Der Mann in der Flasche

  • Wilhelm Goldmann Verlag
  • Erschienen: Januar 1963
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Originalausgabe erschienen 1963 unter dem Titel „The Man in the Bottle“

- London : John Long 1963. 183 S.

- New York : Doubleday 1963 [unter dem Titel „The Killing Game“]. 178 S.

- München : Wilhelm Goldmann Verlag 1964. Übersetzt von Heinz Otto. [keine ISBN]. 187 S.

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Michael Drewniok
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2021

Auf Nummer Sicher gehen: Attentat per Dynamit

Den September halten sich schottische Angler gern frei, denn durch die Flüsse des Hochlandes schwimmen nun gewichtige Lachse. Freilich helfen vom Sportsgeist gemiedene Zeitgenossen ihrem Glück nicht selten mit ein wenig Dynamit nach; die betäubten Fische müssen sie nur noch aus dem Wasser klauben. So hat es offenbar im Glen Lyon ein Dummkopf versucht und sich dabei selbst in Stücke gesprengt, was Inspektor Roy die Identifizierung naturgemäß erschwert. Auch Kollege Colin Thane, Leiter des Polizeireviers Millside, und Sergeant Phil Moss können zunächst nur raten, ob hier George Shaw aus Glasgow sein Ende fand, der aus seinem Camping-Kurzurlaub nicht zurückkehrte.

Als sich dies bestätigt - und weil in einem Bruststück der Leiche eine Pistolenkugel steckt-, wird aus der Vermisstensuche ein Mordfall. Dieser wird Thane übertragen, der zu seinem Missfallen jedoch mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten muss: Shaw stand im Kontakt mit vier litauischen Fischern, die vor einigen Wochen von einem russischen Trawler flüchteten, der vor der schottischen Küste seine Netze auswarf. Anführer des Quartetts ist der ehemalige Rechtsanwalt Martin Kelch, dem die sowjetischen Besatzer seines Heimatlandes übel mitspielten; seine beiden Brüder wurden verschleppt und getötet, er selbst um Stellung und Ansehen gebracht.

Dafür verantwortlich ist General Schaschkow, ein ehrgeiziger Apparatschik, der inzwischen politisch aufgestiegen ist und derzeit eine Goodwill-Tour durch Schottland unternimmt. Diese Gelegenheit will Kelch nutzen und sich rächen. Dabei soll offenbar Dynamit zum Einsatz kommen. Das Attentat muss verhindert werden, denn Moskau droht mit Konsequenzen, sollte Schaschkow etwas zustoßen. Doch Kelch ist schlau, und er hat Unterstützung gefunden. Thane und Moss ermitteln im Wettlauf mit der Zeit, wobei die Lunte dieses Mal nicht nur sprichwörtlich brennt …

Politik und Rache in einer überschaubaren Welt

Die Guten: Das waren die Vertreter des „freien Westens“, versammelt im Windschatten der Supermacht USA, gerüstet mit Waffen sämtlicher Vernichtungsklassen und unterstützt durch ein Heer eifrig gen Osten horchender Agenten. Ihnen gegenüber lauerten die Bösen: die blutrote Sowjetunion und ihre Schergen, die alles unternahmen, um die Restwelt unter ihr Joch zu zwingen, und dabei auf Gesetz & Moral lautstark pfiffen. Dazwischen erhob sich ein „Eiserner Vorhang“, der beide Seiten zumindest in Europa auch optisch klar voneinander schied.

So übersichtlich war der politische Globus bis 1991, als Glasnost und Perestroika dem (vorerst) ein Ende bereiteten und die Welt sich in ein instabiles Gemenge schwieriger zu identifizierender Schurkenstaaten verwandelte. Für Thriller-Autoren brachen neue und schwere Zeiten an; dies galt jedenfalls für die Routiniers des Genres, die sich bisher darauf beschränken konnten, mit wenigen Reizworten ein Milieu der Bedrohung zu skizzieren, das von ihrem Publikum sofort begriffen wurde.

Auch Der Mann in der Flasche profitiert von dieser Ausgangssituation. In den 1960er Jahren wusste der Leser Begriffe wie „russischer Fischtrawler“ oder „politische Säuberung“ sofort zu entschlüsseln: Die angeblichen Fischer waren Spione, die vor den Küsten des Klassenfeindes dessen Verteidigung ausforschten, und die angebliche ‚Säuberung‘ bestand in der scheinlegalen, tatsächlich brutalen Ausschaltung politischer Gegner. Kein Wunder, dass die Besichtigung einer Fabrik für elektronische Instrumente durch General Schaschkow von den britischen Gastgebern so vorbereitet wird: „Man hat die ganze Woche fieberhaft gearbeitet, alles beiseite zu räumen, was er nicht sehen soll.“ [S. 59]

Russen oder Engländer: Schotten sind misstrauisch

Solche Thriller-Elemente verknüpft Bill Knox mit dem klassischen Kriminalroman. Das funktioniert vor allem heute besser als erwartet, da nicht nur die Sowjetunion, sondern auch jener kleine Kosmos versunken ist, der dem englischen „Whodunit“ vorbehalten bleibt. In abgelegenen Winkeln der schottischen Highlands lässt Knox ihn behutsam auf- oder überleben. Hier gibt es noch Winkel, in denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, was dem Verfasser Raum für einen erfreulich unaufdringlichen Humor lässt; so empfängt der Diensthabende einer Hochland-Polizeistation, die gleichzeitig Wohnung ist, die Vorgesetzten aus der Stadt zwar in voller Uniform, trägt dazu aber Filzpantoffeln und muss unauffällig ein Gestell mit den trocknenden Windeln seines Nachwuchses aus dem Verhörbereich schaffen.

Oft zur Sprache kommt der Gegensatz Stadtmensch – Landmensch, ein altbekanntes, dankbares Thema, aus dem Knox gern Funken schlägt. Schweigen gilt dem knorrigen Schotten keineswegs als Behinderung einer Ermittlung; es müssen ihm halt die richtigen Fragen gestellt werden. Die daraus resultierende Atmosphäre ist lebendig und ein wenig überzeichnet, wobei Knox auf Komödienstadl-Klischees verzichten kann.

Analoge Polizeiarbeit ist harte Arbeit

Die Umtriebe litauischer Flüchtlinge, die in der Wildnis untertauchen, erdet Knox mit der Erinnerung an einen zum Zeitpunkt der Handlung kaum zwei Jahrzehnte vergangenen Kriegsalltag: Martin Becher war bereits 1945 ein Flüchtling und als solcher in einem schottischen Lager untergekommen. Hieraus resultieren seine Ortskenntnisse sowie Freundschaften, die ihm in der Gegenwart helfen, nicht nur der Polizei zu entwischen, sondern auch seinen Rachefeldzug voranzutreiben. Die ihren englischen Nachbarn im Süden eher abgeneigten Schotten identifizieren sich zudem leichter mit vier Litauern, die sich auch nach gelungener Flucht lieber im Verborgenen halten, als offiziell um Asyl zu bitten.

Solches Untertauchen, heutzutage selbst in den Highlands schwierig, ist in den 1960er Jahren möglich, weil eine Fahndung in dieser Umgebung auf eine Fährtensuche hinausläuft: Hightech erschöpft sich in Funktelefonen, die in einigen Polizeiautos eingebaut sind; Fingerabdrücke werden nicht vor Ort und online abgeglichen, sondern müssen abgenommen und ins Archiv geschickt werden, wo in Handarbeit und mit Augenmaß Karteikarten zu überprüfen sind. Die zeitgenössischen Methoden hat Knox gut recherchiert und lässt sie dort einfließen, wo sie die Handlung voranbringen: Seitenlanges, selbstgefälliges Schwelgen in nur interessanten Details ist seine Sache nicht. Das durchaus komplexe Geschehen findet nach 190 rasanten Seiten seinen Abschluss.

Zusätzlich kommen die Füße ausgiebig zum Einsatz: Colin Thane und Phil Moss sind unbedingte Anhänger einer Polizeiarbeit, die primär am Ort des jeweiligen Geschehens erledigt wird, selbst wenn sie dies an recht pittoreske Stätten führt. Auch in dieser Beziehung stützt Knox sich gern auf reale Orte und deren Kenntnis. Einem besonders malerischen, aber ungemütlichen Ort verdankt dieser Roman sogar seinen ungewöhnlichen Titel, der gleich in doppelter Hinsicht einen Sinn ergibt: als Ortsbezeichnung und als Stätte eines klug vorbereiteten Geistesblitzes, der dem scheinbar bereits geklärten Fall einen unerwarteten und turbulenten Finaltwist liefert.

Routine als positive Eigenschaft

Mit dem sechsten Band seiner Serie um das Polizisten-Duo Colin Thane und Phil Moss hat sich Bill Knox sichtlich ‚eingeschrieben‘. Der sauber geplotteten und überzeugend umgesetzten Handlung entspricht eine klare Figurenzeichnung. Knox übertreibt es ein wenig mit dem Diensteifer seiner beiden Helden, was jedoch dem zeitgenössischen Umfeld entspricht; das Zeitalter der ausgebrannten, zynischen, korrupten Staatsdiener brach in der Unterhaltungsliteratur erst einige Jahre später an.

Die einfallsreiche Interpretation von Dienstregeln ist in Ansätzen trotzdem möglich, zumal auch Polizisten Menschen sind, deren Schwächen Knox nicht in den Vordergrund stellt, ohne sie andererseits zu verschweigen. Zwar beinahe freundschaftlich, aber keineswegs problemfrei ist beispielsweise das Verhältnis zwischen Thane und „Buddha“ Ilford, seinem anspruchsvollen Vorgesetzten. Noch deutlicher ist die Ablehnung des allzu sehr auf seine Privilegien pochenden Colonel Donnan, der als Mitarbeiter des Innenministeriums nicht nur ein Außenstehender, sondern auch (Nord-)Ire ist: Gewisse historisch bedingte Vorurteile haben sich erhalten und werden vom Verfasser aufgegriffen.

Letztlich rauft man sich im Angesicht der Krise jedoch zusammen, denn Knox beschreibt die Arbeit von Profis; Fachkenntnis und Hartnäckigkeit bilden die Schlüssel zum Erfolg, das Glück macht sich rar und bleibt dem Tüchtigen vorbehalten. Der darin wurzelnde Realitätssinn korrespondiert reizvoll mit jenen Elementen, die für die notwendige Spannung und ein wenig Humor sorgen. Noch sind die Romane von Bill Knox keine ‚echten‘ Krimi-Klassiker, aber sie sind eindeutig auf dem Weg dorthin.

Fazit

Der Unfall eines Wilderers entpuppt sich als Schwachstelle eines genial eingefädelten Mordplans, mit dem sich ein Ostblock-Flüchtling an seinem Peiniger rächen will; schottische Polizisten bemühen sich, dies - und einen diplomatischen Zwischenfall - zu verhindern: Im Milieu des zeitgenössischen Kalten Krieges, aber auch im idyllischen schottischen Hochland spielt dieser sechste Band der Colin-Thane/Phil-Moss-Serie; gelungene Mischung aus Politthriller und Krimi.

Der Mann in der Flasche

Bill Knox, Wilhelm Goldmann Verlag

Der Mann in der Flasche

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