Auf Gedeih und Verderb

  • Diana
  • Erschienen: Januar 2001
  • 3
  • London: Hodder & Stoughton, 2000, Titel: 'The Long Close Call ', Originalsprache
  • München; Zürich: Diana, 2001, Seiten: 316, Übersetzt: Friedrich Mader
  • München; Zürich: Diana, 2002, Seiten: 318
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Jörg Kijanski
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2003

Die Vergangenheit lässt nicht los

Robbie McLaughlan erhält von seinem Informanten Gerald Ash einen Hinweis auf einen bevorstehenden Banküberfall. Pikant dabei ist, dass einer der Täter Stuart Swift sein soll, drogenabhängiger Sohn des allmächtigen Unterweltbosses Calvin Swift. Kurz nachdem der Geldtransporter vor der Bank hält, scheint die Situation schon fast bereinigt, als plötzlich Stuart und seine beiden Komplizen auftauchen. Ein kleiner Junge gerät unverhofft in die Szenerie und wird von Stuart als Geisel genommen, der nach einer kurzen Schießerei schwer verletzt ist. Als Robbies Chef Orme versucht, Stuart zur Aufgabe zu bewegen, sieht dieser für einen Moment von dem kleinen Jungen ab, um mit seinem Gewehr auf Orme anzulegen. Robbie zögert keine Sekunde und erschießt Stuart.

Calvin Swifts Anwalt Bryce unterhält seit einiger Zeit intimen Kontakt zu einer Mitarbeiterin von New Scotland Yard, die ihm als Gegenleistung geheime Unterlagen zukommen lässt. Auf diese Weise erfährt Calvin Swift die Identität des Spitzels und des Todesschützen seines Sohnes. Am nächsten Tag baumelt Geralds Ashs Leichnam an einer Autobahnbrücke; aufgehangen an einem Fleischerhaken, denn von seinem Kopf fehlt zunächst jede Spur.

Folglich sieht Robbie das Leben seiner eigenen Familie bedroht und zeigt zunehmend Anzeichen von Verfolgungswahn. Dies ist nur allzu verständlich, denn Robbie weis besser als jeder Andere, wie die Menschen aus dem Gangstermilieu ticken. Schließlich war sein Vater George McLaughlan vor dreißig Jahren selbst eine Verbrecherlegende in Glasgow. Doch nach einem missglückten Überfall, bei dem sein Partner Crackerjack starb, tauchte George unter und lies die Familie im Stich. Kurz darauf starb Robbies älterer Bruder Tam und nur Robbie weis, wie es dazu kam. Ein Ereignis unter dem er heute noch leidet.

Als die (aktuelle) Situation eskaliert und Robbies kleiner Sohn verschwindet, muss Robbie notgedrungen ausgerechnet den Menschen um Hilfe bitten, der vor drei Jahrzehnten seine Familie zerstörte - seinen Vater...

Steinchen für Steinchen wird das Mosaik zusammengetragen

1968: Robbie McLaughlin ist ein Underdog wie er im Buche steht. Sein Vater ist in Glasgow eine Legende unter den schweren Jungs, sein Onkel Jimmy das Boxidol schlechthin. Doch nachdem Jimmy die falschen Leute provoziert, verliert er das wichtigste in seinem Leben, seine Hände. Seitdem ist er meist ungewaschen, alkoholisiert und bedroht den damals neunjährigen Robbie bei jeder Gelegenheit mit seinen verstümmelten Armen. Robbies Vater George ist nicht viel besser. Nach einem missglückten Überfall auf ein Wettbüro, verliert er seinen Partner, verlässt seine Familie und taucht notgedrungen unter. Robbie wirkt traumatisiert, nicht zuletzt auch wegen des Schicksals seines Bruders Tam. Glücklicherweise kümmert sich der Polizist Mike Jarvis um Robbie und seine Mutter Elsa. Doch Elsa wird sich nie innerlich von George trennen und so kommt es immer wieder zum Streit zwischen Elsa und Jarvis.

Dreißig Jahre später: Noch immer will der inzwischen pensionierte Jarvis wissen, was damals mit Tam passierte, doch Robbie äußerte sich bis heute nie zu dem Vorfall. Indes hat Robbie selbst ganz andere Probleme. Nach dem Todesschuss auf Stuart sieht er sich und seine Familie der Rache Calvin Swifts ausgesetzt. Da aber weder seine Frau Claire noch sein Vorgesetzter Orme seine wahre Familiengeschichte kennen, ziehen sie aus Robbies äußerst befremdlichen Verhalten falsche Schlüsse, zumal dieses immer mehr psychopathische Züge anzunehmen scheint.

Der Sohn eines Gangsterbosses bleibt dessen Sohn, selbst wenn er für die Polizei arbeitet

Die Vergangenheit lässt einen nicht los und so verfolgen die Leserinnen und Leser dieses vortrefflichen Romans die Geschichte eines Mannes, der es von Kindheit an nicht leicht hatte. Sohn eines Gangsters, Neffe eines Boxers, der später aufgrund seiner körperlichen Versehrtheit immer aggressiver wurde und dann war da ja auch noch die Geschichte seines verschwundenen Bruders Tam, von der nur Robbie weis, wie dramatisch sie endete. Dazu kam die Tragödie um Elsa, seiner Mutter. Sie fühlte sich immer zu ihrem Mann hingezogen, obwohl dieser verschwand und sich nicht um seine Familie zu kümmern schien. Ganz anders der Polizist Jarvis, sein Ersatzvater, wenngleich dieser in erster Linie hinter Elsa her war.

 

"George macht mir keine Angst."
"Warum stehen Sie dann bei mir auf der Schwelle und gucken aus der Wäsche, als könnten Sie eine Bluttransfusion gebrauchen?"
"Ich muss darauf gefasst sein, das ist alles."
"Sie sind bescheuert. Nichts - und damit meine ich nichts - kann Ihnen helfen, wenn George das herausfindet. Und er wird es herausfinden."
"Aber Sie haben ihm nichts gesagt."
"Kein Wort. Ich mache mich doch nicht zum Komplizen in einem Mordfall."

 

Immer wieder wechselt das Szenario. Mal sieht man sich zurückversetzt in das Jahr 1968 und fragt sich, was damals geschah. Was wurde aus Tam und warum schweigt Robbie bis heute? Dann folgt ein Schnitt in die Gegenwart, wo im langsamen Erzählstil die polizeiliche Ermittlungsarbeit geschildert wird. Zunehmend scheint Robbie auszurasten, doch zeigt sich bald, dass er, der Sohn des früheren Gangsterbosses, als Einziger die drohende Gefahr erkennt. Die Entführung seines Sohnes Ocky (sie wird - warum auch immer - in dem "Waschzettel" vor Beginn des Buches erwähnt) passiert erst rund 50 Seiten vor dem Ende, doch auch so passiert bis zum Finale einiges. Die Familienchronik der McLaughlans wird nach und nach seziert, da die Szenarien zwischen dem aktuellen Fall und den Erinnerungen Jarvis' ständig wechseln. Mal steht Robbie, mal Jarvis, mal Orme im Mittelpunkt, wobei die Leserinnen und Leser keine Schwierigkeiten haben, der atmosphärisch dichten Handlung (fünf Euro ins Phrasenschwein) zu folgen. So zeigt sich einmal mehr, dass man sich nicht mit Kriminellen einlassen sollte, denn sooft "Opfer" der Swift-Familie verschwanden, gefunden wurden sie nie.

 

Auf Gedeih und Verderb ist ein etwas anderer Mafia-Roman, aber ein sehr empfehlenswerter Psychothriller für alle Fans englischer Thrillerkost (auch wenn es befremdlicherweise nie regnet), in dem die Abgründe eines zerrütteten Familienlebens sehr transparent dargestellt werden. Verschiedene Erzählebenen sorgen für konstant hohe Spannung, obwohl die Story selbst eher ruhig erzählt wird. Doch immer dann, wenn man meint, jetzt dürfte aber mal wieder etwas passieren, kommt ein weiterer Aha-Effekt. Hohe Psychothriller-Kunst; der Rezensent zieht seinen Hut.

Auf Gedeih und Verderb

Julia Wallis Martin, Diana

Auf Gedeih und Verderb

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