Sir Basils Teerosen

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1955
  • 0
Sir Basils Teerosen
Sir Basils Teerosen
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2023

Mörderischer Wurm im Familienapfel .

Weit hat Basil Cawbury es gebracht, ist reich und geachtet sowie Vater dreier Söhne und einer schönen Tochter. Allerdings ist er auch ein einsamer, verbitterter Witwer, dem seine Kinder fremdgeworden sind. Vor allem Archibald, der Älteste, sorgt für permanenten Kummer. Von der südostasiatischen Front ist er 1945 kriegstraumatisiert heimgekehrt und leidet unter Angstattacken, die er mit Alkohol ‚bekämpft‘. Bruder Henry war zu jung für den Kriegseinsatz, ist aber psychisch instabil, der 19-jährige Ronald ist schwerstverliebt und ebenfalls unzurechnungsfähig. Tochter Pamela läuft dem bindungsunfähigen Douglas Stews hinterher, der wie sein bester Freund Archie von Kriegserlebnissen gezeichnet ist.

Dies ist die brisante Gruppe, die der alte Basil auf seinen abgelegenen Landsitz eingeladen hat. Hinzu stoßen seine Neffen Michel Macall und Bob Crane sowie dessen nervenleidende Gattin Catherine. Das Treffen findet in drückender Sommerhitze statt, was die ohnehin gereizte Stimmung weiter aufheizt. Immer wieder flackern Streitigkeiten auf, dann liegt Catherine mit gebrochenem Hals im Garten. Offenbar hat sie sich aus dem Fenster ihres Schlafzimmers gestürzt.

So lautet das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen. Stews ist skeptisch und macht keinen Hehl daraus. Kurz darauf missglückt nur zufällig ein Anschlag auf sein Leben, und ein weiteres Familienmitglied findet den Tod. Scotland Yard schickt die Inspektoren Vallin und Foster, die im Kreis der aufgeschreckten Familie ermitteln.

Dies wird durch die offene Feindseligkeit der Familienmitglieder erschwert, die sich nicht von den Polizisten beeindrucken lassen. Stattdessen beginnt man einander zu misstrauen. Niemand kann mit einem wirklich wasserdichten Alibi dienen, während es mehr als genug Verdachtsmomente, aber keine konkreten Spuren gibt. Der Druck steigt weiter, das nächste Opfer lässt nicht lange auf sich warten, doch weiterhin bleibt der Täter den Ermittlern mindestens einen Schritt voraus …

Englische Landhausmorde ohne Gemütlichkeit

Manchmal sorgt die Lektüre eines uralten Kriminalromans, den man im Vorfeld formal und inhaltlich glaubte einschätzen zu können, für eine Überraschung. „Sir Basils Teerosen“ gehört dazu, was umso erstaunlicher ist, da dieser Roman keineswegs ein vergessenes Juwel des Genres darstellt. Die (angenehme) Irritation wird durch eine sicherlich beabsichtigte ‚Täuschung‘ erzielt: Schon der Titel deutet einen jener „gemütlichen“ Krimis an, die in isolierten englischen Landhäusern oder Schlössern spielen und eine Schar Verdächtiger präsentiert. Unter ihnen verbirgt sich ein Schurke (oder eine Schurkin), der oder die einen eigentlich unmöglichen Mord begangen hat.

In dieser Beziehung sorgt „Edgar Beverly“ - wieso sein Name in Anführungsstriche gesetzt ist, wird weiter unter aufgeklärt - für einen klassischen Start. Basil Cawburys Residenz liegt ‚vorschriftsmäßig‘ so abgeschieden, dass keineswegs ein Strolch „von außen“ hier sein Unwesen treiben kann. Wie es sich gehört, sind die uns ausführlich vorgestellten Hausbewohner mit den Verdächtigen identisch. Beverly weicht überhaupt nicht gänzlich von den Genrevorgaben ab; das ist nicht nötig, weil er die bekannten Regeln auf andere Weise gegen den Strich bürstet.

Für den „Cozy“ (nicht nur) britischer Herkunft ist eine (meist) mehr oder weniger ausgeprägte Zeitlosigkeit typisch. Insofern müsste Basil Cawburys Heim ein von der Gegenwart quasi übersehener Ort sein. Doch Cawburys Landsitz ist weder baufällig noch vornehm heruntergekommen, sondern bautechnisch auf dem aktuellen Stand. Strom und Telefon funktionieren hervorragend, weshalb sie nicht durch Ausfall für dramatische Situationen sorgen können - und sollen.

Wucht der Gegenwart

Auch die Bewohner des Landhauses entsprechen nicht den üblichen Profilen. Hier gibt es keine kauzigen Adligen, zerstreuten Pfarrer, tumben Bediensteten oder sonstigen „Cozy“-Stereotypen. „Sir Basils Teerosen“ wurde 1953 erstmals veröffentlicht und spielt in diesem Jahr. Selbst der alternde Gastgeber ist ein Kind der Gegenwart - ein Selfmademan, der sich sein Vermögen erarbeitet hat. (Ohnehin ist Cawbury kein Adliger; nur der Titel hat ihn ‚aufgewertet‘, um Lehnstuhl-Krimigemütlichkeit zu suggerieren.)

Die Cawburys stellen nur bedingt jene genreübliche Schar dar, deren charakterliche Unterschiede für zusätzliche Ungewissheit sorgen sollen, um die Täterschaft zu verhüllen. Stattdessen einigen sie höchstens ihre psychischen Probleme. Alle sind sie seelisch angeschlagen, zum Teil sogar unzurechnungsfähig wie Archibald, der älteste Sohn, der nicht nur säuft, sondern auch ‚Aussetzer‘ hat, in denen er sich in den Kriegsdschungel zurückversetzt fühlt und jeden Menschen attackiert, der ihm zu nahe kommt.

Aber auch sein Bruder Henry hat in dieser Hinsicht eine eigene Vorgeschichte, was die Frage aufwirft, wie ‚verdorben‘ die Cawburys herkunftsbedingt sind. Selbst Ronald macht sich verdächtig, weil er auf die scheinbaren Avancen seiner jungen Freundin einem älteren Hausgast gegenüber womöglich mit tödlicher Sabotage reagiert. Auch der Rest der Familie ist mit Vorsicht zu genießen. Hinzu kommt Archibalds bester (und einziger) Freund Douglas Stews, der nur scheinbar besser mit seinem Kriegstrauma zurechtkommt.

Wahnsinn mit Methode

Ungeachtet der kollektiv zerrütteten Psyche steckt hinter den Morden ein Plan, ausgeheckt von einem entschlossenen Geist, der die Schräglage der Familie für seine Zwecke nutzen will. Die Handlung weicht hier vom „Cozy“-Schema ab und erinnert an einen Psycho-Thriller. Verdrängtes und Unterdrücktes bricht sich Bahn und sorgt für unerwartete Wendungen.

Dies wird möglich, weil die eigentlichen Ermittler der Herausforderung nicht gewachsen sind. Die Inspektoren Vallin und Foster bleiben Nebenfiguren. Sie stellen Fragen und drehen Steine um, sind aber intellektuell nicht flexibel genug, den ‚Psycho-Faktor‘ im Rahmen ihrer Ermittlung zu berücksichtigen. So sorgen Druck und Wahn schließlich für ein ebenso spektakuläres wie theatralisches Finale, das die typische Zusammenkunft sämtlicher Beteiligten (= Verdächtigen) ungewöhnlich vordergründig mit Spannung auflädt.

Dass dieser Krimi gegen den Strich gebürstet wirkt, liegt auch an seiner Entstehungsgeschichte: „Sir Basils Teerosen“ ist kein ‚originaler‘ Landhaus-Krimi. Er spielt zwar in England, wurde aber von einem österreichischen Autorenteam verfasst. Ferdinand Feisthauer und Werner Pilz verfassten in den frühen 1950er Jahren mehrere Romane unter dem Pseudonym „Edgar Beverly“, mit dem man die Liebhaber des britischen „Cozys“ zum Kauf verleiten wollte. Sie schrieben darüber hinaus Groschenromane, was sich in diesem Werk niederschlägt - allerdings nicht unbedingt negativ. Von zeitgenössischen (und heute „politisch unkorrekten“) Stereotypen und einem manchmal gar zu intensiven Überschwang der Gefühle abgesehen, sorgt „Sir Basils Teerosen“ - auch formal - für ein interessantes, weil so nicht erwartetes Lektürevergnügen.

Fazit

Obwohl nicht in England entstanden, spielt der Autor geschickt mit den Mustern des klassischen „Cozys“, die er mit (zeitgenössisch) moderner Psychologie kombiniert: ein zwar effektbetonter, zum Teil überspitzter, aber erstaunlich lesenswert gebliebener Alt-Krimi.

Sir Basils Teerosen

Edgar Beverly, Goldmann

Sir Basils Teerosen

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