Gangsterswing in New York

  • Piper
  • Erschienen: April 2020
  • 1
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Michael Drewniok
90°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2022

Stadt unter Mafia-Regiment

Im November des Jahres 1947 reist der ehemalige Privatdetektiv Michael Talbot nach New York City. Sein Sohn Tom wurde dort als vierfacher Mörder festgenommen. Verurteilung und Hinrichtung stehen schon fest: Tom ist schwarz und soll als Sündenbock für eine missglückte Mordattacke des organisierten Verbrechens dienen. Talbot Senior glaubt nicht an die Schuld des Sohnes und bittet seine ehemalige Partnerin Ida Young um Hilfe. Sie lässt ihren Mentor und Freund nicht im Stich.

Parallel dazu beauftragt Frank Costello, aktuelles Oberhaupt der Mafia in New York, Gabriel Leveson, der den (Mafia-) Nachtclub „Copacabana“ leitet, mit der Suche nach zwei Millionen Dollar, die sich der unlängst von seinen Gangster-Genossen liquidierte Benjamin „Bugsy“ Siegel geliehen hatte. Der Auftrag kommt für Leveson denkbar ungelegen, denn er plant seinen Ausstieg aus dem organisierten Verbrechen. Das Kapital für den Neubeginn hat er unterschlagen. Da in wenigen Tagen eine Buchprüfung der Mafia ansteht, wollte er sich rechtzeitig absetzen. Nun muss er Costello zu Diensten sein, um ihn hinhalten zu können.

Lange ohne Wissen voneinander verfolgen Talbot und Young bzw. Leveson vage Spuren, was sie schließlich zusammenführt: Dem Massenmord in Uptown Manhattan, für den Tom Talbot büßen soll, konnte ohne Wissen der Polizei der Musiker und Drogenhändler Gene Cleveland entkommen. Er allein weiß, was in der Mordnacht geschah, nur er kennt die Hintergründe. Ihn müssen Leveson und die beiden Detektive finden. Die Zeit ist knapp, denn Toms Prozess naht, und Levesons Unterschlagung steht vor der Aufdeckung. Zu allem Überfluss stellt sich der wahre Killer als der beinahe mythische, äußerst brutale Serienmörder Faroh heraus, der u. a. Levesons Schwester auf dem Gewissen hat …

„Murphy’s Law“ gilt auch für Gangster

Was schiefgehen kann, wird schiefgehen: Diese simple Erkenntnis beeinflusst sämtliche Pläne, die gefasst und durchgeführt werden. Auf diesem Prinzip basieren unzählige Bücher und Filme; verständlicherweise, denn es ist viel spannender, wenn ein Vorhaben aus dem Ruder läuft, statt perfekt dem vorbedachten Ende zuzulaufen. Selbstverständlich gelingt es einem wahren Helden, das Scheitern durch Glück und gewitzte Improvisation zu verhindern.

Gelingt dies nicht, haben wir es wahrscheinlich mit einem „Noir“-Krimi zu tun. Hier ist das Scheitern Programm und Element einer Welt voller Schatten und Düsternis. „Gangsterswing in New York“ ist kein ‚reiner‘ Noir, greift aber viele Elemente dieses Subgenres auf. Dabei orientiert sich Autor Ray Celestin an zeitgenössischen Ungerechtigkeiten, die den gern allzu nostalgisch geratenden Rückblick auf die (Krimi-) Vergangenheit gründlich trüben.

Rassismus, Korruption, Machtmissbrauch und ein allgegenwärtiges, gut organisiertes Verbrechen prägt das von Celestin beschriebene New York des Jahres 1947. Nur zwei Jahre liegt das Ende des für die USA glanzvoll gewonnenen Krieges gegen die Nazis und die Japaner zurück. Ein neues Zeitalter sollte beginnen, Gleichheit und Wohlstand für alle wurden angekündigt. Daraus geworden ist nichts - und Celestin nennt die Gründe.

Mit leeren Händen in die neue Zeit

Schwarze, Frauen, ehemalige Soldaten: Ihnen wurden gesellschaftliche Akzeptanz und lukrative Arbeitsplätze versprochen. Nichts davon wurde umgesetzt. Während Millionen junger Männer im Krieg waren, teilten die Daheimgebliebenen Amerika neu auf. Für die alten = neuen Außenseiter blieb nichts übrig. Stattdessen brachte sich die Mafia als nun allgegenwärtige und unüberwindliche Macht ins Spiel. Da das offizielle Amerika ihre Existenz verneinte und stattdessen Kommunisten-Gespenster jagte, konnte sich das organisierte Verbrechen ausbreiten und vernetzen. In New York City hat die Mafia die Politik, die Gewerkschaften, die Justiz und die Polizei in der Tasche. Von jedem Geschäft schöpft sie ihren Anteil ab.

Die Mafia ist zum Konzern geworden - allerdings ein Konzern mit brutalen Regeln. Die Hierarchie ist straff, Verstöße werden auch mafiaintern streng geahndet. Mord gehört zum Geschäft. Wer sich nicht beugt, wird niedergemacht. Rücksichten werden dabei nicht genommen. Einmischung bedeutet den Tod.

Der unsere Geschichte einleitende Mehrfachmord ist ein in mehrfacher Hinsicht missglückter Korrektureingriff der Mafia. Normalerweise gibt es auch dafür ein Prozedere: Zeugen werden geschmiert, die Öffentlichkeit mit einer plausiblen Lügengeschichte ruhiggestellt. In diesem Fall wird außerdem ein Sündenbock präsentiert. Tom Talbot ist schwarz und dadurch quasi vogelfrei. Dass die kriminelle Routine nicht greift, wird zum Treibriemen der Ereignisse. Toms Vater war einst Detektiv, und er kann auf seine ehemalige Partnerin zählen. Sie sind hoffnungslos unterlegen, es gibt keine brauchbaren Spuren, und die Zeit drängt. Für Spannung ist also gesorgt, denn natürlich gelingt es dem Duo, gegen alle Widerstände das Geheimnis zu lüften.

Mafiosi wider Willen

Dies gelingt freilich nur, weil sich ein hochrangiger Mafioso schließlich auf die Seite der Detektive schlägt. Seit „Die Sopranos“ ‚wissen‘ wir, dass auch Verbrecher nur Menschen sind. Der Mafia-Alltag ist hart und sorgt für Überarbeitung, Ärger mit den Vorgesetzten und Schäden im Nervenkostüm. Celestin stellt uns mit Gabriel Leveson und Frank Costello gleich zwei einschlägig beschädigte Mafiosi vor. Der Widerspruch sorgt wie vorgesehen für zusätzliches Leserinteresse, denn normalerweise werden Gangster des organisierten Verbrechens als skrupellose, vertierte Lumpen gezeichnet. In „Gangsterswing“ erfüllt nur Faroh dieses Klischee.

Sowohl Leveson als auch Costello haben jedoch Gewissen. Sie sind eher Gefangene als Nutznießer ihres Standes. Man respektiert sie, weil man sie fürchtet. Wirklich akzeptiert werden sie nicht, was vor allem für Costello eine Quelle ständigen Kummers ist, der ihn sogar einen Psychiater zu Rate ziehen lässt.

Leveson ist eigentlich nur Mafioso geworden, um den Mörder seiner Schwester jagen zu können. Er macht seinen Job, ist aber nicht mit dem Herzen dabei und sowieso auf dem Absprung. Dass ihm noch ein Töchterlein am Schürzenzipfel hängt, soll die Spannung fördern: Sollte die Mafia-Führung von Levesons Verrat erfahren, wird nicht nur ihn die blutige Strafe treffen. Wie schon erwähnt wird die Vertuschung dieser Tat zum ständigen Horror-Trip, denn Murphy’s Law ist allgegenwärtig: Das Schicksal liebt ‚Zufälle‘, die in diesem Fall den Tod bedeuten und nur durch immer neue Lügen abgefedert werden können. Schließlich lässt Leveson ein paar Teller zu viel auf dünnen Stangen kreisen. Jeden Augenblick droht einer zu fallen und eine Kettenreaktion in Gang zu setzen, die das wahre Gesicht des organisierten Verbrechens zeigen wird.

Fazit

Auch im dritten Band seiner geplanten Tetralogie verbindet Verfasser Celestin meisterhaft Realhistorie und Fiktion. Echte Figuren der Zeitgeschichte agieren mit interessant erfundenen Charakteren. Die Story ist trotz des beträchtlichen Buchumfangs straff und spannend, Schmalz und Klischees werden weitgehend vermieden: eine hochgradig lohnende Lektüre!

Gangsterswing in New York

Ray Celestin, Piper

Gangsterswing in New York

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