Tödliches Muster

  • Kampa
  • Erschienen: März 2022
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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2022

Genetisch, digitale, tödliche Spuren

Jack McEvoy, einst erfolgreicher Journalist und Autor eines „True-Crime“-Bestsellers, hat schwere Zeiten hinter sich. Dem Massensterben gedruckter Zeitungen und Zeitschriften ist auch er nicht entkommen. McEvoy kann froh sein, bei einem Online-Portal untergekommen zu sein, das über Missstände in der Industrie berichtet: Verstöße gegen Gesetze, Umweltsünden, minderwertige Produkte.

Der deutlich aufregenderen Vergangenheit trauert McEvoy nach. Deshalb kann er nicht widerstehen, erneut in einer Kriminalsache zu ermitteln, in die er allerdings selbst verwickelt ist: Auf brutale Weise wurde Tina Portrero umgebracht. Mit ihr hatte McEvoy vor Jahren eine kurze Affäre, was im Verlauf der polizeilichen Untersuchung entdeckt und untersucht wird; dies auf eine Weise, die McEvoy aufbegehren lässt, denn die Polizei behandelt ihn wie einen Verdächtigen.

Also beginnt der Reporter selbst zu ermitteln, was die Behörden erst recht gegen ihn aufbringt. Auch sein Arbeitgeber ist nicht begeistert; das Portal enthüllt keine Kriminal-Rätsel. McEvoy muss vorsichtig sein, denn im Hintergrund lauern noch mächtigere Feinde. Ein aufsteigendes Unternehmen, das kostengünstige DNA-Analysen anbietet, hat sich unlauterer Methoden bedient, um an wertvolle Daten zu kommen. Noch schlimmer: Der „Shrike“, ein Serienkiller, der seinen Opfern mit bloßen Händen das Genick bricht, nutzt diese Daten, um seine Opfer auszuspionieren - eine Tatsache, die besagtes Unternehmen um jeden Preis geheim halten will!

Bald stellt McEvoy fest, dass sein Leben und sein Ruf digital zerstört werden sollen. Er hält dem Druck stand, zumal sich die ehemalige FBI-Agentin Rachel Walling auf seine Seite schlägt. Dies bleibt dem „Shrike“ nicht verborgen, der den Entschluss fasst sich der lästigen Verfolger zu entledigen …

(Unheimlich) schöne neue Welt

Die „digitale Revolution“ kam (zu) rasch über eine Welt, die sie miteinander verbinden sollte. Die Konsequenzen dieser Entwicklung und vor allem die Vorteile, die sie dem Verbrechen schuf, wurden viel zu lange nicht zur Kenntnis genommen. Als Folge hinken diejenigen, die den ‚digitalen‘ Kriminellen das Handwerk legen sollen, diesen bis heute hoffnungslos hinterher.

Die Möglichkeiten der digitalen Technik sind schier grenzenlos - im Guten wie im Bösen. Seit jeher hat sich das Verbrechen den Fortschritt zunutze gemacht. Was dem Normalnutzer an seinem heimischen PC oder Smartphone wie Science-Fiction (oder Magie) vorkommt, wird deshalb von findigen Lumpen längst einträglich missbraucht.

Mit Jack McEvoy, hier in seinem dritten Solo-Auftritt (nach 1996 und 2009), schuf Autor Michael Connelly eine Figur, die quasi durch diesen Prozess und seinen Folgen führt. McEvoy ist ein Gänger zwischen den Welten. Seinen Job gelernt hat er in noch analoger Zeit. Die „Revolution“ hat ihn erst arbeitslos gemacht und dann in einen ‚schreibenden Söldner‘ verwandelt, der sich in jenem Prekariat wiederfand, das zur unfreiwilligen Heimat intelligenter, gut ausgebildeter Menschen wurde, für deren Dienste niemand mehr zahlen will: Informationen sind schließlich ‚gratis‘, so das Internet-Credo. Die Qualität ist dagegen sekundär. Gut layoutet lässt sich auch inhaltlich wertloser Dumm-Schwurbel problemlos vermarkten.

Auch Gene sind (profitable) Informationen

Connellys Blick auf die Informationskultur der Gegenwart ist düster. Er war lange genug selbst Journalist, weshalb der von ihm geschilderte Umbruch sehr stimmig wirkt. Der Reporter - einst Held und Vertreter einer Wahrheit, die an die Öffentlichkeit gebracht werden muss - springt heute durch den Reifen dessen, der ihm einen Job gibt. Nicht die Nachricht, sondern ihr Geldwert steht im Vordergrund. Die Aufdeckung eines Skandals ist nach dieser Logik längst kein Motiv für eine Veröffentlichung, zumal jene, die ihn verursachen, über die finanziellen Mittel verfügen, Kritiker über teure und willfährige Anwälte einzuschüchtern und mundtot zu machen.

Dies ist der Nebenschauplatz, auf dem sich Jack McEvoy behaupten muss. Eigentlich ist sein Kampf um die Selbstachtung als Journalist und die endlosen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, ebenso interessant wie der eigentliche Kriminalfall. Allerdings findet Connelly einen interessanten Dreh für die grundsätzlich viel zu oft bemühte Mär vom schlauen Serienkiller, der quasi durch das Schlüsselloch kommt und geht sowie auf unterhaltsam-bizarre Weise mordet: Der „Shrike“ hat zwei begabte Hacker im Schwitzkasten, die ihn mit Infos über potenzielle Mordopfer versorgen - und mit dem Wissen um die tödlichen Folgen (zunächst) leben können.

McEvoy gilt in diesem Umfeld nicht als Repräsentant der Gerechtigkeit, sondern als lästiger Störfaktor, der beseitigt werden muss. Selbst die in ihren Missständen gefangene Polizei lehnt seine Unterstützung ab, die eigene Versäumnisse offenzulegen droht. Hinzu kommt ein Verbrechen, das nur wenige Fachleute überhaupt als solches erkennen. Connelly weist auf eine reale Gesetzeslücke hin, die auch obskuren Personen und Gruppen den Handel mit Gen-Daten ermöglicht: Die überarbeiteten, schlecht ausgebildeten Behörden sind mit dieser neuen Art von Verbrechen schlicht überfordert.

Kante zeigen und flexibel bleiben

Jack McEvoy ist ein typischer Connelly-‚Held‘. Wie auch Ermittler Harry Bosch oder Anwalt Michael Haller ist er ein ‚Ritter‘ auf einer Mission, aber als solcher stets in der Gefahr ‚die‘ Grenze zu überschreiten. Immer kommt der Punkt, an dem McEvoy sich der Methoden seiner kriminellen Opponenten bedienen müsste, um der trägen Gerechtigkeit auf die Sprünge zu helfen. Die Verlockung eröffnet den Tanz auf einer schmalen, scharfen Klingenschneide, denn Connelly beschreibt McEvoy als durchaus ehrgeizigen, skrupellosen Mann, der für eine Story nicht nur Regeln biegt, sondern auch Freundschaften missbraucht.

Sympathisch ist er also keineswegs, sondern ein Mensch mit Schwächen, was ihn realistisch wirken lässt. Zwar bewegt er sich unter Kollegen und Freunden, die ähnlich denken und handeln, aber McEvoy geht einen Schritt weiter, was ihn dieses Mal u. a. die zeitweilig neu aufgeflammte Liebe zur Ex-Agentin Walling kostet.

Für Spannung sorgen nicht nur die genreüblichen Verfolgungsjagden, Mörderattacken und Intrigen, sondern auch eine Spurensuche auf aktuellem Niveau. Fachleute werden vermutlich grinsen, doch der ‚normale‘ Leser verfolgt fasziniert, wie man online Quellen anzapft. Verwaltungsabläufe manipuliert, ‚Beweise‘ erschafft oder verschwinden lässt. Gleichzeitig wird deutlich, wie schwer es (zumindest in der Kriminalliteratur) geworden ist, als Strolch (oder Ermittler in eigener Sache) unbemerkt zu bleiben. Irgendwo ist stets eine Kamera aktiv oder zücken Zeugen ihre Handys. Dass diese ‚eindeutigen‘ Beweise anschließend manipuliert und gefälscht werden können, nutzt Connelly als sprudelnden Quelle für Überraschungen, die sich nahtlos in diesen ungemein routiniert geschriebenen, durchweg unterhaltsamen Roman einfügen.

Fazit

Der dritte Roman um den Journalisten Jack McEvoy besticht durch einen Plot, der geschickt mit dem Alltag einer digitalisierten Gesellschaft verwoben wird, die nicht wirklich begreift, wie sich die neue Technik auf ihre Leben auswirkt, was Autor Michael Connelly Stoff für einen auf allen Ebenen rasanten Kriminalroman bietet.

Tödliches Muster

Michael Connelly, Kampa

Tödliches Muster

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