Das Meer der Illusionen

  • Unionsverlag
  • Erschienen: Januar 2005
  • 4
  • Barcelona: Tusquets, 1998, Titel: 'Paisaje de otoño', Seiten: 260, Originalsprache
  • Havanna: Ediciones Unión, 1999, Titel: 'Paisaje de otoño', Seiten: 227, Originalsprache
  • Zürich: Unionsverlag, 2005, Seiten: 284, Übersetzt: Hans-Joachim Harstein
  • Zürich: Unionsverlag, 2006, Seiten: 282
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Wolfgang Reuter
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJul 2003

Die leisen Töne dominieren, voll Wärme und bunten Bildern

Es ist Herbst geworden. Nicht nur beim Blick aus dem Fenster, sondern auch im großen, vierbändigen Romanzyklus des kubanischen Schriftstellers Leonardo Padura. "Herbst" ist der Übertitel des vierten Bandes "Das Meer der Illusionen". Und im Grunde genommen ist das auch die Geschichte des Teniente Mario Conde, der kurz vor seinem sechsunddreißigsten Geburtstag erkennt, dass sein Leben falsch gelaufen ist.

Conde hat sich entschieden, den Polizeidienst zu quittieren. Die Säuberungswelle bei der kubanischen Polizei hat auch seinen Chef und Freund Mayor Rangel erreicht, der die Verantwortung für die Korruption einzelner seiner Untergebenen übernehmen musste. Doch sein Nachfolger Colonel Molina nötigt Conde, noch einmal einen unklaren Fall zu lösen, dann würde er in seine Entlassung einwilligen.

Es handelt sich um die Leiche eines Mannes, der zuerst erschlagen, dann kastriert und schließlich ins Meer geworfen wurde. Es war Miguel Forcade Mier, in den Sechzigerjahren stellvertretender Leiter der Behörde für Enteignungen in der Provinz Havanna, Vizedirektor im Ministerium für Wirtschaftsplanung und Außenhandel, der sich 1978 nach Madrid abgesetzt hat. Warum ist er nach Kuba zurückgekehrt? War es ein Racheakt? Colonel Molina gibt Mario Conde drei Tage Zeit, den Fall zu lösen...

Herbst - das bedeutet auf Kuba wie auch in anderen Breitengraden die Zeit der Stürme. Die ganze Geschichte spielt vor dem Hintergrund des herannahenden Hurrikans "Felix", eine Tatsache, die nach den Ereignissen um "Katrina" und "Rita" eine unheimliche Aktualität erlangt. Padura verwendet den Sturm als Metapher der politischen, geistigen und moralischen Zerstörung, die auf Kuba bereits vor Jahren begonnen hat. Zerstörung als Chance für einen Neubeginn.

Nach der Zerstörung bleibt vielleicht nur die Erinnerung, daher möchte Conde ein Buch schreiben, ausbrechen aus der von zweifelhaften Erfolgen gekrönten Routine des Lebens. Er findet Halt bei seinen Freunden, gescheiterten Existenzen mit verpfuschtem Leben.

Doch stürmisch verläuft die ganze Geschichte nicht. Herbstliche Müdigkeit zeigt sich im Abnehmen der Spannung und im Zunehmen der Selbstreflexionen. Der Kreis der handelnden Personen ist überschaubar, überhaupt hat der Roman eher kammermusikalischen Charakter. Obwohl hier ein Zyklus von vier Bänden vorliegt, in sich geschlossen und schlüssig, ist Padura für mich eher ein Meister der kleinen Form. Genreszenen, Momentaufnahmen sind seine Stärke. Als Beispielen von vielen dienen etwa die Begegnung mit seinem Hund oder die für Conde arrangierte Geburtstagsfeier.

Gelegentliche sozialkritische Betrachtungen, Abrechnung mit dem sozialistischen Wirtschaftssystem, Korruption etc. sind eher als Prise beigemengt, das große Thema ist hier nur noch "das Leben als Meer voll Illusionen" am Beispiel Mario Condes und seiner Freunde. Freundschaft und Erinnerungen als einzige Hoffnung.

Wiedereinmal legt Leonardo Padura hier ein poetisches, melancholisches Buch vor, in dem aber diesmal eher die leisen Töne dominieren, voll Wärme und bunten Bildern. Sein Protagonist Conde und die Grundlagen der Tetralogie, eine Art Chronik seines Landes, lassen manche Assoziationen zu Manuel Vazquez Montalban zu, doch der ist für mich persönlich aus einem ganz anderen Holz geschnitzt und für Padura unerreichbar.

Trotzdem - und jetzt bewusst poetisch formuliert - ist Padura ein Fixstern in der Galaxis der lateinamerikanischen Kriminalliteratur.

Das Meer der Illusionen

Leonardo Padura, Unionsverlag

Das Meer der Illusionen

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