Überleben ist alles
- Suhrkamp
- Erschienen: Februar 2025
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Spannendes Thema - eine Diskussion fehlt.
Als die fünfzehnjährige Hailey Cooper Crowe und ihr jüngerer Bruder Ben am Morgen des 12. Oktober um 05.03 Uhr von ihrem Vater geweckt wurden, da hatten sie keine Ahnung was kommen würde. Sicher - ihr Vater war in den letzten Jahren immer seltsamer geworden. Er phantasierte von einer neuen weltweiten Pandemie, hatte sich der "Prepper-Community" angeschlossen und sogar einen eigenen "Survival-Guide" verfasst, aber bestimmt hätten sie nicht gedacht, dass er diesen radikalen Schritt gehen würde. Edward Crowe hat einen ausgefeilten Plan, den er schon lange vorbereitet hat: Er entführt seine Kinder und bringt sie zu einem sicheren Versteck in den schottischen Bergen. Hier - weitab von jeder Zivilisation - hat er sich mit Gleichgesinnten eine vollkommen autarke Farm aufgebaut. Hayley und ihr Bruder finden sich plötzlich in einer abgeschiedenen Parallelgesellschaft wieder und sollen hier die Grundstufe der neuen Gesellschaft bilden. Wenn alle anderen an einer neuen, sich sprunghaft ausbreitenden Seuche verstorben sind, dann sollen sie als einige der wenigen Überlebenden das Leben neu gestalten. Es bleibt nur eine große Frage: Kommt denn die große Pandemie tatsächlich oder sind Hailey und ihr Bruder Opfer eines großen Hirngespinstes?
Die "Schlafschafe" und die "Aluhutträger"
Vielleicht kennen wir noch so einiges aus den Untiefen der Corona-Welle: Da waren die, die es schon immer besser gewusst hatten, die ihre Informationen aus den eigenartigen Weiten des Internets bezogen und den Rest der Gesellschaft geringschätzig als "Schlafschafe" bezeichneten. Andererseits wurden sie auch mit dem unfreundlichen Titel der "Aluhutträger" bedacht. Mit Abklingen der Pandemie ist es still um sie geworden. Ewan Morrison greift hier die Geschichte wieder auf. Was wäre, wenn die Ideologen der Prepper-Szene tatsächlich selbstbestimmt und autark ihre Ideen umsetzen würden? Wie könnten sich die ersten Schritte einer solchen Gesellschaft gestalten? Aber vor allem - was passiert, wenn die große Katastrophe, wenn das Armageddon dann doch nicht kommt?
Die 15jährige Hailey erzählt in Morrisons Roman als Ich-Erzählerin aus ihrem eigenen, selbst verfassten Survival-Guide. Sie und ihr Bruder werden Opfer ihres Vaters, der - wie sie es selbst kurz anreißt - seine "Pillen nicht genommen hat" und die beiden Kinder auf die abgeschiedene Farm entführt hat. Hier soll dann - anfangs quälend dilettantisch - das Überleben der kleinen Gruppe sichergestellt werden. Neben dem Roman werden auch regelmäßig Überlebenstipps in einer feindlichen Umgebung erteilt und so könnte dieser Thriller nicht nur als Roman, sondern - wenn man so will - auch als Sachbuch fungieren.
Die große Bühne für die "Prepper"
Dennoch macht Ewan einem die Lektüre nicht einfach. Zum einen ist da die Kaltschnäuzigkeit von Edward - Ed - Crowe, der sich seiner Theorie so sicher ist, dass er ohne den Hauch eines schlechten Gewissens jede, aber auch jede sich bietende Lüge aufgreift, um die Entführten so lange wie es nur geht, bei der Stange zu halten und sogar weitere Opfer in sein "Prepper-Netz" zu verstricken. Ich hatte auch große Probleme mit der Haltung gegenüber dem Teil der Gesellschaft, der den "Prepper-Idealen" nicht folgen will. Sie werden als "Schlafschafe" oder - sollten sie schon infiziert sein - als "Röchler" bezeichnet und natürlich können sie im Falle einer Begegnung nur abgeknallt werden, da allein dieser Schritt die Sicherheit der Gruppe gewährleistet. Hier fehlte mir eine ernstzunehmende Diskussion des Themas. Der Teenager Hailey kann mehr oder weniger nur ungefiltert die wirren Einschätzungen ihres Vaters widerspiegeln, ein politisch gebildeter Widerspruch fehlt in diesem Buch vollkommen und den abschnittsweise abstrusen Einschätzungen eines kleinen Teils der Gesellschaft wird eine große Bühne geboten. Mehr als befremdlich empfand ich auch schon das regelrechte "Zuchtprogramm" für die nächste Generation.
Sieht man von diesen Punkten ab, bietet Morrsions Roman sicherlich eine spannende Lektüre, die insbesondere natürlich ihren Höhepunkt in der Frage findet, ob die Philosophie der Gruppe tatsächlich nur auf wirren Ideen oder auf realen Bedrohungen basiert. Dennoch stellte ich mir manchmal die Frage, ob es im dicht bevölkerten Europa tatsächlich so einfach möglich ist, regelrecht vom Radar zu verschwinden. Nicht überzeugt war ich auch vom Ende des Romans, zeigt er doch im Prinzip auf, dass Verbrechen im Zusammenhang mit dem "übergeordneten Wohl" am Ende des Tages belanglos sind - unabhängig davon, wann, wo und wie überhaupt der "Ernstfall" eintritt.
Fazit
Das einfache Leben auf der Farm: Es sichert das Überleben, lässt Menschen, die von der Moderne getrieben werden, aufatmen und problematische Jugendliche gesunden. Wer damit zurecht kommt, wird Morrisons "Überleben ist alles" als spannende Lektüre wertschätzen. Andere mögen dagegen eine ernsthafte Diskussion des Themas vermissen.

Ewan Morrias, Suhrkamp
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