Zwei blutige Buchstaben

  • Scherz
  • Erschienen: Januar 1957
  • 0

- OT: The Scarlet Letters

- Übersetzer: unbekannt

- 191 Seiten

- [Die Schwarzen Kriminalromane - 92]

Zwei blutige Buchstaben
Zwei blutige Buchstaben
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Michael Drewniok
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonFeb 2021

Zeitbombe Ehegatte im Nachbarbett

Ellery Queen, bekannter Verfasser viel gelesener Kriminalromane und von der Verbrecherwelt gefürchteter Hobby-Detektiv, ist wenig begeistert, als ihn seine Privatsekretärin und Freundin Nikki Porter bittet, Martha Gordon beizustehen. Die millionenschwere Tochter eines längst verblichenen Schlachthof-Magnaten, die sich nun als Theater-Produzentin die Zeit vertreibt, hat vor einigen Jahren den mäßig erfolgreichen Schriftsteller Dirk Lawrence geheiratet. Schon damals sorgte dies für Verwunderung, ist ihr Gatte doch ein verschlossener, depressiver, sogar bedrohlich wirkender Zeitgenosse.

Inzwischen hatte Martha Gelegenheit genug, ihre Gattenwahl zu bereuen. Dirk trinkt, und regelmäßig überkommen ihn Anfälle ungezügelter Aggression. Dann wirft er Martha vor, sie zu betrügen, beschimpft und schlägt sie. Beruhigt er sich dann, weiß er nicht, was in ihn fuhr. Auch Ellery hat von Dirk bereits einen Kinnhaken einstecken müssen. Daher quartiert er Nikki bei den Lawrences ein, die ein Auge auf den labilen Hausherrn halten soll.

Martha erhält anonyme Briefe mit scharlachrot geschriebener Adresse. Den Absender bringen Nikki und Ellery trotzdem in Erfahrung: Es ist der alternde Schauspieler und Wüstling Van Harrison. Auch das ‚Codebuch‘ mit den Orten zukünftiger Treffen kann Ellery ausfindig machen. Nunmehr nimmt er als unsichtbarer Dritter an den Zusammenkünften teil. Die Theorie von der heimlichen Liebesaffäre löst sich jedoch in Luft auf. Was Harrison mit Martha verbindet, kann Ellery erst aufdecken, als eine perfide, geschickt eingefädelte Intrige fast schon ihren tödlichen Lauf genommen hat …

Vom Krimi-Rätsel zu den Untiefen der Seele

Die Geschichte von Ellery Queen ist quasi eine Chronik des Rätselkrimis, der seinen Reiz daraus bezieht, ein möglichst kniffliges, gern sogar bizarres Mordrätsel in den (gern scheinbar hermetisch von innen verschlossenen) Raum zu verlegen, das der Detektiv dann gemeinsam mit dem Leser löst. Der Täter ist stets jemand, den jeder kennt und mit dem trotzdem niemand gerechnet hatte (wenn der Verfasser sein Handwerk versteht). Bis zum Zweiten Weltkrieg waren diese Krimis sehr beliebt und behaupteten sich gut neben den neuen, harten Thrillern von Raymond Chandler oder Dashiell Hammett.

„Zwei blutige Buchstaben“ gehört - obwohl 1953 entstanden - noch zum Kanon der klassischen Ellery-Queen-Romane. Dabei hat diese Geschichte nur mehr wenig mit den nostalgisch angestaubten Queen-„Whodunits“ der 1930er Jahre zu tun, sondern mutet recht zeitgemäß an. Tatsächlich verdanken Dannay & Lee einen guten Teil ihres Erfolgs der Bereitschaft, Ellery Queen behutsam den sich verändernden Zeitläufen anzupassen, ohne dass dadurch die Figur und ihre Beliebtheit in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Heute liebt man die alten, steifen Rätsel-Thriller in ihrer ganzen Schnurrigkeit wieder heiß und innig, aber das war beileibe nicht immer so. Spätestens ab 1945 wurden im Krimi ganz andere Saiten aufgezogen. Gaslicht und vergiftete Hutnadeln kamen aus der Mode. Mit der „Schwarzen Serie“ öffnete sich die bisher verschlossene Falltür zum Keller der menschlichen Seele, in dem Ängste, Neurosen und andere Dämonen lauern. Auch Ellery Queen verfolgt dieses Mal keinen gierschlundigen Erbonkel-Vertilger, sondern bekommt es mit einem psychisch derangierten Kriegsveteranen, seiner misshandelten Gattin und einem schmierigen Profi-Seitenspringer zu tun. Diese sind in eine schäbige Dreiecks-Affäre verwickelt, die sich in letzter Sekunde in einen ‚richtigen‘ Kriminalfall verwandelt.

Detektiv im Wandel der Zeiten

Ellery selbst hat eine Freundin, die eindeutig mehr als seine Sekretärin ist, und beide sind nicht einmal verheiratet! Sogar die Existenz damals noch nicht politisch korrekt gewürdigter gesellschaftlicher Randgruppen wird nicht länger totgeschwiegen, auch wenn sich dies in der angejahrten Übersetzung recht verschämt und drollig liest: „Außerdem gehört er der anderen Richtung an“ (S. 19), heißt es da über einen Mann vom Theater, der definitiv keine Frauen liebt. Siehe da: Die reale Welt drehte sich weiter, statt ob solcher Sündhaftigkeit unterzugehen, und Ellery Queen blieb mit ihr in Schwung.

Freilich stellt sich zumindest aus heutiger Sicht die Frage, ob Dannay & Lee ihrem Publikum damit einen Gefallen taten. Sie experimentierten erstaunlich mutig mit ihrer etablierten Figur und führten Ellery Queen dabei auf Pfade, denen sich viele Freunde des ‚ursprünglichen‘ Ellery Queen verweigerten. Die Rechnung ging dennoch auf. Zwar verloren Dannay & Lee alte Leser, die auf uhrwerkhaft konstruierteb, raffiniert verwickelten Rätselkrimis bestanden. Im Gegenzug erschloss sich das Autoren-Duo ein neues Publikum, das einen ‚modernen‘ Ellery Queen vorzog, der sich nicht mit genialen, sondern gestörten Tätern auseinandersetzte, die womöglich nicht einmal schuldig im juristischen Sinn, sondern krank und unzurechnungsfähig waren.

Damit veränderte sich der Tonfall vom vergnüglichen Rätsel zum verstörenden, tragischen Thriller. Dirk Lawrence hat seine psychische Gesundheit im Kriegseinsatz eingebüßt. Die „Schwarze Serie“ war auf beiden Seiten des Gesetzes reich an ehemaligen Soldaten, die im Dienst der guten Sache Schreckliches erlebt und getan hatten. Offiziell wurde dieser wenig glanzvolle Aspekt heruntergespielt, doch hier ist sogar Ellery Queen, den niemand für einen typischen Vertreter des „Noir“-Thrillers halten würde, in der traurigen Realität angekommen.

Das Gleichgewicht sich widersetzender Kräfte

Seit Jahrzehnten schätzt der Leser „Zwei blutige Buchstaben“ oder lehnt das Buch ab. Einen Mittelweg gibt es offensichtlich nicht. Während hierzulande die meisten Ellery-Queen-Romane mehrfach aufgelegt wurden, erschien dieser nur ein einziges Mal, was ihm zumindest einen gewissen antiquarischen Wert beschert.

Dabei gibt es durchaus schlechtere, sogar missratene Queen-Krimis. Dannay & Lee verschnitten ihre Bücher in den 1950er Jahren mit Liebesgeschichten, oder sie gönnten ihrem Detektiv nur noch Gastauftritte und ‚ersetzten‘ ihn durch Ersatz-Ermittler, die kein Leser leiden konnte, weil ihnen jegliches Queen-Charisma fehlte. Diese Praktiken spiegelten die Nöte des Autoren-Duos wider, das alles Interessante aus ihrer Figur herausgepresst zu haben glaubte. 1959 veröffentlichten Dannay & Lee deshalb „The Finishing Stroke“ (dt. „Der dreizehnte Gast“ bzw. „Das zwölfte Geschenk“) als vorgeblich letzten Ellery-Queen-Roman. (In den 1960er Jahren setzten Ghostwriter die Serie fort.)

Zwar funktionieren die ‚neuen‘ Queen-Thriller, aber ihnen fehlt das Unverwechselbare der klassischen Rätsel-Krimis. Diese mögen intellektuell schmalspurig sein, weil sie den psychologischen Aspekt des Verbrechens weitgehend ausklammern. Gleichzeitig hat gerade dieser Verzicht ihnen Zeitlosigkeit geschenkt, während einst moderne Romane wie „Zwei blutige Buchstaben“ heute einerseits künstlich dramatisch und andererseits allzu vorsichtig oder gar verdruckst wirken. Vielleicht benötigen die späten Queen-Thriller noch einige Jahrzehnte, um wie die alten „Whodunits“ jenen Reifegrad zu erreichen, der sie solcher Kritik enthebt.

Fazit

Der 23. Ellery-Queen-Roman ist eher ein Thriller, der sich erst im letzten Drittel in einen ‚richtigen‘ Krimi verwandelt: Die einst moderne Mischung wirkt heute altmodisch und unausgegoren, was den Lektürespaß deutlich einschränkt.

Zwei blutige Buchstaben

Ellery Queen, Scherz

Zwei blutige Buchstaben

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