Dunkelzeit

  • Atrium
  • Erschienen: Mai 2023
  • 1
Dunkelzeit
Dunkelzeit
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André C. Schmechta
82°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2023

Aufwühlendes Sozial-Drama mit atmosphärischem Milieukolorit

Als eines Tages die junge Peggy Ahern verschwindet, wird schnell ein Verdächtiger ausgemacht. Hal, ein 25-jähriger, geistig beeinträchtigter Mann, der mit einem blutverschmierten und verbeulten Truck von einer Jagdtour zurückgekehrt ist. In dem beschaulichen Ort soll fortan nichts mehr so sein wie früher.

Atmosphärisch dichtes Debüt

Erin Flanagan verortet ihren Roman um einen Vermisstenfall in den achtziger Jahren im ländlichen Nebraska. Die kleine Stadt Gunthrum ist Schauplatz der tragischen Ereignisse, die seine Einwohner aufschrecken. Vor allem aber der unmittelbar betroffene Personenkreis wird auf eine harte Probe gestellt.

Da sind Alma und Clyle, die Hal auf ihrer Farm eingestellt haben und sich um den jungen Mann kümmern, beinahe wie um das eigene Kind, das ihnen aber bisher verwehrt blieb. Sie werden mit einer unbequemen Realität konfrontiert und müssen sich fragen, ob Hal tatsächlich in der Lage wäre, einem Mädchen etwas anzutun? Es wäre nicht das erst Mal, dass er gewalttätig wurde.

Oder Milo, der Bruder von Peggy, der mit seinen Eltern Joe und Linda zunächst von der Hoffnung getragen wird, dass seine Schwester sicherlich schnell wieder auftauchen wird und sich nur kurz im Freiheitsdrang davongestohlen hat.

Wenn die Kleinstadt-Idylle Risse bekommt

Es sind einige Menschen, die uns noch begegnen werden und es hat daher ein wenig dauert, bis ich mit allen vertraut geworden bin. Aber Erin Flanagan gelingen feinfühlig gezeichnete Figuren, die durch Beziehungen, Freundschaften oder Schulgemeinschaften mehr oder weniger eng in diesem Ort miteinander verflochten sind. Gerüchte jedenfalls verbreiten sich wie ein Lauffeuer und Hal sieht sich schon bald offenen Anfeindungen und Abweisung ausgesetzt.

Ein wenig mag die schicksalshafte Konstellation an John Becks Klassiker „Von Mäusen und Menschen erinnern“, das auch Ane Riel etwa in ihrem Roman „Biest“ aufgegriffen hat, den ich für die Belletristik-Couch rezensiert habe. Ein geistig beeinträchtigter Mensch steht im Mittelpunkt um Verdächtigungen und Anschuldigungen. Während auch in „Dunkelzeit“ nun die einen versuchen ihre Liebsten zu schützen und vor Unrecht oder Recht zu bewahren, werden die Grundfesten des Zusammenlebens in Gunthrum langsam brüchig.

Und zum Ende hin auch Krimi

Es ist äußerst packend zu lesen, wie Erin Flanagan die emotionalen Herausforderungen für die Menschen in dieser Zeit und unter den gegebenen Umständen entfaltet. Mühsam aufgebaute Fassaden bröckeln. Alte Wunden öffnen sich. Im mehr wird auch die Vergangenheit einzelner, werden persönliche Verletzungen und Sehnsüchte offenbar. Immer tiefer gerät die Gemeinschaft in einen Strudel aus Zweifeln und Unsicherheit, Angst und Wut. Und natürlich ist da immer wieder Liebe und Fürsorge, die das Handeln beeinflussen.

Nuancierte Dialoge bringen uns die Gedankenwelten der Figuren näher, lassen uns teilhaben an ihrem Hochs und Tiefs und doch bleibt das Verschwinden von Peggy ungelöst. Auch wenn sich dann der hiesige Sheriff des Falles annimmt, richtige polizeiliche Ermittlungen sind in „Dunkelzeit“, wenn überhaupt, nur Randerscheinungen. Was ist geschehen und wer ist verantwortlich? Zum Ende hin erlöst uns Erin Flanagan und lässt die Antworten zu den drängenden Fragen in einem stimmigen Plot aufgehen.

Fazit

„Dunkelheit“ ist im Kern ein aufwühlendes Sozial-Drama mit viel atmosphärischen Milieukolorit. So geht es vordergründig weniger um eine kriminelle Tat und etwaige Ermittlungsarbeit zum Verschwinden von Peggy Ahern, als vielmehr um die ganz normalen Menschen in einer Kleinstadt, die sich unter derartigen Umständen verändern. „Dunkelzeit“ ist ein packendes, tolles Debüt, das 2022 mit dem Edgar Award ausgezeichnet wurde und das mich neugierig auf kommende Veröffentlichungen der US-amerikanischen Autorin macht.

Dunkelzeit

Erin Flanagan, Atrium

Dunkelzeit

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