Insel des Todes

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1966
  • 5
Insel des Todes
Insel des Todes
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Michael Drewniok
60°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2022

Der Detektiv, die schöne Leiche & der Haifisch

Ambrose Norman, genialer Theaterschriftsteller und unverbesserlicher Taugenichts; Larry Champlin, Geschäftsführer und Dieb; Felix Parker, Freund und Verräter; Betty Adams, Privatsekretärin und rachedurstige Spielgefährtin; James Barth, Anwalt und Sadist: Fünf Personen, beschrieben von Schauspielerin Leila Gilbert, aktuelle Klientin des New Yorker Privatdetektivs Danny Boyd. Einer von ihnen hat angeblich ihren Vater ermordet. Damon Gilbert, berühmter und erfolgreicher Theaterproduzent, war ein bösartiger Zeitgenosse, der es liebte, seine Mitmenschen zu manipulieren. Offenbar hat er es damit übertrieben, obwohl die Polizei an einen Unfall oder Selbstmord glaubt.

Seine Tochter stellte Nachforschungen an und ist dem Täter offenbar zu nahe gekommen. Deshalb heuert Leila vorsichtshalber Boyd an: Sollte ihr etwas zustoßen, wird er ihren Tod aufklären. Sechs Wochen später fällt sie während eines Urlaubs in Australien aus einem Boot und wird von einem Haifisch gefressen. Mit an Bord: die oben aufgelisteten Personen ...

Boyd macht sich auf nach Australien. Viel Ermittlungszeit bleibt ihm nicht, denn die offizielle Untersuchung, die seine Verdächtigen im Küstenstädtchen Townshill festhält, steht vor dem Abschluss. Der Detektiv wird nicht mit offenen Armen, sondern mit erhobenen Fäusten begrüßt. Empört weisen alle Bootsfahrer jegliche Schuld am Tod von Leila Gilbert von sich. Einer muss lügen, denn er oder sie scheut nicht davor zurück, auch Boyd ein nasses Grab zu bescheren. Wer könnte es gewesen sein? Dreck haben sie alle genug am Stecken ...

Man muss beim Lesen nicht denken

Die Welt ist schlecht bzw. ein Ort, an dem nur der Stärkere überlebt. Das geschieht in erster Linie auf Kosten anderer, die nicht über die notwendige Schlauheit und Rücksichtslosigkeit verfügen, und schließt Betrug und Mord ausdrücklich ein: Willkommen in den Niederungen der „Pulps“ und bei jenen Unterhaltungsromanen, die angeblich niemand liest und die doch Rekordauflagen erreichen.

Wobei „Pulp“ eigentlich den Kern nicht ganz trifft. Die kostengünstigen, auf billiges, holziges Papier gedruckten Magazine hatten ihre Zeit in den 1920er bis 50er Jahren. Doch „Insel des Todes“ steht eindeutig in ihrer Tradition: Die Pulps wurden von den Paperbacks bzw. Taschenbüchern abgelöst, ein Großteil der alten Autoren wechselte auf diese Weide. Ihre Erfolgsrezepte blieben unverändert: einfache Plots, keine komplizierten Raffinessen, Tempo, (gemäßigte) Gewalt & selbstverständlich Sex (oder was man damals dafür hielt).

„Fernfahrer-Literatur“ nannte deshalb so mancher zynische Vielschreiber diese von der Kritik ignorierten und verachteten Reißer - Bücher für Leute, die beim Lesen die Lippen bewegen. Viel bildungsbürgerliche Arroganz schwingt in diesem Urteil mit, da einige dieser Autoren Beachtliches leisteten und der politisch korrekten, aber gern verlogenen Oberwelt der Unterhaltungsliteratur eine solide und vergnügliche Bauchhöhle schufen.

Keine Experimente!

Carter Brown, Tom Conway, Paul Valdez, sogar Caroline Farr, aber eigentlich Allan Geoffrey Yates (1923-1985) gehört zum schriftstellerischen Fußvolk - ein Autor, der durchschnittlich sechs Romane pro Jahr veröffentlichte. Wie ihm das gelingen konnte, macht „Insel des Todes“ exemplarisch deutlich. Hier werden ausschließlich längst bekannte Handlungselemente des Thrillers (leicht) variiert. Neue Ideen, Originalität: Fehlanzeige. Das ist auch gar nicht erforderlich oder gar erwünscht. Der ‚typische‘ Carter-Brown-Leser will sein gewohntes Ambiente, möchte einfach unterhalten werden.

An sich eine legitime Forderung, über die sich nur schmallippige Spielverderber mokieren. Nichtsdestotrotz repräsentiert „Insel des Todes“ in gewisser Weise eine untergegangene Epoche. Heute verblüfft die naive Dreistigkeit, mit der Brown eine Welt erschuf, die sich Hugh Hefner selig vom angestaubten „Playboy“ ausgedacht haben könnte. Dieses Magazin und seine ‚Philosophie‘ dürfte zu einem Gutteil Carter Brown und sein Werk inspiriert haben.

Der Mann ist Herr im Haus - in jedem Haus. Das ist unbestrittener Fakt und berechtigt zu Taten und Worten, die in der #Metoo-Gegenwart nicht zu Unrecht als sexuelle Belästigung oder gar Nötigung geahndet würden. Danny Boyd weiß zwar, dass es einen Ehrenkodex für Detektive gibt. Daher ist er ehrlich und stets bestrebt, einen angenommenen Auftrag zu Ende zu führen, auch wenn ihm das außer Prügel und Schüssen wenig Geld oder gar Dank einbringt.

Spaß muss sein - für den Mann

Auf der anderen Seite ist Danny Boyd ein echter Hengst; ein Ehrentitel, den ein Mann 1962 noch mit Stolz tragen durfte; jedenfalls im Reich des Billig-Taschenbuchs, das nach der Lektüre per Mülleimer entsorgt wurde. Aber wer will Boyd vorwerfen, dass er ständig spitz ist? Schließlich fliegen schöne Frauen auf ihn; wer sich verweigert, ist entweder hässlich, lesbisch oder geisteskrank.

Gleich drei Vertreterinnen des schönen Geschlechts geben sich auf der „Insel des Todes“ die Ehre. Mit einigem Wohlwollen lässt sich Betty Adams als tragende Figur der Handlung bezeichnen, während Leila Gilbert und die geile Estin Sonja nur Karikaturen bleiben. Aber auch Betty, der Brown eine tragische Vergangenheit aufzwingt, erliegt selbstverständlich Boyds Charme. Der wird freilich nur behauptet. Jedenfalls wirkt es befremdlich, dass sich Betty gleich zweimal ziemlich unvermittelt die Kleider zwecks einer wilden Liebesnacht („Oh Danny, Danny ... Es war wunderbar!“) vom Leib reißt.

Es wurde wohl Zeit für Verfasser Brown, die vertraglich vereinbarten Sexszenen zu liefern. Wie gesagt sind die (echten) Frauen im Carter-Brown-Universum hübsch, gefährlich, auf jeden Fall willig. Manchmal brauchen sie ein bisschen Haue, aber auch das scheint ihnen zu gefallen. Diese Neandertal-Figurenzeichnung in Verbindung mit Krawall-Krimi-Elementen lockte einst den typischen Leser. Freilich muss man dem Verfasser zugutehalten, dass er weder seine Story noch den Helden jemals ernstnimmt. Der strenge Leser des 21. Jahrhunderts sollte es ebenso halten.

Der Leser hat das Wort

Yates schrieb, was Geld brachte, ohne sich um Anspruch zu kümmern. Zunächst probierte er es mit Horror und Western, bevor er sich auf Thriller spezialisierte. Allein als „Carter Brown“ brachte er 150 Kriminalromane zu Papier. Yates‘ bekanntester Protagonist wurde ab 1955 Al Wheeler, ein Beamter der Mordkommission des fiktiven Country im US-Staat Kalifornien.

Die Romane von Carter Brown & Co. erreichten Millionenauflagen; weniger in den USA, sondern vor allem in Europa, wo seine leichten Thriller sehr gut ankamen. Bis in die 1980er Jahre fuhr in Deutschland u. a. der Ullstein-Verlag schöne Gewinne mit Brown-Büchern ein. Um ganz sicher zu gehen, wrangen sich Marketing-Strategen ‚witzig‘-frivole Titel wie „Falltür - bitte klopfen!“, „Sexpertin in Mord“ oder „Ackerbau und Unzucht“ aus dem Hirn. Allerdings waren die Originaltitel manchmal sogar noch seltsamer - oder dämlicher; so „Shamus, Your Slip Is Showing“ (1955).

In den späten 1960er Jahren wurden diese harmlosen Sex & Crime-Paperbacks von der Zeit eingeholt. Das Publikum verlangte nach härterem Stoff. Yates versuchte dem Rechnung zu tragen, indem er die bisher moderaten Sexszenen intensiver gestaltete; dies nicht zur ungeteilten Aufmerksamkeit seiner ‚alten‘ Fans. Heute ist Carter Brown vergessen.

Fazit

Dieses rasante Krimigarn aus der Feder eines Hochleistungs-Zeilenschinders bietet Sex & Crime pur ohne Anspruch, ist eingebettet in einen simplen, routiniert entwickelten Plot und unterhaltsam vor allem als nostalgisch-entlarvende Rückschau in eine Zeit, als die Männer noch hart und die Frauen willig waren.

Insel des Todes

, Ullstein

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