72 Stunden - Fürchte die Stille

  • Lübbe
  • Erschienen: August 2022
  • 1

- Taschenbuch

- 365 Seiten

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Thomas Gisbertz
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonSep 2022

Ein Thriller zwischen Schein und Sein

Seit ihr kleiner Sohn Elias spurlos aus einem Einkaufszentrum verschwand, ist Moderatorin Bea Winterleitner nicht mehr dieselbe. Sie verliert durch dieses einschneidende Ereignis nicht nur ihren Sohn, sondern bald auch ihren Mann. Beas Kommunikationstalent ist eigentlich ihre große Stärke, mit dem sie alle Probleme lösen kann. Doch hier helfen keine Worte. Mehr noch: Worte sind für die Moderatorin auf einmal schrecklich kompliziert geworden. Nach einem peinlichen Aussetzer während einer Live-Sendung beschließt sie, ein dreitägiges Schweigeseminar in einem abgelegenen Schloss zu besuchen. Vielleicht kann Stille ihr helfen, die Trauer zu verarbeiten? 72 Stunden schweigen, fasten und meditieren.

Aber die Methoden der Seminarleiterin Dr. Katalina Klaffer sind mehr als seltsam. Dann macht Bea am ersten Abend des Retreat-Seminars eine mehr als seltsame Entdeckung: In ihrem Zimmer findet sie einen Schuh ihres Sohnes, den er am Tag seines Verschwindens trug. Wie kommt der Schuh hierher? Weiß möglicherweise einer der Anwesenden etwas über das Verschwinden ihres Sohnes? Noch bevor Bea mehr herausfinden kann, wird eine Teilnehmerin ermordet und der wahre Alptraum beginnt.

Österreichischer Autor und Journalist

Hinter dem Pseudonym Ben Escher verbirgt sich der österreichische Autor und ehemalige Profisportler Reinhard Kleindl. Der preisgekrönte Thrillerautor arbeitete unter anderem als Journalist und Werbetexter, bevor er begann, seine Leidenschaft für düstere, psychologische Geschichten im Schreiben von Thrillern auszuleben.

Der Autor gehört des Weiteren zu den aktivsten Wissenschaftserklärern Österreichs und schreibt derzeit freiberuflich für den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Dabei setzt er sich mit interessanten wissenschaftlichen Themen und Positionen auseinander. Ein Blick auf seine Website lohnt sich.

Nach Romanveröffentlichungen unter Pseudonym erschien 2014 Kleindls erster Kriminalroman „Gezeichnet“ um Chefinspektor Franz Baumgartner beim Haymon Verlag, zwei weitere Bände folgten. 2018 veröffentlichte Kleindl bei Goldmann seinen Thriller „Stein“. Im November 2019 erschien „Die Klamm“ und im August 2021 „Die Gottesmaschine“ bei Bastei Lübbe, ein mehr als lesenswerter Thriller über Wissenschaft und Glauben. Den Fortsetzungsroman um die Physikerin Amirpour und Bischof Lombardi wird es ab Januar 2023 zu lesen geben.

Verstörendes Motiv

Reinhard Kleindl spielt in seinem neuen Roman gekonnt mit Schein und Sein. Ebenso wie seine Protagonistin Bea stellt er den Leser vor so manches Rätsel. Die Moderatorin erkennt schon bald, dass alles, was in diesem abgelegenen Schloss geschieht, einem Plan folgt. Einen Plan, den sie nicht durchschaut. Gleichzeitig aber ist es ein Rätsel, das sie lösen muss. Und so sucht sie verzweifelt nach dem Unbekannten, der sie in Angst und Schrecken versetzt. Zwar hat Bea die Möglichkeit, das Seminar zu verlassen, aber der Drang, endlich zu erfahren, was vor über einem Jahr mit ihrem Sohn geschah, ist stärker. Doch als sie - und damit auch der Leser - am Ende erfährt, wer hinter allem steckt und welche Gründe es für Elias Verschwinden gab, ist die Erkenntnis grausamer, als sie es sich je hätte vorstellen können.

Zweite Erzählerfigur

Die Spannung des Romans wird nochmals gesteigert, als sich nach etwa einem Drittel des Romans eine zweite Erzählerfigur meldet. Wer diese Figur ist, die in einer Therapiesitzung einem Psychologen ihre Einschätzung der Geschehnisse auf dem Schloss rückblickend schildert, soll hier nicht verraten werden. Der besondere Clou besteht darin, dass man lange Zeit nicht weiß, wer hier überhaupt die Wahrheit sagt. Dass man es beim Täter mit einem Verrückten, vollkommen Wahnsinnigen zu tun hat, wird mehr und mehr offensichtlich. Leider ist die Zahl derer, die als Täter in Frage kommen allerdings groß, tummeln sich auf dem Schloss nicht nur die Seminarteilnehmer, sondern auch die Leiterin und ein buddhistischer Mönchsorden.  Auch wenn man zum Ende hin ahnt, um wen es sich tatsächlich handelt, ist das Motiv vollkommen überraschend.

Interessante Nebenfigur

Die Geschichte ist wirklich spannend und überzeugt mit einigen Twists. Auch die Auflösung ist stimmig, allerdings erscheint der Grund für das Verhalten des Täters und dessen Akribie bei der Planung für den Leser vielleicht doch etwas zu viel des Guten. Übrigens: Furcht vor der Stille scheinen fast alle zu haben, denn wirklich geschwiegen wird beim Seminar kaum. Das scheint aber niemanden zu stören. Leider bleiben die Figuren bis auf Bea etwas blass. Ach ja, ein Ermittler taucht mit Kommissar Beckermann auch kurz, aber sehr unterhaltsam auf. Eine Figur, der Ben Escher auf Grund ihrer gelungenen Gestaltung gerne einen ganzen Roman widmen kann.

Fazit

Ein wirklich düsterer und spannender Thriller, der gekonnt mit den Ängsten der Protagonisten spielt. Zwar schwächelt der Roman am Ende etwas, dennoch gelingt insgesamt das Spiel zwischen Schein und Sein, Realität und Wahn.

72 Stunden - Fürchte die Stille

Ben Escher, Lübbe

72 Stunden - Fürchte die Stille

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