The Secret Hours

  • Baskerville
  • Erschienen: September 2023
  • 0
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Michael Seitz
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2023

Kein Standalone, sondern ein Prequel!

Kein „Stand-Alone-Novel“…

Der englische Premierminister hat gleichsam im - unfreiwilligen - Ausscheiden aus dem Amt der Nachwelt einen Ausschuss mit Namen „Monochrome“ hinterlassen, der sich mit den Verfehlungen des britischen Geheimdienstes befassen soll. Sein Motiv war dabei einzig Rache für Veröffentlichungen zu seiner Person, deren Urheber er dort vermutet und die ihn das Amt gekostet haben. Ein Seitenhieb auf real existierende Personen ist hier wohl durchaus intendiert.

Leider wurde aber versäumt, die Befugnisse des Gremiums, bestehend aus verschiedenen Personen des öffentlichen Lebens nebst hauptamtlichem Hilfspersonal, exakt zu umreißen. Und so verhindert „First Desk“, die in diesem Roman stets namenlose Chefin der am Regent Park residierenden und daher als „The Park“ bezeichneten Institution die effiziente Arbeit von „Monochrome“ schlicht dadurch, dass sie nur solche Akten zur Verfügung stellt, die mit der exakten Nomenklatur des „Park“ bezeichnet sind.  Da diese aber geheim ist und dem Ausschuss also nicht zur Verfügung steht, fristet das Gremium ein trost- und sinnloses Dasein ohne erkennbare Fortschritte.

Besonders für Griselda Fleet, hauptamtliche Leiterin von „Monochrome“, und ihren Stellvertreter Malcolm Kyle ist diese Situation höchst frustrierend, wurden sie doch aus Ihren bisherigen Karrierepfaden im Innenministerium (Griselda) respektive im Büro des Kabinettsekretärs (Malcolm) hierher expediert, um einer Sache zu dienen, die zunächst spannend und karrierefördernd erschien, inzwischen jedoch zu einer hoffnungslosen Sackgasse mutiert ist. Während Griselda, mittelalt, dunkelhäutig und durch die Spielsucht ihres Exmannes hoch verschuldet, den Umstand, beiseitegeschoben worden zu sein, scheinbar mit stoischer Gelassenheit erträgt, sehnt sich der junge Malcolm zurück in die Machtzentrale und fürchtet (zu Recht), gerade um eine hoffnungsvolle Karriere betrogen zu werden. Und so gehen die beiden seit zwei Jahren bis zum herbeigesehnten, aber unabsehbaren Ende der Ermittlungen ihren drögen Pflichten zu Vorbereitung der fruchtlosen Sitzungen des Untersuchungsausschusses nach, bis - ja bis Malcolm scheinbar zufällig eine echte Akte aus dem Archiv des Park zugespielt wird und kurz darauf eine Zeugin vor dem Komitee aussagt, die tatsächlich von haarsträubenden Verfehlungen des Dienstes zu berichten weiß, auch wenn diese bereits Jahrzehnte zurückliegen.

In einer Parallelhandlung bekommt Max Janacek, seit vielen Jahren gut versteckter Spion im Ruhestand, eines Nachts ungebetenen Besuch in seinem Domizil in Devon. Nur knapp entkommt er den Eindringlingen, taucht unter und versucht nun mithilfe einiger alter Kontakte herauszufinden, wer ihm nach so vielen Jahren noch nach dem Leben trachtet.

Beide Spuren, die von Max und die der Monochrome-Kronzeugin führen - soviel sei verraten – in das Berlin der frühen Neunzigerjahre, kurz nach dem Mauerfall, in die dortige Niederlassung des britischen Geheimdienstes und zu einem gewissen Brinsley Miles.

 … sondern ein „Prequel“!

Der Verlag bewirbt das Buch als „Stand-Alone-Novel“, aber das ist es keineswegs! Vielmehr handelt es sich um ein „Prequel“ der Slough-House Serie des gleichen Autors, was jedem dämmert, der diese Serie gelesen hat, allerdings erst nach geraumer Zeit. Zwar trägt das Personal hier teilweise andere (Tarn-) Namen, wie dies für Spione ja keineswegs ungewöhnlich ist. Aber für Kenner der Serie um die „Slow Horses“ sind diese Akteure doch ohne weiteres erkennbar, wenn auch erst gegen Ende der Lektüre. Zudem gibt es ein Wiedersehen mit bekannten Helden wie dem „Old Bastard“ David Cartwright, in den Neunzigern Quasi-Chef des „Park“ und mit John Bachelor, aus der Serie bekannt als „Milkman“, der sich im Auftrag des Dienstes um Spione im Ruhestand kümmert.

Möglich wird dies, weil die Geschichte zwar in der Gegenwart spielt, den Leser jedoch mit einer Reihe von Rückblenden, erzählt von der Kronzeugin des Untersuchungsausschusses, in die frühen Neunziger entführt und so jedenfalls die (Vor-)geschichte eines Teils der heutigen Slough-House Menagerie enthüllt. So erfahren wir etwa, wie es kam, das Park-Archivarin Molly Doran im Rollstuhl sitzt. Mehr soll nun aber nicht verraten werden…

Prequels sind ja nicht nur beim Film, sondern auch bei Buchserien beliebt, aber auch eine Herausforderung, weil sich die Erzählung des „Vorher“ nahtlos in das dem Leser ja bereits bekannte „Nachher“ einfügen muss. Dieses Kunststück gelingt Herron meisterhaft, wenn auch hier und da mit einigen Längen. Auch ist es nicht immer einfach, der komplexen Handlung auf den verschiedenen Zeitebenen zu folgen, aber ein gewisses Maß an Verwirrung des Lesers gehört ja zu einem anständigen Agententhriller nun einmal dazu.

Wie immer bei diesem Autor gibt es Momente genialer und sehr britischer Komik, so etwa bei dem hochbürokratischen Gezerre um die Monochrome-Ermittlungen, wenn auch vielleicht nicht ganz so viele wie in den früheren Büchern der Serie. Vor allem aber fallen die Puzzlesteine, wie es sich für einen ordentlichen Krimi gehört, erst ganz am Ende des Buches wie von selbst an ihren Platz und geben den Blick auf die ganze grotesk-chaotische Welt frei, die Herron mit dieser Serie geschaffen hat. Und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die mehr mit unserer sehr realen Wirklichkeit zu tun hat, als uns lieb sein kann.

Fazit

Dieses Buch ist ein Riesenspaß vor allem für diejenigen Leser, welche die „Slough House“ Reihe bereits kennen und lieben. Dem „Anfänger“ in der aberwitzigen Welt der „Slow Horses“ hingegen sei empfohlen, zunächst die anderen Bücher dieser Serie zu lesen, und zwar nach Möglichkeit in der Reihenfolge ihres Erscheinens. Sonst könnte es sein, dass ihm ein Großteil des Spaßes an dieser Geschichte entgeht und er etwas ratlos und frustriert zurückbleibt. Wer übrigens sein Lesevergnügen an diesem Buch krönen will, der sollte zusätzlich noch die gerade einmal 33 Seiten lange Novelle „Against the Wall“ genießen, in der Herron den Handlungsstrang der Serie mit dem von „The Secret Hours“ kongenial verkoppelt.

The Secret Hours

Mick Herron, Baskerville

The Secret Hours

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