The Family Guest

  • HarperCollins
  • Erschienen: Februar 2024
  • 0
The Family Guest
The Family Guest
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Sabine Bongenberg
50°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2024

Schusterin, bleib' bei deinen Leisten!

Natalie und Matt Merritt hatten gedacht, dass es ein Neustart für ihre Familie werden könnte: Nach dem tragischen Tod von Tochter Anabel sollte der starre Panzer von Trauer und Verlust durch ein neues, frisches Gesicht aufgebrochen werden. Dieses "neue Gesicht" gehört zur englischen Austauschschülerin Tanya Blacksmith. Sie erobert vom allerersten Moment an Mutter Natalies Herz.

Endlich hat sie wieder jemandem, mit dem sie shoppen kann, der sich für ihre Wohltätigkeitsfeste interessiert und mit dem sie in der Küche kleine Delikatessen zaubern kann. Das heißt jetzt nicht, dass Natalie nach Anabels Tod kinderlos war. Sie hat ihre zwei Kinder Paige und Will - aber neben der gutgebauten, blonden Tanya scheinen die so langsam zu verblassen. Die Gasttochter ist aber wirklich ein bezauberndes Mädchen. Erstaunlich nur, dass man so wenig von ihr weiß, ihr Vater nicht zu erreichen ist und sie auch relativ wenig von ihrer Heimatstadt London erzählen mag. Ungewöhnlich auch, dass sie sich offensichtlich immer mehr in der Rolle der verstorbenen Anabel breit macht...

Willkommen in Deppendorf

Nelle Lammarr hat sich bisher mit dem Verfassen von erotischen Liebesromanen und -komödien einen Namen gemacht. Ich hätte ihr bisheriges Wirken zunächst eher im Bereich der Jugendbuchliteratur angesiedelt, fragte ich mich doch längere Zeit, ob dieses Buch für die Krimi-Couch oder vielmehr dann doch für die Jugendbuch-Couch zu besprechen sei. Ich traf nämlich auf so viele einfach gezeichnete Menschen, dass ich das in einem Jugendroman gerade noch so hätte akzeptieren können - aber ganz bestimmt nicht in einem Thriller für Erwachsene. Das Wundern beginnt schont recht früh: Da kommt die Austauschschülerin Tanya in das Haus der Familie Merritt, bezieht das Zimmer der verstorbenen älteren Tochter und keiner scheint auch nur daran gedacht zu haben, Anabels Sachen auszuräumen. Man sieht es vielmehr als Zeichen besonderer Wertschätzung, dass sogar alle Plüschtiere noch auf dem Bett sitzen und die Schränke halb voll mit den Kleidern der Dahingeschiedenen sind. Wer würde einem Kind, das zu Gast in einer Familie ist, so etwas zumuten? Gottseidank, hat die kaltschnäuzige Kleine damit überhaupt keine Probleme. Sie trägt ganz vergnügt die Kleider und Schmuckstücke der Verstorbenen auf und hat keine Hemmungen, sich am gesamten Besitz der Familie zu bedienen - Ehemänner und Freunde inbegriffen. Als interessante Nebeninformation sollte hier noch erwähnt werden, dass die grundsätzlich geschäftstüchtigen, gut betuchten und natürlich auch geschäftsfähigen Merrits niemals mit dem Vater der Gasttochter gesprochen und im Eifer des Gefechts auch vergessen haben, sich deren Ausweis zeigen zu lassen.

Mit dem Fortschreiten der Geschichte wird die Entwicklung immer haarsträubender: Mutter Natalie verschenkt gerne die kostbaren Ohrringe, die sie vom geliebten Gatten zum Hochzeitstag geschenkt bekam, Vater Matt lässt die eigene Tochter zuhause, um mit der Gasttochter etwas zu unternehmen und Paiges' Freund Lance übt oft und gerne hinter verschlossenen Türen den Engtanz mit ihr. Da ist es schon fast unerheblich, dass Tanya sich direkt nach den ersten zehn Minuten im Haus der Gastfamilie ungefragt an der Weinbar bedient, obwohl sie als 17jährige in den USA damit noch gut und gerne vier Jahre hätte warten müssen.

"Ich war so dünn, dass es ihm keine Probleme bereiten würde, mich zu entsorgen."

Nelle Lamarr erzählt ihren Thriller bis auf wenige Ausnahmen aus zwei Ansichten. Zum einen nimmt sie den Blickwinkel der Tochter Paige ein, die dem Gast vom ersten Moment an mit Misstrauen gegenübersteht. Die andere Erzählebene wird von Mutter Natalie ausgefüllt, die offensichtlich ein - nicht näher thematisiertes - Alkoholproblem hat und sich nach den ersten Irritationen offensichtlich darüber freut, dass sie eine Mittrinkerin gefunden hat. Paige steht Tanyas Übergriffen mehr oder weniger hilflos gegenüber - wobei diese Rolle auch nicht unbedingt glaubhaft ist. Mutter Natalie dagegen scheint so in eigenen Schuldkomplexen gefangen zu sein, dass sie sämtlichen Bedenken gegenüber blind zu sein scheint, wenn sie einmal nüchtern ist. Die einzige mit halbwegs vernünftigem Menschenverstand scheint die als eher unsympathisch beschriebene Schwiegermutter Marjorie zu sein und unglücklicherweise hat sie nur einige Kurzauftritte

Immerhin - was den Absturz des Buches in die Bewertungsschlucht verhinderte, ist die flotte Erzählweise und die nicht von der Hand zu weisende Grundspannung. Wer auf Logik zugunsten der Spannung verzichtet, kommt hier schnell weiter und dank der kurzen Kapitel liest man doch dann immer ein wenig mehr, als man ursprünglich vorhatte. Es ist aber auch schon interessant, was da von der Familie Merritt erzählt wird, in der es offensichtlich zum guten Ton gehört, Weinflaschen an die Wand zu werfen, den Gatten körperlich anzugreifen, wenn man ein paar fremde Haare auf seinem Jackett findet oder am frühen Morgen den Tag mit Wein und Tabletten zu begrüßen. Neben diesen eigenartigen Verhaltensweisen der Protagonisten, wunderte ich mich auch über einige biologische Besonderheiten: So sollen die hübschen kleinen Blümchen namens "Vergissmeinnicht" bei einem Empfang in langstieligen Kristallvasen untergebracht werden, die Pfingstrosen blühen im November und die Galapagos-Inseln sind die Heimat der Komodo-Warane. 

Fazit

Nelle Lamarr hat angekündigt, sich zukünftig verstärkt dem Feld der Thriller widmen zu wollen. Aber vielleicht sollte sie doch lieber bei der erotischen Literatur bleiben…

The Family Guest

Nelle Lamarr, HarperCollins

The Family Guest

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