Schuld
- Aufbau - Taschenbuch
- Erschienen: Januar 2025
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Sven Petter Næss gehört einfach gelesen.
27. September, Justizvollzugs- und Sicherungsverwahranstalt Bredtveit. Nach 18 Jahren Gefängnis kommt Helene Waaler vorerst auf freien Fuß. Ihre Anwältin Christina Sandberg kämpft um ein Wiederaufnahmeverfahren des Falles. Ihre Mandantin soll damals ihren Stiefvater und ihre Mutter brutal erschossen haben. Bis heute beteuert sie aber bei den sogenannten Strømnes-Morden ihre Unschuld. Sandberg ist davon überzeugt, dass die Ermittlungen damals fehlerhaft waren. Darum bittet sie den noch immer krankgeschriebenen Kommissar Harinder Singh von der Kripo Oslo um Hilfe.
Nur widerwillig nimmt er sich des alten Falles an. Doch dann entdeckt Harinder mehr und mehr Ungereimtheiten. Ist Helene tatsächlich unschuldig? Während diese versucht, sich trotz aller Widerstände ein Leben in Freiheit aufzubauen, wird ihr Vater Stig ermordet aufgefunden - und Helene gerät erneut unter Verdacht. Allein Harinder Singh und seine Kollegin Rachel Hauge zweifeln an ihrer Schuld und stellen weitere Nachforschungen an. Dass damit jemand aufgescheucht wird, der lieber unentdeckt bleiben würde, merken sie erst, als es schon zu spät ist.
Team-Oslo-Reihe
Der Norweger Sven Petter Næss, 1973 geboren, ist sicherlich einer der aktuell spannendsten skandinavischen Autoren, der in Deutschland aber noch weitestgehend unbekannt ist. Dabei bietet seine „Team-Oslo-Reihe“ alles, was gute norwegische Krimiliteratur auszeichnet. Seit 2019 ist Næss bereits in seiner Heimat damit erfolgreich. Nach „Glut“, dem ersten Band seiner Reihe rund um den Osloer Kripoermittler Harinder Singh, und dem exzellenten zweiten Band „Furcht“, der 2020 mit dem „Rivertonpreis“ für den besten Krimi Norwegens ausgezeichnet wurde, veröffentlicht der Aufbau Taschenbuchverlag nun die Fortsetzung „Schuld“. In Norwegen erscheint im März bereits der sechste Band der Reihe („I dødsonen“).
Ein typischer Næss-Roman
Sven Petter Næss ist vielleicht einer der am meisten unterschätzten skandinavischen Krimiautoren derzeit. Zumindest wird ihm in Deutschland nicht die Aufmerksamkeit zu teil, die er verdient hätte. Denn Næss setzt nicht auf Effekthascherei, sondern überzeugt mit seiner Art des Schreibens. Sämtliche Romane beeindrucken mit einer klugen Figurenentwicklung, für die sich der Autor ebenso Zeit nimmt wie für die Entfaltung seines Plots. Dass dies nie langatmig oder gar langweilig wird, liegt daran, dass Næss es versteht, mit dem Erzähltempo zu spielen und gleichzeitig der Handlung immer wieder eine neue Richtung zu geben. Gleichzeitig zeichnen sich die Romane aber auch durch verschiedene Erzählweisen und ein wechselndes Setting aus. War ein zentraler Handlungsort in „Furcht“ noch die schottische Hauptstadt Edinburgh, so spielt die Geschichte des aktuellen Bandes wieder im Mikrokosmos Elvestad, der Heimat des Ermittlers Harinder Singh. Næss ist insgesamt kein typischer Vertreter des „Nordic Noir“ - und gerade dies macht seine Romane unverwechselbar anders.
Ein starkes Ermittlerteam
Im Zentrum steht erneut das Ermittlerpaar Harinder Singh und seine Kollegin Rachel Hauge. Ungewohnt sind aber erneut ihre Rollen. Der Halbinder Singh erholt sich noch immer von einer schweren Knie-OP, bei der ihm eine Prothese eingesetzt wurde. Danach soll er wieder für die taktische Ermittlungsabteilung der Kripo Oslo arbeiten. Auch wenn sich Harinder zunächst nicht mit der Idee anfreunden kann, nutzt er die letzten Tage seiner Krankschreibung, um sich mit dem 18 Jahre zurückliegenden Fall rund um die Strømnes-Morde zu beschäftigen, die mehr und mehr seinen Ermittlerinstinkt wecken. Seine Kollegin Rachel übernimmt nach dem Mord an Stig Waaler die Leitung der aktuellen Ermittlungen. In beiden Fällen steht Helene Waaler im Mittelpunkt, die wegen Doppelmordes bis vor Kurzem im Gefängnis saß und auch nun wieder verdächtigt wird.
Auf Augenhöhe
Interessant ist dabei nicht nur die clevere Verknüpfung der Fälle, sondern auch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Ermittler: Der eher zurückhaltende, sympathische Kommissar zeichnet sich vor allem durch akribische Ermittlungsarbeit aus. Dabei überschreitet er auch schon einmal die Grenzen des Erlaubten, wenn ihm dies notwendig erscheint oder er sich aus moralischen Gründen dazu verpflichtet fühlt. Denn eines kann er überhaupt nicht leiden: wenn Menschen Unrecht angetan wird. Er schreckt auch nicht davor zurück, seinem Chef mangelnde Ermittlungsarbeit bei den Strømnes-Morden vorzuwerfen, in die dieser seiner Zeit involviert war.
Rachel Hauge dagegen ist wesentlich regelkonformer und rationaler - in ihrem Wesen, aber auch bei ihrer Arbeit. Wenn Harinder später zu den aktuellen Ermittlungen dazu stößt, wird er seiner Kollegin unterstellt, obwohl der Halbinder eigentlich der Ranghöhere ist. Dass dies beide nicht weiter stört, liegt daran, dass sie sich - bei allen kleineren Meinungsverschiedenheiten - auf Augenhöhe begegnen und in ihrer Arbeit ergänzen.
Næss hebt sich wie gewohnt einen besonderen Clou für das Ende auf. Auch wenn dies vielleicht nicht ganz überraschend kommt, ist das moralische Dilemma, mit welchem Harinder Singh konfrontiert wird, nicht nur für den Kommissar kaum zu lösen. Auch beim Leser wird es nach der Lektüre nachhallen.
Fazit
Auch wenn „Schuld“ nicht ganz das Niveau des Vorgängerbandes erreicht, ist der Roman erneut außergewöhnlich gut und unterstreicht die Klasse des Autors. Sven Petter Næss reiht sich spätestens jetzt in die Riege der ganz großen norwegischen Krimiautoren ein.

Sven Petter Naess, Aufbau - Taschenbuch
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