eine Lektüre lohnen, wenn man ein wenig nach ihnen sucht.
Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, wieso „Blutwasserfälle“ hierzulande nicht in einem ‚richtigen‘ Verlag erscheint. Reid versteht sein Handwerk, und die Eindeutschung ist absolut lesetauglich. (Nur das Verb „scherzen“ sollte die Übersetzerin aus ihrem Arbeitswortschatz streichen ...) Dass die Auflösung und das darüber ausbrechende = dramatische Finale ein wenig dünn wirkt, ist kein Grund, diesen Roman negativ zu bewerten. Ein Meisterwerk des Genres legt der Verfasser nicht vor, doch wer gute Krimi-Unterhaltung schätzt, die zudem nie in Privatproblemen ersäuft wird, sollte einen Blick riskieren.
Fazit
Routinierter Schotten-Krimi, der jenseits aufgesetzter Wohlfühl-Folklore die Auflösung eines Verbrechens beschreibt. Das Tempo ist hoch, der Stil erfreulich nüchtern, aber mit einem humorvollen Unterton dort, wo es angebracht ist: kein Meisterwerk, sondern ‚nur‘ eine erfreuliche Lektüre.
TG Reid, Independent
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