Was sie nicht wusste

  • C. Bertelsmann
  • Erschienen: Januar 2020
  • 2

Originaltite: „The Lying Room“
Aus dem Englischen von Birgit Mossmüller

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Sabine Bongenberg
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonApr 2020

Ein düsterer Blick auf das Mittelalter

Was erwartet einen alten Freundeskreis, wenn er jenseits der 40 aufschlägt? Was bleibt von den Träumen und Plänen, von einem gemeinsam gegründeten Unternehmen, von Liebespaaren, die die Finger nicht voneinander lassen konnten? Neve Conolly kann das mit ein paar Sätzen beantworten:  Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, was aber allenfalls den Spruch mit den „kleinen Kindern und den kleinen Sorgen und den großen Kindern und den großen Sorgen“ ein weiteres Mal bestätigt, vom Partner kennt man jeden Zentimeter und die Träume sind dahin. Das einzig Gute, was einem in diesem Alter offensichtlich noch passieren kann, und was ein bisschen Leben in das trübe Einerlei bringt, ist eine Affäre. Unglücklich aber dann, wenn diese Affäre eines Tages ermordet im Liebesnest liegt, noch unglücklicher, wenn man einen Verdacht hat, wer der Mörder gewesen sein könnte, und man diesen unter keinen Umständen belasten will.

Das Autorenduo Nicci French (das im weiteren Text der Einfachheit halber so behandelt wird, als wäre es ein Einzelner) zeichnet ein düsteres Bild für alle Ü-40er. Die großen Träume wurden von Routine ersetzt, die ehemaligen Paare leben einfach nebeneinander her, und bei einigen ist es so wie weiland von Marius Müller-Westernhagen besungen, dass eine gewisse Whisky-Marke mittlerweile eher zum besten Freund mutiert ist.

In dieses Szenario kracht nun der Mord an Saul Stevenson. Er war der sowohl Neves Chef als auch der ihrer Freunde, hatte er doch deren kränkelnde Firma aufgekauft und seinem Unternehmen einverleibt. Aber neben seiner Rolle als Chef war er offensichtlich auch die einzige Farbe, die mittlerweile dem Leben der Heldin ein wenig Lebendigkeit einhauchte, wird diese doch ansonsten nur in dem Spagat als „Mehr-oder-weniger-Alleinverdienerin“ und Hausfrau aufgerieben.

Endlich mal eine Frau aus dem Leben

Grundsätzlich bietet die Figur der Neve dabei zunächst einmal Anlass zur Hoffnung: Endlich einmal widmet sich French keiner einsamen Einzelkämpferin, die sich allein und mit wirren Aktionen durchs Leben schlägt und sich abends wasserglasweise harte Schnäpse hinter die Binde kippt, sondern einer Frau aus dem Leben. Das sich dieses Leben aber offensichtlich konzentriert auf einen antriebsarmen Ehemann, eine mehr als eigenartige Tochter und zwei Söhne, die - hoffentlich - pubertätsbedingt auch nicht zu der mitteilsamen Sorte gehören – das macht es allerdings auch nicht gerade verlockend. Diese Mischung bekommt der Leser kapitelweise, seitenlang und knüppeldick vorgesetzt, fast so als sollte gesagt werden: „Du wolltest endlich eine „Durchschnittliche“. Bitteschön, dann lass dich in epischer Länge mit Einkäufen, nicht erfolgten Abstimmungen zwischen Eheleuten und dem Hickhack mit pubertierenden oder drogenabhängigen Kindern langweilen!“. Tatsächlich machen diese Schilderungen einen Großteil des Buches aus und obwohl ein Mord geschehen ist, wird den nervigen Freunden, die sich in Neves Haus einzecken, noch viel Platz eingeräumt und wenn zwischen diesen ganzen Aktionen tatsächlich mal ein bisschen Platz bleibt, wird so nebenher an der Aufklärung des Mordes gearbeitet.

Nicci French zeichnete sich früher durch intelligente Plots mit gut konstruierten Mördern aus,  und - im Kontrast dazu – mit einer Melancholie, die den Leser berührte. Es ging nicht nur um das Verbrechen an sich, sondern auch um die Situation derer, die zurückblieben, die Mann, Geliebten, Freund, beste Freundin verloren hatten. French beschrieb anrührend die Frau, die in ihrer dunklen Kammer sitzt und weint. Diese Kunst scheint offensichtlich irgendwo verschütt gegangen zu sein. Aus dem Leben des Mordopfers bleibt hier nicht viel übrig, als – wie sollte es auch anders sein - wieder eine klammernde Ehefrau, die Neves Arbeitspensum zusätzlich einmal erweitert und bei dem sich der Leser aber auch fragen muss, ob die Heldin tatsächlich noch nie den Gebrauch des Wortes „NEIN!“ eingeübt hat.

Fazit:

Die Auflösung des Plots ist auch ein mehr als eigenartiger und dem Leser bleibt ein eigenartiges Gefühl der Unvollständigkeit, denn irgendwie ist vieles angegangen, aber nichts so richtig gelöst worden. Wer jetzt mit einer gewissen Beunruhigung dem 40. Geburtstag entgegenblickt, dem sei versichert, dass es schlimm wie hier jenseits der 40 nun wirklich nicht ist. Gemeinsam mit den anderen Nicci-French-Fans, die sich endlich wieder ein spannenden, aber auch berührenden Krimi gewünscht haben, bleibt die Hoffnung auf die Rückkehr zur alten Größe.

Was sie nicht wusste

Nicci French, C. Bertelsmann

Was sie nicht wusste

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