Frauenkrimi mit einem Schuss Mystery.
In Lisa Ungers 22 bisher verfassten Krimis steht fast ausnahmslos eine weibliche Heldin im Mittelpunkt, aus deren Ich-Perspektive die Geschichte erzählt wird. Die Hauptperson ist mit starken Konflikten aus der Vergangenheit belastet, die in die Geschehnisse in der Gegenwart einwirken. In einem Interview sagt sie:
„Meine Charaktere verstecken oft schreckliche Geheimnisse oder versuchen, ein Trauma zu überwinden oder sie laufen vor einer dunklen Vergangenheit davon. Aber es geht immer darum, wie das Erforschen dieser dunklen Orte ihnen dazu verhelfen kann, ans Licht zu gelangen.“
In „Apartment 5 B“ ist Autorin Rosie Lowan die Protagonistin. Sie ist in einer Familie aufgewachsen, in der Übersinnliches als Gabe akzeptiert wird. Rosie hat mit ihren Eltern und deren „Aberglauben“ gebrochen und in einer Therapie rationale Erklärungen für ihre Visionen gefunden. Als Schriftstellerin lebt sie jetzt in New York und ist verheiratet mit Chad, einem charmanten, blendend aussehenden Schauspieler. Als dessen Onkel stirbt, vererbt er beiden sein Apartment in dem altehrwürdigen und noblen Windermere-Gebäudekomplex.
Rosie kann ihr Glück kaum fassen: beide sind am Beginn ihrer Karriere und könnten sich eine solch teure Wohnung nie leisten. Doch schnell wird ihr Glück getrübt durch unheilvolle Ereignisse: Chads Schwester ist fuchsteufelswild, weil sie sich um das Apartment betrogen sieht, Rosie hat geisterhafte Erscheinungen im Gebäude des Windermere - und Rosie fühlt sich beobachtet und abgehört von dem undurchsichtigen und allgegenwärtigen Portier Abi.
Thriller mit übersinnlichen Elementen: Ein bisschen „The Shining“ und „Rosemarys Baby“
Das Windermere ist in „Apartment 5 B“ nicht nur Handlungsort, es ist ein eigener Charakter und erinnert an Stephen Kings „The Shining“.
„Manche Häuser haben einfach eine unangenehme Persönlichkeit … vielleicht zieht das die Dunkelheit an. …wenn jemand anfällig für dunkle Energien ist, wenn das irgendetwas in ihm selbst anspricht, entsteht vielleicht eine seltsame Anziehung, eine Verlockung für diesen dunklen Teil in ihm.“ S. 353.
Die Gegensprechanlage scheint von alleine anzuspringen und gibt Rosie das Gefühl jederzeit abgehört und vielleicht sogar heimlich beobachtet zu werden. Dazu erscheint ihr ein Junge, der schon vor langer Zeit gestorben ist. Überhaupt haben sich ungewöhnlich viele Unglücke im Windermere ereignet.
Die übrigen Bewohner*innen leben alle schon sehr lange in dem Gebäude und wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, tragen alle ein geheimnisvolles Amulett. Es weht ein Hauch von Rosemarys Baby durch die Nachbarschaft. Rosie schreibt ein Buch über die Geschichte des Hauses und gerät selbst immer mehr in den Bann des Windermere, dessen Geheimnisse sich langsam in einer zweiten, in der Vergangenheit spielenden Handlungsebene enthüllen. Der Autorin gelingt es in „Apartment 5 B“ sehr gut, eine düstere Atmosphäre zu erzeugen.
Ein psychologischer Thriller für Frauen
Lisa Unger hat ihrer Protagonistin durch eine ausführliche Backstory einen tiefgründigen Charakter verliehen. Rosie versucht lange, die sich häufenden unheilvollen Ereignisse rational zu begründen, weil sie ihre seherische Begabung nicht akzeptieren will. Das seltsame Verhalten ihres Mannes rechtfertigt sie immer wieder, glaubt seinen Erklärungen und wirkt dadurch sehr naiv.
Im Gegensatz zur Hauptperson fehlt den übrigen Figuren die Tiefe. Chads Hintergrund ist mit mehreren Schicksalsschlägen ebenso überfrachtet wie Rosies, dazu ist er das Klischee eines Traummannes: er ist charmant, extrovertiert und sieht blendend aus. Auch die übrigen Charaktere bleiben blasse Nebenfiguren und erzeugen keine Empathie. Die Frauen und Männer sind gutaussehend, vermögend und würden in jede Daily Soap passen. Sie werden hauptsächlich funktional eingesetzt, um Fragen aufzuwerfen, Verdacht zu streuen oder einer Situation einen Twist zu geben; werden aber ansonsten eher vernachlässigt.
Sehr konstruiert auf Spannung zuungunsten der Logik und Nebencharaktere
Lisa Unger nutzt alle Mittel, leider im Übermaß, um Spannung zu erzeugen. Einzig aus diesem Grund beginnt „Apartment 5 B“ mit einer Szene, dessen Erzählperspektive völlig aus dem restlichen Muster herausfällt und nicht logisch notwendig ist. „Apartment 5 B“ ist in vier Akte gegliedert, zwischen die Gegenwartserzählung setzt die Autorin kurze Kapitel aus der Vergangenheit mit einer anderen Ich-Erzählerin. Die Geschehnisse beider Zeitebenen geben zum einen eine Erklärung für die Gegenwart und sollen zum anderen eine schicksalshafte Synchronizität vergangener und gegenwärtiger Charaktere erzeugen. Geraunte Warnungen und Andeutungen, Unfälle, Alpträume und Visionen gibt es im Übermaß, die Hauptfigur sucht - wohl im Gegensatz zu den Leser*innen - nach einer logischen oder harmlosen Erklärung. Die ständigen falschen Spuren und Wendungen sollen Vorhersehbarkeit verhindern, wirken aber oft unlogisch, unglaubhaft und konstruiert. Lisa Unger geht nicht gerade subtil vor bei der Erzeugung von Spannung. Immerhin verlagert sie die Geschichte nicht ins rein Übernatürliche, sondern gibt dem Geschehen überwiegend eine psychologische Erklärung
Fazit
„Apartment 5 B“ ist ein atmosphärischer psychologischer Thriller mit einer Prise Übersinnlichem. Lisa Unger schafft eine weibliche Heldin, mit der sich andere Frauen identifizieren können, eine verletzliche Frau, die in der Gefahr Stärke entwickelt. Dazu gibt es viel Atmosphäre, ein paar softerotische Szenen mit einem Traummann und die Gewaltszenen werden nicht zu drastisch geschildert.

Lisa Unger, Lübbe
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