Alles schweigt

  • Ullstein
  • Erschienen: August 2023
  • 1
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2023

Pümpel im Keller-Klo der Oberklasse

Mae Pruett und Chris Tamburro sind erfolgreiche Mitläufer im Hamsterrad der modernen Image-Industrie. In einer Gesellschaft, die von ihrer Prominenz „politisch korrektes“ Verhalten verlangt und deshalb nach Verstößen giert, bilden Medien und Öffentlichkeit eine eingespielte Zweckgemeinschaft. Ein Shitstorm kann eine bisher erfolgreiche Karriere killen, und da die besagte Prominenz auf Gesetze und Regeln pfeift, ernährt sie eine Armee hoch bezahlter „Krisenmanager“, die im Bund mit gut geschmierten Polizisten, skrupellosen Juristen und Als-ob-Journalisten dafür sorgt, dass prominentes Fehlverhalten sich in Luft auflöst.

Einst waren Mae und Chris ein Paar, doch die Beziehung endete unglücklich. Ein mysteriöser Kriminalfall führt sie wieder zusammen: Mae arbeitet für den ‚Presseagenten‘ Dan Hennigan, der genau weiß, welche Skelette Entscheidungsträger und Stars in ihren Schränken verstecken. Anscheinend hat er ein Geheimnis zu viel gekannt bzw. nicht mehr gehütet, sondern zu Geld machen wollen. Hennigan wird bei einem fingierten Raubüberfall erschossen. Dass er auf der Basis seines Wissens tüchtig kassieren wollte, hatte er Mae kurz vor seinem Tod angedeutet. Nun will sie wissen, was dahintersteckt - dies auch, weil sie fürchten muss, selbst ins Visier der Mörder zu geraten.

Während Mae zu ermitteln beginnt, soll Chris den Fall Hennigan für den ultrareichen Finanzmogul Leonardo DePaulo klären. Der Ex-Cop begreift bald, dass ihn die Antwort das Leben kosten könnte. Er tut sich mit Mae zusammen, und gemeinsam stochern sie im Sumpf einer über Gesetz und Moral thronenden Elite, die nichts mehr hasst als Quertreiber ...

Wie man in den Wald hineinkotzt ...

„Hollywood“ ist nicht nur eine Produktionsstätte für Filme und TV-Shows, sondern auch ein Mythos. Hier werden angeblich Träume wahr, kann jede/r es ‚schaffen‘, d. h. zu jener privilegierten Oberschicht aufsteigen, die als „Stars“ bezeichnet werden. Diese existieren in einer Art Parallelwelt und werden von ihren Fans auf Händen getragen, was wiederum dafür sorgt, dass ihre Filme hohe Profite einfahren.

Doch der Grat, auf dem besagte Stars wandeln, ist schmal bzw. messerscharf. Ein Fehltritt genügt, um sie in den Abgrund zu befördern. Wer fehlt, indem er seine Fans verprellt, wird mit Liebesentzug bestraft und ignoriert. Dem schließen sich prompt jene an, die hinter den bzw. jenseits der Kameras und Kulissen produzieren, was die Menschen träumen (und zahlen) lassen soll.

Seit Hollywood existiert, gilt es sowohl als Traumstadt als auch als „Babylon“, dessen privilegierte Bewohner sich über dem Gesetz und der Ethik wähnen. Schon in der Stummfilmzeit fahndeten Kritiker, Neider, Moralapostel und Medien nach lukrativ (aus-) nutzbaren Schwächen und Verfehlungen. Wer ‚überführt‘ wurde, stürzte aus dem Himmel ins Nichts; kein Wunder also, dass besagte Stars schon damals bereit waren, viel Geld an jene zu zahlen, die sie unter Einsatz sämtlicher Mittel aus solchen Bredouillen befreiten.

... so stinkt es heraus

Es entstand ein Pool von Spezialisten, die ihre Klientel aus Notlagen freilogen. Fakten wurden manipuliert, umgestaltet, entschärft, wobei die Wahrheit zur lästigen Last degenerierte und unter Einsatz von (Schmier-) Geld, Drohungen und Gunstbeweisen so (ver-) formt wurde, dass sie die wankelmütige Öffentlichkeit in den Fan-Status zurückgleiten ließ.

Rasch wurde der Kreis der Beteiligten = Geschmierten in Justiz und die Polizei auf Politiker und reiche Geschäftsleute erweitert. Letztere betrachteten Hollywood als Jagdrevier und aufstrebende Jung-Darsteller/innen als ihre Beute. Die „Casting-Couch“ war schon vor „#MeToo“ bekannt und berüchtigt.

Heutzutage haben sich die Methoden geändert, doch ‚gejagt‘ wird weiterhin. Was Jordan Harper schildert, mag übersteigert wirken. Die Realität ist freilich auf ihrer Seite: So ist die Figur des kinderfixierten Produzenten Eric Algar nicht einmal versteckt angelehnt an den einstigen „Nickelodeon“-Star Dan Schneider, der ein Vierteljahrhundert dank Hit-Serien wie „iCarly“ oder „Victorious“ sein Schreckensregiment über eingeschüchterte Kinderdarsteller ausüben und dabei seinen Fetischen frönen konnte, bis er aufgrund einer sinkenden Erfolgsbilanz vom Sender ausgebootet wurde.

Stich in den Haifischbauch

Harper schreibt nicht mit der elementaren Niedertracht eines John Niven, der in Romanen wie „Kill Your Friends“ (2008) oder „Kill ‘em All“ (2018) die Unterhaltungsbranche als Ort des Schreckens und Hölle inszenierte, in dem nur absolute Skrupellosigkeit Aufstieg und Erfolg garantiert und man einander belügt, ausnutzt und notfalls umbringt.

Allerdings ist auch bei Harper der Tod eine durchaus mögliche Option. Es steckt einfach zu viel Geld in der populären Unterhaltung, die deshalb jenseits der ‚echten‘ Mafia ähnlich kriminelle Strukturen entwickelt und bis zur Perfektion vorangetrieben hat. Will man Harper Glauben schenken - was dem Zyniker leicht- und dem an Rechtschaffenheit festhaltenden „Schlafschaf“ schwerfällt -, ist Hollywood ein Schlachtfeld, dem die träumende/zahlende Kundschaft ferngehalten werden soll.

Leistung, Disziplin, Freundschaft: Diese Eigenschaften sind Gift für „Stars“, die entweder aufstreben oder sich auf dem schlüpfrigen Gipfel ihres Ruhms halten wollen. Da sie selbst dazu neigen, sich auserwählt zu fühlen, sind sie bereit zu tricksen, wenn sie merken, wie unsicher ihre Position ist. Hinzu kommen die höchstens verdrängten, aber nie wirklich überwundenen Seelenschäden aufgrund gewisser ‚Zugeständnisse‘, die auf dem Weg zum Starruhm gemacht werden ‚mussten‘.

Schmerzhafter Weg zurück ins Licht

Jeweils auf ihre Weisen haben sich Mae und Chris mit diesem schmierigen Milieu abgefunden und sich dort etabliert. „Alles schweigt“ beschreibt ihr Erwachen und ihre schmerzhafte Rückkehr dorthin, wo die von ihnen ignorierten Werte noch gelten. In diesem Punkt mag zumindest der oben erwähnte Zyniker der Autorin Blauäugigkeit vorwerfen; John Niven hätte eine Erlösung nicht einmal in Betracht gezogen.

Allerdings weiß Harper ihr ‚Happy-End‘ durchaus realistisch sowie spannend mit einer Kriminalgeschichte zu verquicken. Zudem folgt der Mission die Ernüchterung: Der im Laufe des Geschehens schwer verletzte Chris gibt den Kampf auf, und die standhafte Mae darf höchstens einen kurzen Achtungserfolg feiern, bevor jene glänzend eingespielte Lügenmaschine, die Harper so plausibel in Szene zu setzen weiß, sie - die ‚Verräterin‘ - festnageln und - womöglich buchstäblich - in Stücke reißen wird.

Zusätzlich postuliert Harper jenseits der Hollywood-(Alb-)Traumindustrie eine superreiche Oberschicht, die tatsächlich vom Gesetz nicht mehr belangt werden kann, weil sie sich ein schlagkräftiges Netzwek moralisch korrupter Nutznießer geschaffen haben. Die Globalisierung hat dafür gesorgt, dass ihre finanzielle Basis längst in Ausländern lagert, die der heimischen Justiz entzogen sind. Mae und Chris können höchstens ihre eigenen Gewissen ein wenig erleichtert. An einem perfekt degenerierten System wird ihr Widerstand nichts ändern.

Fazit

Im Enddarmbereich der modernen Populärindustrie spielender Thriller, dessen Autorin die verbrecherischen, professionell ‚entschärften‘ Machenschaften der an Lüge und Vertuschung gut verdienenden, absolut skrupelfreien ‚Spezialisten‘ mit einem Krimi-Plot verknüpft und für ein spannendes, aber ungemütliches Lektürevergnügen sorgt.

Alles schweigt

Jordan Harper, Ullstein

Alles schweigt

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