Der Kojote

  • Blanvalet
  • Erschienen: Juli 2024
  • 4
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
75°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2024

Bekanntes Schurkentilgen an neuer Stätte.

Los Genelos ist ein von Gott und der Welt vergessenes Wüsten-Nest im US-Staat Arizona. Direkt an der Grenze zu Mexiko gelegen, befindet sich der Ort auf dem Weg zur Geisterstadt. Damit ist sie die Ideale Brutstätte für jene Dunkelheit erfordernden ‚Geschäfte‘, die Waad Dendoncker weltweit betreibt: Er handelt mit allem, was Terroristen benötigen. Dass er ein Sadist und Psychopath ist, hilft ihm, seinen Status als gefürchteter, zwanghaft anonymer ‚Geschäftsmann‘ zu wahren: Wer ihm auf die Schliche kommt, wird umgehend von Dendonckers Schergen umgebracht.

Das Gleichgewicht des Schreckens gerät durcheinander, als es Jack Reacher nach Los Genelos verschlägt. Ziel- und heimatlos reist er durch die USA und sucht nach Gelegenheiten, seine brachliegenden Fähigkeiten als ehemaliger Militärpolizist in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen. Da ihn keine Vorschriften mehr behindern und seine Toleranzschwelle gegenüber Gewaltverbrechern niedrig ist, kann Reacher seiner selbstgewählten Mission engagiert nachgehen. Das hinterlässt in der Regel viele Strolch-Leichen, wenn er den aktuellen Ort seiner Aktivitäten wieder verlässt.

In Los Genelos trifft Reacher auf die Ex-Soldatin Michaela Fenton, die mit Dendoncker abrechnen will: Ihr Zwillingsbruder Michael war in dessen Dienste getreten. Er sollte offenbar Sprengkörper für gut betuchte Terroristen bauen, wollte dies nicht und rief seine Schwester zu Hilfe. Als diese in Los Genelos ankommt, ist Michael spurlos verschwunden, und Dendonckers Lumpen erwarten sie schon. Natürlich schlägt sich Reacher auf Michaelas Seite. Das Duo stellt sich gegen eine gut organisierte und vor Mord nie zurückschreckende Bande, die in ihrer Selbstsicherheit allerdings nicht damit rechnet, dass noch jemand härter zuschlägt als sie...

Gewalt ist (zumindest literarisch) eine Lösung

Wir leben angeblich in einer Welt, in welcher der Mensch zumindest dort, wo er sich ‚zivilisiert‘ nennt, der Gewalt mehrheitlich abgeschworen hat. Wird sie einem braven Bürger dennoch angetan, wendet dieser sich an stets hilfsbereite Ordnungshüter, die ihm zuverlässig zu seinen ihm zustehenden Rechten zu verhelfen: Natürlich wissen wir alle, dass dies eine fromme Illusion ist. Sie wird u. a. von denen genährt, die den Nebel nutzen, um in dessen Schutz ihre Schäflein ins Trockene zu bringen. „Legalität“ ist in dieser Grauzone ein Begriff, der höchstens Heiterkeit hervorruft, denn das Gesetz hilft denen, die es dank Reichtum und guter Beziehung beugen und brechen können; eine unbequeme Wahrheit, die allzu einschlägig belegt werden kann, um als wahnhafte Verschwörungstheorie abgetan zu werden.

Demgegenüber kann sich das Gesetz in eine Mühle verwandeln, dessen Mahlwerk die Unschuld zu Pulver zerreibt, wo vermögendes, gut vernetztes Pack triumphiert: Gibt man zu dieser Weltsicht übertreibend noch ein wenig Zunder, ist man in Reachers Welt angekommen. Ihn hat Lee Child als Ventil erschaffen, durch das Druck jenseits offizieller Einschränkungen abgeblasen werden kann. Dieser Funktion kommt Reacher auch im 26. Band der ihm gewidmeten Thriller zuverlässig, oft spannend und definitiv actionreich nach.

Einst war dieser Jack Reacher ein Lichtblick in einem Feld eintöniger Hau-drauf-Klone. Autor Lee Child erschuf ihn in den 1990er Jahren als grobschlächtigen, aber klassischen Ritter, der durch eine von Bosheit und Heimtücke gepeinigte Welt - die Vereinigten Staaten von Amerika - reist, um dem und den Guten dort beizustehen, wo es und sie im Strudel eines scheinbar übermäßigen Verbrechens, einer korrupten Justiz und machtloser Ordnungskräfte zerrieben zu werden drohen.

Es war einmal ... ein ruppiger Ritter

Dabei verzichteten Child und Reacher auf das elegante Florett. Reacher sichtet und analysiert die jeweilige Lage, dann springt er mitten in den Haifischtümpel und räumt dort auf. Der in der Realität (zu) oft ausgehebelten Gerechtigkeit wird so Genüge getan, wie es sich auch der Gutmensch insgeheim wünscht: Reacher züchtigt Schurken heftig und ausgiebig, was Autor Child ausführlich in Szene setzt. Wirklich üble Zeitgenossen überleben die Konfrontation mit Reacher nicht. Letztlich wird das Böse nicht nur vertilgt, sondern auch gedemütigt, was sorgfältig verborgene Seelen-Abseiten der Leser zusätzlich massiert.

Ursprünglich dachte Child an (bzw. hoffte auf) eine Serie mit zehn Reacher-Abenteuern. Aufgrund der limitierten Figur und angesichts der Kulissen, in denen Reacher auftrat, war dies eine realistische Einschätzung. Doch der Erfolg verhinderte, dass die Serie mit Glanz & Gloria auslief. Da Child sein Handwerk verstand, schlug Reacher buchstäblich wie eine Bombe ein. Band 10 wurde zu einer Wegmarke, und inzwischen hat die Serie das zweite Dutzend längst hinter sich gelassen.

Lee Child fiel einerseits in Sachen Jack Reacher nichts Neues mehr ein, während besagter Erfolg andererseits über ihn herfiel. Das Kino entdeckte Reacher, aber noch durchschlagender war jene TV- bzw. Streaming-Serie, die von „Prime Video“ präsentiert wurde. An ein Ende der Buchserie war unter diesen profitablen Umständen nicht zu denken. Die Qualität der Romane wurde zur Nebensache. Stattdessen begann ‚man‘ Reacher zu ‚modernisieren‘. Aus dem Ritter wurde ein Schläger à la Judge Dredd, der die Raffinesse zugunsten seiner Faust- und Feuerkraft ad acta legte.

Reacher Reloaded: Ein-Mann-auf’s-Maul-Mission

Da Lee Child diesen Weg nicht gehen konnte oder wollte, sprang ihm Sohn Andrew zur Seite. Zwar erscheint der Name des Vaters weiterhin groß auf den Titelseiten, doch man darf/muss davon ausgehen, dass Andrew übernommen hat; die Diskrepanzen zu den Romanen des Seniors sind gar zu auffällig. Aus Reacher wurde also ein Rächer, der irgendwo dorthin aus dem Nichts auftaucht, wo Korruption und Brutalität regieren. Knapp vierhundert Seiten später sind sämtliche Strolche tot und Reacher taucht unter, um an anderer Stelle die Finsternis zu lichten. (Zwischen „Der Kojote“ und „The Sentinel“/„Der Sündenbock“ - Band 25 - liegen gerade einmal 24 Stunden.)

Im Film wird mit dem hübschen Begriff „jumping the shark“ ein eigentlich tragischer Moment beschrieben - jene Szene, die eine bisher erfolgreiche, beliebte Serie dorthin trägt, wo elementare Unlogik die Faszination des Publikums zerbricht und Stirnrunzeln hervorruft. Von diesem Schlag erholt sich eine Serie nie wirklich: Die ursprüngliche Magie wurde zerstört, und die Erinnerung an diese Entzauberung will nicht mehr weichen. Am Rande dieses Abgrunds balanciert die „Reacher“-Serie gerade, und manchmal rutscht sie bereits an der Kante ab.

Man muss sie wahrscheinlich in ihrer Gesamtheit gelesen haben, um die Unterschiede zu erkennen. Oberflächlich blieb alles beim Alten; tatsächlich gleicht ein ‚neuer‘ Reacher-Einsatz schon lange den anderen, was jedoch den Erfolg wie schon erwähnt nicht schmälert. Schon unter Lee Childs Feder nahm die Plot-Mechanik zu, doch er sorgte für Ausgleich, setzte Action-Szenen sparsam bzw. ökonomisch ein und integrierte sie vor allem in eine Story, die ungeachtet oft krummer Plotpfosten mehr als ein Vorwand für das serienmäßige Umlegen bizarr überzeichneter Finsterbolde war, sondern Sinn ergab sowie für einen Reacher einnahm, dessen Beweggründe man verstand, statt sie wie nunmehr hinzunehmen.

Fazit

Mit der üblichen Rasanz wird ein ansonsten vom Zaun gebrochenes Garn vom einsamen Kampf (nur scheinbar) unterlegener Gerechtigkeitswächter gegen vertierte Strolche erzählt. Sinn ergibt dies selten, aber in diversen Szenen spiegelt sich die Substanz vergangener Serien-Tage immerhin wider: Reacher haut Schurken = leistet Dienst nach Vorschrift und sorgt in diesem Rahmen für Unterhaltung.

Der Kojote

Andrew Child, Lee Child, Blanvalet

Der Kojote

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Der Kojote«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren