Die Witwe

  • btb
  • Erschienen: April 2025
  • 1
Die Witwe
Die Witwe
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Monika Wenger
88°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2025

Ohne Aktionismus, aber mit viel psychologischer Raffinesse.

Das grosse Haus mit dem dunklen Mobiliar war nie wirklich Evy Kroghs Zuhause. Es war das Heim ihrer Schwiegereltern und ihr Mann Erling hat einfach alles genau so übernommen. Nun ist Erling verunfallt und gestorben. Die Polizei ermittelt und hegt Zweifel ob der Todesursache. Ausserdem scheint es bereits mehrere mysteriöse Zwischenfälle in Erlings Umfeld gegeben zu haben. Sind es nur Zufälle, oder besteht die Möglichkeit, dass er ermordet wurde?

Etwas stimmt einfach nicht

Für Evy ist die Welt nach Erlings überraschendem Tod nur noch verschwommen. Sie schleppt sich von Tag zu Tag und versucht das Unglaubliche zu fassen. Eigenartigerweise machen sich viele kleine Veränderungen in ihrem Alltag bemerkbar. Fenster und Türen sind an manchen Tagen nur angelehnt, obwohl Evy sie doch geschlossen hat. Kann sie sich einfach nicht erinnern oder ist es der Beginn von Demenz? Gleichzeitig hat sie das Gefühl, dass irgendetwas im Zusammenhang mit Erlings Tod nicht stimmt. Wieso stirbt er an einem Herzinfarkt, obwohl er täglich Herzmedikamente zu sich nimmt? In seinem Blut waren keine Rückstände zu finden. Noch sind Evys Gedankengänge wirr und nicht zu fassen. Doch je mehr sie sich bemüht, die Ereignisse einzuordnen und die Geistesblitze festzuhalten, desto sicherer ist sie, dass etwas mit Erlings Unfalltod nicht stimmt.

Überraschend und überzeugend

Dieser Thriller wartet mit einer eher ungewöhnlichen Machart auf, denn Helene Flood springt ständig in den Kapiteln zwischen «jenem Tag», Erlings Todestag, und den Tagen und Wochen davor und danach hin und her. Mal sind es fünfundvierzig Jahre zurück, als sich Evy und Erling kennenlernten. Dann sind es ein paar Tage nach Erlings Unfall. Und immer scheint eine versteckte Botschaft in der Erzählung zu stecken. Ein Hinweis vielleicht auf ein Ereignis, das Auswirkungen bis in die Gegenwart haben könnte. Auf jeden Fall legt die Autorin immer wieder neue Fährten, die sich alle erst gegen Ende als richtig oder falsch erweisen.

Dieser ständige Wechsel ist zwar gewöhnungsbedürftig, erhöht aber die Spannung, da keine klare Linie und kein Ziel erkennbar sind. Dafür entsteht nach und nach das Bild einer über vierzigjährigen Paarbeziehung. Dabei entdeckt Evy, dass sie wahrscheinlich ihren Mann nie richtig gekannt hat. Viel zu oft hat sie nicht richtig zugehört, nicht hingeschaut. Nun wird das Haus zu einem Echo der Vergangenheit. Die Stille und die aufkommenden Gefühle sind fast nicht auszuhalten, helfen Evy aber, sich den Tatsachen zu stellen. Und sie lernt ihre drei Kinder von einer ganz anderen Seite kennen.

«Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie mein Sohn sich sein Leben wünschen würde, wenn er sich noch mal entscheiden könnte, aber wenn ich darüber nachdenke, habe ich den Eindruck, dass er immer etwas unpässlich wirkt, als hätte er einen Pullover an, der nur beinahe passt, und als würde er unablässig an dessen Seiten herumzupfen, den Bund herunterziehen, versuchen, ihn dazu zu bringen, so zu sitzen, wie er ihn haben will.»

Interessante Figuren

Helene Flood hat in der Figur von Evy ein facettenreicher Charakter geschaffen. Schicht um Schicht offenbart sich allmählich ihr Wesen. Raffiniert und ruhig beschreibt die Autorin, wie sich Evys Persönlichkeit und ihr Selbstvertrauen entwickelt. Wie sie die Herausforderungen annimmt und meistert. Absolut nachvollziehbar beschreibt Flood, wie Evy erst an sich zweifelt und Angst hat, sich zu verlieren. Gerade auch weil ihr Umfeld sich eigenartig verhält. Aber schon bald entdeckt sie ihre Umgebung neu. Und damit tut sich eine andere Welt für sie auf, indem sich unter anderem ihr Blick auf das Verhalten ihrer Kinder verändert.

Dieser Roman hat die richtige Mischung aus psychologischen und spannenden Elementen. Der Schreibstil ist sehr ruhig und ohne Aktionismus. Dafür mit Gespür für die Figuren. 

Fazit

Es sind vor allem die psychologischen Elemente, welche den Roman ausmachen. Dieses Nebulöse, ohne dass man als Leser genau weiss, was Fakt ist und wohin das Ganze führen wird. Einerseits ist es ein Familiendrama und andererseits ein Kriminalfall. Und die Auflösung findet sich wirklich erst fast am Ende. Eine wirklich interessante, spannende und raffiniert konstruierte Lektüre.

Die Witwe

Helene Flood, btb

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