Zartweißer Tod

  • Grafit
  • Erschienen: Februar 2020
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Thomas Gisbertz
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2020

Ein außergewöhnliches Debüt

Ein Frauenmörder treibt in Hamburg sein Unwesen. Der Täter hinterlässt keine Spuren. Zeugen gibt es nicht. Die Gesichter der Toten sind mit einer Lackschicht überzogen, die Körper mit auffallenden Kleidern und Schuhen ausstaffiert und die Lippen glänzend rot lackiert. Hauptkommissarin Lena Holland und ihr neuer Kollege Henri Stefanski nehmen die Ermittlungen auf, doch sie treten auf der Stelle – die Morde scheinen das perfekte Verbrechen zu sein.

Die Beamten stehen unter massivem Druck, denn die Frauen werden immer mittwochs entführt. Wenn Holland und Stefanski weitere Tote verhindern wollen, bleibt ihnen nicht viel Zeit.

Der Puppenmacher

Die Lackschuhe, das Kleid, die wunderschönen Haare, das makellos schöne, weiße Gesicht, die roten Wangen, die künstlichen Wimpern, die roten Lippen. Der Serientäter macht aus den jungen Frauen, die er tötet, nahezu perfekte Puppen. Schnell hat die Presse einen Namen für ihn: der Puppenmörder. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand weiß: Der Täter entführt seine Opfer nicht nur, er würgt sie während ihrer Gefangenschaft wiederholt und vergewaltigt sie postmortal. Die einzige Spur: eine weiße Substanz unter den Fingernägeln des ansonsten sterilen Leichnams des ersten Opfers. Lena Holland und ihr Kollege Stefanski verzweifeln allmählich. Plötzlich verschwindet auch eine Bekannte der Kommissarin. Ist sie das nächste Opfer des Puppenmörders?

Krimi-Debüt

Anna Terboven ist das Pseudonym von Renate Dernedde. Die Autorin studierte Germanistik und Politikwissenschaften in Göttingen, Freiburg und New York, wo sie in Literaturwissenschaften promovierte. Sie arbeitete als Vertriebs- und Programmleitung in deutschen und österreichischen Verlagen. Laut der ihrer Agentur faszinierten Sprache, Literatur und die Untiefen menschlicher Abgründe die Autorin schon immer. Nach Stationen in München, Wien und Frankfurt lebt und arbeitet sie seit 2016 in Hamburg als Dozentin in der Erwachsenenbildung. Mit „Zartweißer Tod“ erscheint nun im Grafit-Verlag ihr erster Kriminalroman.

Gänsehaut garantiert

Es gibt vielerlei Arten, Grusel und Spannung in einem Kriminalroman zu erzeugen: Die einen schildern brutale Gewalttaten, andere wiederum gehen subtiler vor. Anna Terboven geht einen Mittelweg - und der hat es in sich. Der Autorin gelingt ein Roman, der richtig unter die Haut geht. Im Vordergrund steht dabei nicht Gewaltdarstellung, sondern das Psychogramm eines Täters, der selber Opfer ist. Wenn es ein Autor schafft, dass der Leser Mitleid mit den Opfern empfindet, dann bewegt er sich auf einem hohen Level. Terboven aber schafft es, dass man - wenn vielleicht auch kein Mitleid - zumindest ein Gefühl für den inneren Antrieb des Mörders bekommt. Dabei schwankt man als Leser zwischen Ekel und Bedauern. Das dies der Autorin gelingt, lieht an ihrem besonderen Sprachtalent.

Wundervoller Schreibstil

Es ist mittlerweile eine Seltenheit geworden, dass Krimi- und Thrillerautoren auch ausdrucksstarke, stilistisch herausragende Schriftsteller sind. Terboven hebt sich hier deutlich von der breiten Masse ab. Besonders wenn sie die Perspektive des Täters einnimmt und dabei sehr szenisch dessen Gefühlswelt offenlegt, entsteht eine Nähe, die man als Leser eigentlich gar nicht haben will, die einen gleichzeitig aber fasziniert.

Die dargestellte Persönlichkeitsstörung des Mörders und sein Handeln wirken mehr als verstörend auf den Leser. Dennoch oder gerade deshalb erscheinen besonders diese Szenen im Roman derart verdichtet. Die erzählerische Intensität und sprachlichen Tiefe fesseln den Leser von Beginn an. Gleichzeitig überzeugt Terbovens Sprache an vielen Stellen mit einer fast schon irritierende Leichtigkeit, wenn sie Bezug nimmt auf das Leben des Täters. Man ist dann schon fast erleichtert, wenn diese Textpassagen von der Darstellung der Ermittlungsarbeit abgelöst werden.

Neues Ermittlerteam

Mit Kriminalhauptkommissarin Lena Holland, Leiterin der Kriminalpolizeilichen Sonderermittlung am Polizeipräsidium Hamburg und Henri Stefanski, der vor einigen Monaten neu zum Team der Mordermittlung gestoßen ist, lernt man ein Ermittlerduo kennen, dass zwar seine privaten Probleme hat, aber dadurch nur authentischer wirkt. Stefanski leidet unter der Trennung von seiner Frau und den Kindern. Insbesondere seine Arbeit steht ihm dabei im Weg und er ertränkt seinen Kummer allzu gerne im Alkohol. Seine Kollegin hat die Ereignisse einer missglückten Festnahme, bei der sie als Geisel genommen wurde, noch nicht verarbeitet. Beide nähern sich im Laufe der Handlung nicht nur beruflich immer mehr an.

Das übrige Team bietet bereits im ersten Band genügend zwischenmenschliche und berufliche Brisanz für weitere Folgen. Ab und an wirkt die Darstellung der Figuren aber noch zu sehr konstruiert und die Autorin will teilweise mit aller Gewalt falsche Fährten legen. Dessen hätte es gar nicht bedurft, da die Handlung aus ihrer Thematik heraus genügend Spannung aufbaut.

Fazit: 

Anna Terbovens Debüt „Zartweißer Tod“ ist ein absoluter Geheimtipp. Selten hat es in den letzten Jahren Kriminalliteratur auf sprachlich derart hohem Niveau gegeben. Die Darstellung des Täters trifft den Leser mit ungeheurer Wucht. Terbovens Schreibstil ist außergewöhnlich - mit einem Blick in die Seele des Mörders.

Zartweißer Tod

Anna Terboven, Grafit

Zartweißer Tod

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