Das Mädchen im Schnee

  • Goldmann
  • Erschienen: Dezember 2024
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Das Mädchen im Schnee
Das Mädchen im Schnee
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Thomas Gisbertz
62°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2024

Starke Idee, mäßige Umsetzung und schwaches Ende.

New York 1998. Wie in jedem Jahr findet die beliebte Thanksgiving-Parade statt. Die Veranstaltung ist ein Riesenerfolg, abgesehen davon, dass an diesem Tag die 3-jährige Kiera Templeton in der Menschenmenge verschwindet, als hätte es sie nie gegeben. Die Eltern suchen verzweifelt nach ihr, doch auch die Polizei findet keine Spur des Mädchens. Auch wenn ganz Amerika Anteil nimmt und landesweit Aktionen gestartet werden, wird nach Monaten der Verzweiflung die Suche schließlich eingestellt. Die junge Studentin und angehende Journalistin Miren Triggs wird im Rahmen einer Seminararbeit aufmerksam auf den Fall und setzt selbst dann die Suche nach Kiera unermüdlich fort, als das Interesse der Öffentlichkeit längst erloschen ist. Und unerwartet kommt auf einmal Hoffnung auf: An Kieras 8. Geburtstag - fünf Jahre nach ihrem Verschwinden - wird den Eltern des Mädchens eine VHS-Videokassette zugespielt. Auf dem Band ist zunächst nur ein Rauschen zu sehen, doch dann erkennt man ein Zimmer. Ein Mädchen spielt dort mit einem Puppenhaus - und es ist eindeutig Kiera. Doch wo steckt sie? In den nächsten Jahren folgen weitere Videos - bis zu Kieras 15. Geburtstag. Denn diesmal ist auf dem Band etwas anders - das Zimmer ist leer und vom Mädchen ist nichts zu sehen.

Erfolgreicher spanischer Autor

Autor Javier Castillo wuchs in Málaga auf. Er studierte Wirtschaft und machte einen Master in Management. Bereits mit seinem ersten Roman (OT: El día que se perdió la cordura), der 2017 im Selfpublishing-Programm von Amazon erschien und sich rund 45.000-mal verkaufte, wurde Penguin-Randomhouse auf ihn aufmerksam. Das Debüt wurde neu aufgelegt und war mit 650.000 verkauften Exemplaren (in 15 Sprachen übersetzt und in mehr als 60 Ländern veröffentlicht) äußerst erfolgreich. Auch seine folgenden Romane wurden von Kritik und Öffentlichkeit gelobt.

„Das Mädchen im Schnee“ erschien in Spanien 2020 und ist Castillos bisher größter Erfolg. Mehrere Wochen führte er die Bestsellerlisten in seiner Heimat mit dem Thriller an. 2023 erschien auf Netflix eine gleichnamige sechsteilige Miniserie. Der Handlungsort ist jedoch - anders als im Roman - Castillos spanische Heimat Málaga. Nun veröffentlicht der Goldmann Verlag den Roman auch bei uns. Bereits im März 2025 erscheint mit „Das Spiel der Seelen“ die Fortsetzung der Reihe.

Gute Idee, mäßige Umsetzung

Ein in seiner spanischen Heimat überaus erfolgreicher Autor, eine gefeierte Adaption auf Netflix, die Fortsetzung bereits terminiert. „Das Mädchen im Schnee“ scheint auf dem ersten Blick ein absoluter Must-Read. Doch der Roman enttäuscht insgesamt und kann die in ihn gesteckten Erwartungen nicht ganz erfüllen. Dabei packt die Handlung den Leser zunächst. Im Trubel der Thanksgiving-Parade in New York verschwindet plötzlich die kleine Kiera. Auch wenn sich alle unmittelbar auf die Suche nach dem Mädchen machen, bleibt es verschwunden. Keine Überwachungskamera oder Anwesenden können Hinweise geben. Die Polizei stellt irgendwann die Suche ein, die Öffentlichkeit verliert ebenso das Interesse, die Eltern entzweien sich aufgrund gegenseitiger Schuldzuweisungen und trennen sich. Nur die spätere Journalistin Miren Triggs macht es in gewisser Weise zu ihrer Lebensaufgabe, das Mädchen zu finden. Unterstützung erhält sie dabei von ihrem ehemaligen Uni-Professor Schmoer. Eine Story, die bis hierin durchaus zu gefallen weiß.

Opfer und Täter

Doch Javier Castillo ist von seinem Plot derart überzeugt, dass er zu viel will: zu viele Zeitebenen, in denen er ständig hin- und herspringt, zu viele Nebenschauplätze und eine Protagonistin, von der man sich zunehmend distanziert, als sich ihr anzunähern. Zugegeben: Der Wechsel der Zeitebenen ist nicht jedermanns Geschmack, dennoch kann man der Handlung folgen. Dafür wird Miren Triggs zunehmend zu einer Anti-Heldin, die zwar aufgrund einer erschreckenden Tat schwer traumatisiert ist, welcher der Autor aber als Opfer das Recht zuspricht, das Gesetz ab sofort in die eigene Hand zu nehmen. Nicht nur einmal überschreitet sie dabei die Grenzen bei weitem. Auch ihren Journalistenkollegen gegenüber tritt die noch recht junge Frau abwertend und überheblich auf, genießt dafür das Lob ihres Chefs und die öffentliche Anerkennung. Es fällt schwer, mit einem solchen Charakter zu sympathisieren.

„Gruselige“ Spurensuche

Zuletzt - und vielleicht ist die das größte Manko am Roman - werden die Ermittlungsbehörden als vollkommen unfähig dargestellt. Spuren werden nicht weiterverfolgt, keine einzige der unzähligen Überwachungskameras scheint die Tat erfasst zu haben und die Videokassetten werden nicht vernünftig ausgewertet. Während sogar Hobbyermittler wie Jessica Fletcher den Fall im Handumdrehen gelöst hätten, rätselt man hier zwölf (!) Jahre herum, bis es dann doch irgendwann dämmert. Dass man bereits sehr früh weiß, wer hinter dem Verschwinden des Mädchens steckt und nicht nachvollziehbar ist, wie dies so lange unentdeckt bleiben konnte, trägt sein Übriges dazu bei, dass der Roman sich zunehmend in die Länge zieht. Gekrönt wird alles von einem hanebüchenen Ende, bei dem Javier Castillo wohl etwas Action in die Sache bringen wollte. Eine Handlung ohne Tiefgang, selbst die Eltern des vermissten Kindes wirken oberflächlich gezeichnet und die Journalistin schwankt zwischen naiven Dummchen und taffer Journalistin.

Fazit

Warum der Roman derart erfolgreich ist, erschließt sich nicht in Gänze. Trotz äußert vielversprechender Idee und spannendem Einstieg verliert sich die Handlung in Wiederholungen, unglaubwürdigen Figuren und einigen Längen. Auch die Auflösung kann darüber nicht hinwegtrösten. Vielleicht mag der Plot als Serie tatsächlich funktionieren, im Roman weiß er leider zu wenig zu überzeugen.

Das Mädchen im Schnee

Javier Castillo, Goldmann

Das Mädchen im Schnee

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