Abgrund

  • Polar
  • Erschienen: Oktober 2023
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Abgrund
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Carola Krauße-Reim
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2023

Abgründe gibt es viele.

Stefán Máni schreibt seit 1996 Bücher. Vor allem in Skandinavien haben seine Kriminalromane für eine große Leserschaft und Begeisterung gesorgt, immerhin erhielten etliche davon Nominierungen und Preise. In Deutschland wurde Máni durch seinen düsteren Roman „Das Schiff“ bekannt, der in beklemmender Atmosphäre vor allem durch die Psychogramme seiner Protagonisten punktet. Auch im vorliegenden Krimi steht die Tat eher im Hintergrund, während unterschiedliche Abgründe die eigentliche Geschichte bilden.

1997 und 2007

1997 machen vier Jungen eine unerlaubten Bootstour, bei der einer über Bord geht und beinahe ertrinkt. Nach dem Aufwachen kann er sich nur noch an eine Gestalt unter Wasser erinnern. 2007 verschwinden zwei Personen am selben Tag: Sölvi, der vor zehn Jahren fast ertrank und eine junge Frau. Sölvi taucht wieder auf, doch die junge Frau bleibt verschwunden. Sölvi versucht sie zu finden und stößt dabei nicht nur auf Mysteriöses, sondern auch auf ungeahnte Abgründe

Realität und Mysterium

Stéfan Máni verknüpft meisterhaft Reales mit Mysteriösem. Schon die Begegnung von Sölvi und der Gestalt im Wasser lässt erahnen, dass in diesem Krimi nicht alles auf Realität gebaut ist. Das wird immer offensichtlicher, je weiter die Geschichte voranschreitet. Jedoch drängt sich das Mysteriöse nie in den Vordergrund, es bleibt unaufdringlich aber dennoch essentiell für das Geschehen. Viel mehr konstruiert Máni mit ihm einen Plot, der quasi den Fall von hinten aufrollt, denn erst am Schluss wird klar, worin das Verbrechen überhaupt bestand. Im Mittelpunkt des Ganzen steht Sölvi, der unbedingt erfahren will, was mit der jungen Frau geschah, die zeitgleich mit ihm verschwand und die der Gestalt im See zum Verwechseln ähnlich sieht.

Sölvi

2007 ist Sölvi fast schon eine gescheiterte Existenz. Er hat die Schule abgebrochen, sucht dringend einen Job. Er hat das Fundament seines Lebens noch nicht gefunden. Nur seine Freundin Edda hält ihn über Wasser. Stéfan Máni nimmt sich viel Zeit, seinen Protagonisten vorzustellen, der immer noch von dem Erlebnis im See beeinträchtigt ist. Hier tun sich schon die ersten offensichtlichen Abgründe auf: Sölvi dümpelt in seinem Leben vor sich hin, macht sich jede Menge Gedanken und geht trotzdem fast unter. Gesellschaftliche Abgründe werden offensichtlich, wenn Sölvi einen Job in der Immobilienagentur seines Onkels annimmt und prompt nach tagelangem Koma im Krankenhaus aufwacht. Damit nimmt der Roman auch endlich ein wenig an Fahrt auf. Was bis dahin eher belanglos vor sich hinplätscherte, wird nun doch zu einem Krimi, der zwar nie ungeahnte Höhen der Spannung erreicht, aber immerhin interessant wird. 

Fordernde Abgründe

Die isländische Gesellschaft ist immer wieder Thema in Krimis von der Insel. Auch Máni kommt um sie nicht herum. Der Immobilienboom wird geschickt mit der scheinbar zunehmenden Dekadenz der Bevölkerung verknüpft und mit dem Mysterium rund um die Gestalt im See angereichert. Da sich weder persönliche, noch gesellschaftliche Abgründe oder das Mysteriöse in den Vordergrund drängen, ist man während der Lektüre fast gezwungen sich mit allen auseinander zu setzen. Doch das hat mit einem Krimi nicht mehr viel zu tun. Der Plot kreist viel zu sehr um Sölvi. Die düstere Atmosphäre nordischer Krimis wird zwar geschickt aufgebaut, einige Erkenntnisse treiben das Geschehen auch voran, doch eine manchmal sehr detailverliebte Sprache und vor allem die Konzentration auf Sölvis Befinden verhindern einfach, dass man nicht, wie erhofft, packend an die Geschichte gebunden wird. Auch ist mir völlig schleierhaft, warum der Autor das Geschehen 2007 minutengenau schildert, was meiner Meinung nach eigentlich keinen Sinn macht, da es sich über mehrere Tage zieht.

Fazit

Stéfan Máni als neuen Stern am nordischen Krimi-Himmel zu sehen, fällt mir schwer. „Abgrund“ ist erst in zweiter Linie ein Krimi. Persönliche und gesellschaftliche Abgründe verdrängen die Spannung aus diesem Roman, der lange braucht um überhaupt in Schwung zu kommen und das Verbrechen erst am Schluss offenbart. „Abgrund“ ist ein Buch für alle, die einmal etwas anderes im Krimi-Genre ausprobieren wollen. Wer einen packenden Plot nach konventionellem Vorbild erwartet, dürfte daher wohl enttäuscht werden.

Abgrund

Stefán Máni, Polar

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