Dorf unter Verdacht

  • Kein & Aber
  • Erschienen: Oktober 2023
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Thomas Gisbertz
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2023

Das Thema erdrückt diesmal leider etwas die Spannung

Ende August 1939: Das Leben könnte für Josephine Tey und ihre Partnerin Marta kaum schöner sein. Beide genießen die gemeinsame Zeit und den Spätsommer in ihrem Cottage in Suffolk. Doch die Zeiten sind düster: Der Zweite Weltkrieg ist soeben ausgebrochen und Tausende Kinder verlassen London, um auf das Land zu flüchten. Hilary Lampton, die Frau des örtlichen Pfarrers, organisiert derweil die Unterbringung der jungen Flüchtlinge in der Gemeinde. Doch deren Ankunft läuft chaotisch ab, da deutlich mehr Kinder als geplant eintreffen. Während Josephine und Marta gegen ihren ursprünglichen Plan doch einen Jungen aufnehmen, verschwindet plötzlich ein Mädchen aus dem Ort spurlos. Das Fehlen des Kindes fällt aber erst am folgenden Tag beim alljährlichen Gemeindefest auf. Zufälligerweise ist Josephines Freund und Scotland-Yard-Ermittler Archie Penrose zu Besuch. Der macht sich sofort auf die Suche nach dem verschwundenen Mädchen. Dies gefällt aber nicht jedem im Ort. Als sich eine Wolke des Misstrauens über das kleine Dorf legt, wird der Konflikt persönlich, und die Ereignisse nehmen eine dunkle und unheilvolle Wendung.

Britische Bestsellerautorin

„Dorf unter Verdacht“ ist der dritte Band, den der Züricher Kein & Aber-Verlag aus der erfolgreichen Krimireihe der britischen Autorin Nicola Upson veröffentlicht. Der Roman ist zugleich der 10. und bislang letzte Titel der Serie. Zeitgleich bringt der Verlag mit „Experte in Sachen Mord“ (Band 1) und „Mit dem Schnee kommt der Tod“ (Band 9) zwei weitere Upson-Titel auf den Markt. Weitere Bände folgen im Mai 2024.

Auch diesmal stehen die Theaterautorin und Krimischriftstellerin Josephine Tey, die Drehbuchautorin Marta und der Scotland-Yard-Ermittler Archie Penrose im Zentrum der Geschichte. Wie bei Nicola Upson üblich, dreht sich alles um ein besonderes Ereignis der damaligen Zeit. Diesmal bildet die Landverschickung englischer Kinder und Jugendlicher aus Angst vor deutschen Fliegerangriffen auf London das Gerüst der Handlung.

Gesellschaftsroman oder Krimi?

Erneut stellt Upson ihr Gespür für die Zeit der 30er-Jahre unter Beweis. Der sehr gut recherchierte und detailreiche Roman liefert dem Leser ein authentisches Bild Englands zu Beginn des Zweiten Weltkrieges. Leider verliert sich der Roman im ersten Drittel zu sehr im Thema der Landverschickung, sodass erst spät wirklich Spannung aufkommt. Die Handlung - so wichtig sie thematisch ist - plätschert zunächst so dahin. Zwar bietet der erste Teil des Romans gewohnt viel Zeit- und Lokalkolorit, aber erst mit dem Schwinden des ortsbekannten Mädchens nimmt die Erzählung allmählich etwas Fahrt auf. Ein besonderes Highlight der ersten etwa 150 Seiten ist aber das Auftreten der zur damaligen Zeit bekannten und erfolgreichen Kriminalautorin Margery Allingham, die wie Josephine Tey ihre Karriere mit dem Schreiben von Theaterstücken begann. Beide werden irrtümlicher Weise als Ehrengast zur Gemeindefeier eingeladen. Das Aufeinandertreffen der beiden Krimiautorinnen des Golden Age sprüht vor Witz und Charme. Der Roman ist fast schon alleine deswegen lesenswert.

Ein Dorf voller Verdächtiger

Die eigentliche Ermittlungsarbeit übernimmt erneut Detective Inspector Archie Penrose. Anscheinend gibt es auf dem Land ansonsten keine Polizei, die sich diesem Fall annehmen könnte. Verdächtige gibt es - wie immer bei Nicola Upson - genügend im Ort, zum Beispiel die undurchsichtige Familie Herron, das seltsame Geschwister-Pärchen Winnie und Cyril Chilver oder die Fahrenden am Waldesrand. Penrose ermittelt gewohnt nüchtern und professionell, indem er unter anderem von Haus zu Haus geht. Das sorgt nicht gerade für Tempo und ist nur mäßig spannend, gleichwohl aber durchaus unterhaltsam. Das Ende des Romans hat es aber in sich und versöhnt für einiges. Insgesamt steht die Erzählung diesmal einem Gesellschaftsroman näher als einem Krimi. Auch wenn der aktuelle Roman erneut geprägt ist von Upsons Liebe zum Setting, verfängt sich die Autorin diesmal etwas zu sehr in der Hintergrundgeschichte. Wer es aber liebt, in die Zeit der 30er-Jahre einzutauchen, der wird erneut bestens unterhalten.

Fazit

Der bislang letzte Roman der Josephine-Tey-Reihe ist in weiten Teilen eher ein Gesellschaftsroman als eine Kriminalerzählung. Es braucht lange Zeit, bis wirklich Spannung aufkommt. Wer die Reihe mag, dem wird auch „Dorf unter Verdacht“ sicherlich gefallen - Es sollte aber nicht der erste Band der Reihe sein, den man liest. Auch wenn „Dorf unter Verdacht“ nicht der Stärkste der drei bislang veröffentlichten Bände der Josephine-Tey-Reihe ist, sind die Fälle rund um die Krimiautorin insgesamt sehr lesenswert. Ein Krimi für alle, die viel Wert auf Figurengestaltung und Atmosphäre legen.

Dorf unter Verdacht

Nicola Upson, Kein & Aber

Dorf unter Verdacht

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